Zweimal innerhalb von zwei Wochen fanden im Kanton St. Gallen Neonazi-Konzerte statt. Beide Male war die Polizei informiert, beide Male blieb sie untätig. Ein Resümee.
Polizei in Vollmontur, Kastenwagen, Kessel; dieses Aufgebot erwartete im Kanton St. Gallen nicht etwa die Rechtsextremen, sondern die linken AktivistInnen, die sich am 22. Oktober in Rapperswil-Jona einfanden, um gegen die Gründungsfeier von fünf neuen Sektionen der «Partei National Orientierter Schweizer» (Pnos) zu protestieren. Der Ausflug in die Ostschweiz endete jäh. Nachdem sich gegen 17 Uhr am Bahnhof Rapperswil-Jona ein Demonstrationszug mit rund hundert TeilnehmerInnen formiert hatte, machte das «Sicherheitsdispositiv» dicht und löste die Proteste kurzerhand auf. Ziel der Aktion sei es gewesen, ein «Aufeinandertreffen von rechts und links» zu verhindern, meinte Polizeisprecher Gian Andrea Rezzoli im Nachgang gegenüber der SDA. Dies sei «gelungen».
SP-Mann auf Abwegen
«Gelungen» bedeutet in diesem Fall, dass der linke Protest im Keim erstickt wurde, während sich die Pnos im Landgasthaus «Löwen», im rund 26 Kilometer entfernten Kaltbrunn, unbehelligt selbst feiern konnte. Die entsprechende Kritik, die unter anderem durch die Juso St. Gallen geäussert wurde, fand bei den zuständigen PolitikerInnen kein Gehör. Regierungsrat und Justizdirektor Fredy Fässler – seines Zeichens Sozialdemokrat – sagte gegenüber den Medien, dass es keinen rechtlichen Grund gegeben habe, die Versammlung der Pnos, bei der es sich um eine «offizielle Partei» handle, zu verbieten – und das, obwohl die Pnos in der Vergangenheit wiederholt einschlägiges Gedankengut verbreitete und dies nach wie vor tut, für die «Gründungsfeier» in der Ostschweiz die Neonazi-Band Flak angekündigt war und es sich erst eine Woche zuvor – für einmal ganz deutlich – offenbart hatte, dass (auch) die Schweiz ein gehöriges Neonazi-Problem hat, als sich bis zu 6000 AnhängerInnen rechtsradikaler Gesinnung in der Gemeinde Unterwasser zu einem Geheimkonzert einfanden, das die Antifa Bern publik machte und – auch noch zum Zeitpunkt der Pnos-Veranstaltung – sowohl in der Schweizer Medienlandschaft als auch international hohe Wellen schlug.
Halbwahrheiten und Lügen
Vor diesem Hintergrund sollte die hohe Toleranzschwelle von Polizei und Behörden gegenüber der Pnos eigentlich bedenklich erscheinen. Doch die Öffentlichkeit ging davon aus, dass die Sicherheitskräfte nicht nur gegen die linke Demonstration vorgegangen, sondern auch gegen die einschlägige «Gründungsfeier» aktiv geworden waren.
Grund dafür war ein Bericht des «Blick», der am Sonntag vermeldete, dass die beiden deutschen Neonazis – der Flak-Sänger «Phil» Neumann sowie Sven Skoda, den die Pnos als Redner geladen hatte – am Samstagabend mit einem Einreiseverbot belegt, in der Schweiz aufgegriffen und an die Grenze zurückgebracht worden waren. Die Polizei bestätigte auf Anfrage von «Blick» den Erlass der Einreiseverbote, äusserte sich jedoch nicht weiter. So wurde weitgehend angenommen, dass die Polizei zumindest den Auftritt zweier bekennender Neonazis verhindert hatte und nicht, wie eine Woche zuvor beim rechtsradikalen «Rocktoberfest» in Unterwasser, gänzlich untätig geblieben war.
Am Dienstag nach der Pnos-Veranstaltung wurde allerdings durch einen Facebook-Eintrag, in dem sich Sven Skoda über die Schweizer Polizei lustig machte, klar: Der Auftritt der Neonazis hatte – trotz Einreiseverbot – stattgefunden. In einer Mitteilung vom 27. Oktober räumte die Kantonspolizei St. Gallen dann auch ein, dass es dem Sänger der Band Flak sowie Sven Skoda nicht nur gelungen war, «unkontrolliert in die Schweiz einzureisen», sondern auch, «unerkannt und nicht im eigenen Auto, an den Versammlungsort zu gelangen».
Und das, obwohl die Polizei mit einem Aufgebot in Kaltbrunn präsent war, die Strassen kontrolliert hatte und vor dem «Löwen» postiert war. Ein Umstand, der durchaus Fragen aufwirft.
Spuren zum NSU
Klar ist: Der kommunikative Eiertanz der Kantonspolizei St. Gallen und die verbale Verteidigung der Pnos durch Justizdirektor und SP-Mann Fredy Fässler tragen massgeblich dazu bei, die jüngsten rechtsradikalen Anlässe in der Schweiz zu einmaligen und deshalb harmlosen Ereignissen herunterzuspielen.
Dabei zeigt gerade das «Rocktoberfest» von Unterwasser, dass weit mehr dahinter steckt. «Die Strukturen, Verbindungen und Kontakte, um einen solchen Event durchführen zu können, entstehen nicht über Nacht», schreibt die Antifa Bern in einem Gastbeitrag auf der Seite des Lower Class Magazines. Und an den Händen der DrahtzieherInnen solcher Veranstaltungen klebt Blut. Zumindest im Fall von Unterwasser: Recherchen des «Bund», der «WoZ» sowie der Antifa Bern haben ergeben, dass mit dem Deutschen Steffen Richter mindestens einer der Beteiligten des «Rocktoberfests» mit dem «Nationalsozialistischen Untergrund» (NSU) in Verbindung steht. Richter ist ein «enger Vertrauter und Koordinator der Unterstützungsaktionen für Ralf Wohlleben», der «als vierter Mann» des NSU gilt. «Mehrere Insider bestätigen, dass ein Teil des Konzerterlöses auch diesmal in die Prozesskosten für Wohlleben fliessen soll», schreibt der «Bund» im Rahmen seiner Recherche zu Unterwasser. Der Grossteil der OrganisatorInnen des «Rocktoberfests» soll zudem aus der Thüringer Neonazi-Szene stammen und dem internationalen Blood and Honour-Netzwerk angehören – das mitunter auch ein sogenanntes Chapter in der Schweiz hat, in dessen Dunstkreis immer wieder Figuren der Pnos auftreten und umgekehrt: So hat, wie Fotos der Antifa Bern auf Twitter zeigen, etwa mit Peter Schänis ein Blood and Honour-Mitglied an der Pnos-«Gründungsfeier» vom 22. Oktober teilgenommen.
Damit schliesst sich der Kreis – zwischen Unterwasser und Kaltbrunn, zwischen verdeckten Strukturen und einer «offiziellen Partei» – zu einem brandgefährlichen Netzwerk, dem sich Behörden und Polizei scheinbar nicht zu stellen bereit sind.