Alex de Jong. In den Niederlanden dominiert die politische Rechte die Debatten über europäische Integration und Flüchtlinge und gewinnt damit Referenden. Die radikale Linke kämpft dagegen an.
Viele NiederländerInnen sehen sich als KosmopolitInnen, als tolerante BürgerInnen einer friedlichen Handelsnation, und verstehen die Teilnahme an der EU als logische Fortsetzung davon.
Die Stimmung hat sich jedoch verändert. Das klarste Beispiel dafür war der Sieg der rechten Nein-Kampagne zum konsultativen Referendum vom 6. April über das EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine. Das Abkommen hätte eine verstärkte politische und juristische Kooperation sowie ein Freihandelszone zwischen der EU und der Ukraine etabliert.
Aber bereits im Jahr 2005, beim Referendum über die Verfassung der EU – das von 61,5 Prozent der WählerInnen abgelehnt wurde – war klar geworden, das sich die Haltung der niederländischen BürgerInnen zur EU verändert hat. Die Begründungen zu diesem Nein waren unterschiedlich. Viele stimmten mit Nein, weil sie sahen, dass die EU-Politik das Sozialwesen zerstört, aber es gab auch einen Nationalchauvinismus, der sich mit dem Wunsch vermischte, den niederländischen Wohlfahrtsstaat von äusseren Einflüssen zu schützen. Trotz der Präsenz der Rechten in der Kampagne war das Nein von 2005 jedoch hauptsächlich noch eine klare Abfuhr an die neoliberale Wirtschaftspolitik der EU.
Laut Kevin Levie von der linken Socialistische Partij (SP) ist eine neue, nationalistische Rechte «seit fünfzehn Jahren vorangeschritten». «Die etablierten Parteien haben teilweise ihr Vokabular und ihre Agenda übernommen, und seit fünfzehn Jahren hat die Linke nicht auf angemessene Weise darauf geantwortet», sagt Levie.
Rassistische «Satire»
Diese nationalistische Rechte kombiniert freie Marktwirtschaft, Nationalismus, populistische Demagogie, Rassismus und Islamophobie. Gegenwärtig sind Geert Wilders und seine Partij voor de Vrijheid (PVV) die prominentesten VertreterInnen dieser Strömung. Sie sehen die EU als Bedrohung der niederländischen Souveränität und als Hindernis für die drakonischen Gesetze gegen Immigration, die sie einführen möchten. Statt einer politischen Union möchte die PVV eine rein ökonomische Freihandelszone in Europa.
Obwohl die PVV und ihre Vorläuferinnen bislang noch nicht Teil der Regierung werden konnten, haben sie erfolgreich den zuvor dominanten progressiven Liberalismus zur Seite gedrängt und ihre Ideen als Teil des Common Sense des Landes durchsetzen können.
In diesem Kontext ist es keine Überraschung, dass die Rechte die jüngste Referendumskampagne dominiert hat. Der rechte Thinktank Forum voor Democratie und die populäre Webseite Geenstijl standen dabei im Mittelpunkt. Das Forum voor Democratie ist das geistige Kind des Publizisten Thierry Baudet, einem konservativen Intellektuellen mit Talent zur Eigenreklame. Baudet propagiert Antifeminismus, Nationalismus und Islamophobie. Die Website Geenstijl (was mit «geschmacklos» übersetzt werden kann) ist ein Produkt der grossen rechten Zeitung «De Telegraaf». Sie teilt dieselbe rechte Agenda wie Baudet und der PVV, indem es Islamophobie und Anfeindungen gegen Linke fördert. Dabei versteckt die Seite ihren unverfrorenen Rassismus hinter dem Wort «Satire» – beispielsweise bezeichnete es Flüchtlinge, die im Mittelmeer ertrunken sind, wiederholt als «dobbernegers» (Schwimmneger).
Während Leute wie Baudet reaktionäre Ideen salonfähig machen, erreicht ein Forum wie Geenstijl die populistische Vulgarisierung derselben Agenda. Die dreihunderttausend Unterschriften, die die niederländische Regierung verlangt, um ein konsultatives Referendum durchzuführen, wurden in kürzester Zeit gesammelt – Genenstijl hatte eine App programmieren lassen, mit der man elektronisch unterschreiben konnte.
Ein Ja gegen Putin
Die BefürworterInnen des Assoziierungsabkommens waren indes die Mitteparteien, wie bereits 2005 bei der die Ja-Kampagne zur EU-Verfassung. Die lauteste Stimme im Ja-Lager war dabei die neoliberale D66-Partei. Die Partei stellte das Abkommen so dar, als ob es JüdInnen, die LGBT-Gemeinschaft und ukrainische DemokratInnen gegen Putins Autoritarismus verteidigen würde. Die Grünen sowie die sozialdemokratische Partij van de Arbeid (PvdA), die in der Regierung sitzt, taten es ihnen gleich. Statt Argumente für das Abkommen liessen PvdA und D66 ein Foto von Putin auf ihre Abstimmungsplakaten abdrucken und bewarben das Ja zur Abstimmung als einen Schlag gegen den russischen Präsidenten. Die marktliberale Volkspartij voor Vrijheid en Democratie, die zweite Partei in der Regierungskoalition, setzte indes den Fokus auf die Geschäftsmöglichkeiten, die das Abkommen für niederländische Unternehmen bringen könnte. Keine der beiden Ansätze stiess in der Bevölkerung auf viel Begeisterung.
Innerhalb der Linken gab es verschiedene Positionen zum Referendum: Die linksalternative Socialistische Partij führte eine eigene Nein-Kampagne, die vor allem auf den neoliberalen Charakter des Abkommens fokussierte. Aber ihr Ansatz war – wie bereits 2005 bei der Kampagne gegen die EU-Verfassung – nicht frei von Chauvinismus. Ein Teil der radikalen Linken rief währenddessen zum Boykott des Referendums auf. Sie rechtfertigten ihre Position damit, dass die Rechte die Debatte dominieren und das Referendum seinen UrheberInnen mehr Legitimität verleihen würde. Aus ihrer Perspektive war der bestmögliche Ausgang eine Stimmbeteiligung unter 30 Prozent, die das ganze Referendum ungültig gemacht hätte.
Eine andere linke Nein-Kampagne, die von der marxistisch-leninistischen Nieuwe Communistische Partij Nederland (NCPN) geführt wurde, denunzierte die EU als imperialistisches Projekt, dass die Interessen der Grossunternehmen vertritt. Sie zeigten auf, dass die EU-Erweiterung weder den ArbeiterInnen in der EU noch den ArbeiterInnen in den zukünftigen Mitgliedsstaaten nützt und die Integration der Ukraine internationale Spannungen schürt und die Kriegsgefahr erhöht.
Auf Klassenfragen fokussieren
Auch wenn die linksalternative Socialistische Partij (SP) mit Abstand die sichtbarste linke Kraft im Nein-Lager war, schaffte es weder sie noch die anderen linken Stimmen grössere Unterstützung zu finden. Die Wahlbeteiligung war tief: Sie lag bei 32,2 Prozent, wovon 61,1 Prozent mit Nein stimmten. Dies hat gezeigt, dass viele SP-UnterstützerInnen zuhause geblieben sind, anstatt ihre Stimme dem konservativen Publizisten Baudet und seinen rechten Verbündeten zu geben, die das Referendum angeführt hatten.
Umfragen sagen schon länger einen massiven Sieg der rechten PVV und eine Implosion der sozieldemokratischen PvdA voraus. Doch die Unzufriedenheit mit der Mitteregierung hat der SP und der radikalen Linken nicht genützt.
Der Ausgang des Referendums wird wenig verändern: Obwohl das Abkommen von allen 28 EU-Mitglieder ratifiziert werden müsste, ist es bereits Anfang 2016 in Kraft getreten. Es wird erwartet, dass es nach ein paar kosmetischen Anpassungen trotz des niederländischen Referendums ratifiziert werden wird – genauso wie die EU-Verfassung.
Die GewinnerInnen der ganzen Geschichte sind die nationalistischen Rechten. Baudet hat bereits angekündigt, dass er noch weitere Referenden organisieren möchte, einschliesslich eines über die «Hilfe» der EU an die südeuropäischen Mitgliedsstaaten und ein weiteres zur Migrationspolitik. Gegen diesen Trend anzukämpfen ist schwierig. Klar ist aber, dass eine neue Fokussierung auf Klassenfragen anstatt auf nationale, religiöse und ethnische Unterschiede notwendig sein wird.