Maya Mikdashi. In Orlando wurden bei einem Anschlag, der sich gegen LGBT-Menschen richtete, fünfzig Menschen getötet. Eine Analyse einer queeren Muslimin.
Nahezu sofort nach dem Massenmord mit fünfzig Opfern in einem LGBT-Nachtclub in Florida haben sich die Medien auf die Identität des Attentäters selber konzentriert. Als seine Name sowie seine afghanische Herkunft bekannt wurden, setzte sich die Meinung durch: Es war ein Terroranschlag. Es war ein IS-Anschlag oder ein Anschlag von einem IS-Sympathisanten. Es roch nach IS und der Geruch kam von der Nationalität und der Religion des Attentäters. Am gleichen Tag wurde ein Weisser mit einem Haufen Waffen in der Nähe der Gay Pride von Los Angeles aufgegriffen, aber das war etwas anderes – diese Nachricht verschwand schnell aus den Medien.
Neuere Berichte sprechen darüber, dass der Mörder von Orlando selber insgeheim schwul gewesen sein könnte und aus Selbsthass (wegen seiner Religion und seinem «kulturellen» Hintergrund) mit einem Sturmgewehr in den vollen Nachtclub gegangen sei. Und wieder: Der Grund dafür, dass er sich nicht akzeptieren konnte, ist der Islam und nicht das toxische Männerbild, das den gewaltverherrlichenden US-Sicherheitsstaat in Zeiten von Krieg und Imperium durchdringt. Die USA befinden sich gerade im Wahlkampf und Homo- und Transphobie, Sexismus, Islamfeindlichkeit und Hetze gegen MigrantInnen sind erfolgreiche Wahlkampfthemen.
Die USA sind keine Ausnahme
Ich habe kein Problem, das Offensichtliche auszusprechen: Der Islam ist den LGBT-Menschen gegenüber nicht aufgeschlossen. Mein Problem ist, dass der Rest des Satzes – nämlich, dass das Gleiche für das Judentum und das Christentum gilt – nicht gehört wird oder als Rechtfertigung aufgefasst wird. Diese Faszination mit queeren MuslimInnen, mit LGBT-Menschen «im Islam», basiert auf orientalistischen Fantasien über sexuelle Zügellosigkeit und Repression. Es stecken aber auch strategische Ziele des «Krieges gegen den Terror» dahinter, die der «zivilisierten» Welt im Namen der Menschen- und sexuellen Rechte verkauft werden. Verbunden damit ist die Annahme, dass queere Menschen überall dasselbe wollen, dieselben Kämpfe führen (die einzig die Diskriminierung ihrer Sexualität umfassen) und sich und ihr Umfeld nur über die Erfahrung ihrer Sexualität wahrnehmen. Im Zeitalter des Imperialismus mit einer herrschenden Ideologie ist Homophobie nicht geografisch, religiös, ethnisch oder klassenspezifisch. Sie ist durchdringend, hegemonial, unsichtbar und unvermeidbar. Queere Menschen wissen das. Wissenschaft, Regierung, Medien und Gesellschaft, auch Familie und FreundInnen erinnern einen immer wieder daran, dass man «anders» ist.
Es sind kein einzelnes Volk und keine Religion, die homophob sind. Die traurige Wahrheit ist, dass Homophobie und Frauenfeindlichkeit globale hegemoniale Kräfte sind. Die USA bilden keine Ausnahme. In den letzten sechs Monaten wurden in den USA über hundert Anti-LGBT-Gesetze und -Vorlagen eingeführt oder diskutiert. Das sind staatliche und strukturelle Manifestationen, die queeres Leben entwerten. Das berühmteste dieser Gesetze richtet sich gegen Transmenschen und ihre Benutzung von Toiletten. Dieses Gesetz wird dafür sorgen, dass Transmenschen noch mehr Gewalt und Hass erleben müssen in einer Räumlichkeit, in der sie ohnehin schon verletzlich sind. Queere und Transmenschen mit dunkler Hautfarbe, besonders schwarze Transfrauen, werden in den USA immer wieder angegriffen, getötet, kriminalisiert und vergewaltigt. Diese Vorfälle, die sich täglich und stündlich abspielen und besonders oft die verletzlichsten Teile der LGBT-Community betreffen, lösen selten eine grössere Empörung aus. Darüber gibt es keine 24-Stunden-Berichterstattung oder Spezialprogramme in den Mainstreamnachrichten.
Entmenschlichte LGBTs
LGBT-AraberInnen und -MuslimInnen werden in einen Diskurs gezwungen, der ihre Körper als Massstab dafür nimmt, wie zivilisiert oder modern ihre jeweilige Gesellschaft ist. Gleichzeitig wird gegen diese Gesellschaften ein Krieg gegen den Terror geführt, der mindestens eineinhalb Millionen Menschen das Leben gekostet hat. Islamophobie und ihr Zwilling Homophobie («sie sind homophob, also können wir islamophob sein») sind ein globales Phänomen. In Deutschland, in den Niederlanden und anderen «sekulären» europäischen Länder werden arabische und muslimische MigrantInnen im Aufnahmeverfahren getestet, wie homophob und/oder sexistisch sie sind. Die kanadische Regierung nimmt im Falle von syrischen Flüchtlingen bevorzugt (heteronormative) Familien und schwule Individuen auf.
Queere AraberInnen und MuslimInnen werden entmenschlicht, so dass sie nur als Opfer und nicht zum Beispiel als Schaffende und AnführerInnen ihrer Gemeinschaften und Kulturen betrachtet werden. Sie werden gehasst und traumatisiert – aber nur durch Homophobie, nicht durch Krieg und Okkupation.
Teil der LGBT-Community
Wir legen unsere Religion und Nationalität nicht ab, wenn wir eine LGBT-Bar betreten, ebenso wenig unsere Sexualität und unser Geschlecht. Niemand kann die Gemeinschaft, die uns hervorgebracht hat, abschütteln, und die Illusion, dass wir dies könnten, hat viele Leben, Familien und Beziehungen zerstört.
MuslimInnen und AraberInnen sind ein Teil der LGBT-Community in den USA, ebenso sind LGBTs Teil der muslimischen, arabischen und südostasiatischen Communities. Es gibt keine unvereinbare Differenz zwischen Islam und Homosexualität neben der Tatsache, dass alle grossen Religionen Homosexualität ablehnen und verurteilen. Diese Tatsache hat Menschen, die diesen Religionen angehören, nicht davon abgehalten, sich der LGBT-Community anzuschliessen.