Die USA bauen für 100 Millionen Dollar im Sahelstaat Niger eine Militärbasis, um damit Drohnenangriffe im «Kampf gegen den Terror» auszuführen. Der Niger entwickelt sich dabei zu einem Standort des US-Imperialismus in Afrika.
Von oben herab verschwimmt Agadez beinahe mit der kakaofarbenen Einöde rundum. Nur wenn man tiefer fliegt, kann man eine Stadt erkennen, die den Landeplatz umringt und dann beginnt, sich in die Wüste hinaus aufzulösen. Einst ein zentraler Punkt für Karawanen, die Tee und Salz durch die Sahara führten, ist Agadez nun ein westafrikanisches Paradies für MenschenschmugglerInnen und eine Durchgangsstadtion für Flüchtlinge, die um jeden Preis Europas Grenzen erreichen wollen.
Die Menschen, die Krieg und Armut entfliehen, sind allerdings nicht die einzigen Fremden in der Stadt mitten im Niger. Geleakte Dokumente des US-Militärs enthüllen neue Informationen über eine Drohnenbasis, die ausserhalb der Stadt gebaut werden soll. Das seit langer Zeit geplante Projekt – das wichtigste Militärprojekt der USA in Afrika laut den Geheimdokumenten, die «The Intercept» durch den «Freedom of Information Act» erlangen konnte – wird 100 Millionen US-Dollar kosten und nur eine von mehreren US-amerikanischen Militärprojekte im armen Land.
Ein regionaler Knotenpunkt
Die Basis ist laut ExpertInnen das jüngste Anzeichen für eine Intensivierung des ewigen Kampfs gegen den Terror im Norden und im Westen des Kontinents. Als einziges Land in Region, dass eine US-Basis für MQ-9 Reaper-Drohnen – ein neueres, grösseres und potenziell tödlicheres Modell als die berüchtigte Predator-Drohne – auf seinem Territorium duldet, hat sich der Niger zu einem regionalen Knotenpunkt für Militäroperationen der USA gemausert. Agadez dient dabei als zentraler Aussenposten für Geheimdienst-, Überwachungs- und Kundschaftermissionen gegen Terrorgruppen.
Jahrelang haben die USA von einer Luftwaffenbasis in Niamey, der Hauptstadt Nigers, aus operiert, anfangs 2014 sprach jedoch ein Vertreter von Africom, das US-Einsatzkommando für Afrika, das in Stuttgart stationiert ist, von der Möglichkeit einer neuen «semipermanenten, basisähnlichen Einrichtung» im Niger. Im September wurden von der «Washington Post» Pläne über eine Drohnenbasis bei Agadez aufgedeckt. Ein paar Tage später kündigte die US-Botschaft in Niamey an, dass Africom dort tatsächlich «einen temporären Expeditions- und Unterstützungposten in Erwägung zieht».
In Dokumenten der Luftwaffe, die dem US-Kongress 2015 vorgelegt wurden, heisst es, dass die USA über ein «Abkommen mit der Regierung von Niger verhandelt hat, um eine neue Landebahn und alle damit verbundenen Infrastruktur und Einrichtungen zu bauen, die an die Basis der Nigrischen Streitkräfte Aerienne 201 südlich der Stadt Agadez angrenzt». Im Gesetz zum Budget des US-Verteidigungsdepartements für das Rechnungsjahr 2016, das letzten April beschlossen wurde, war auch ein Antrag über 50 Millionen Dollar enthalten, der den Bau eines Flugplatzes und eines Basiscamps in Agadez beschloss, «um Operationen in Westafrika zu unterstützen». Als US-Präsident Obama das Budget unterzeichnete, wurde auch diese Summe bewilligt.
Das US-Webmagazin «The Intercept» deckte auf, dass sich die tatsächlichen Kosten auf das Doppelte belaufen. Zusätzlich zu den 50 Millionen, um die Basis zu bauen, werden laut den zuvor geheimen Dokumenten von Africom, die geleakt wurden, 38 Millionen für den Betrieb der Basis und für Militäroperationen benötigt. Neuere Zahlen, die das Pentagon herausgegeben hat, sprechen bereits von 50 Millionen dafür und für Unterhaltskosten werden zusätzlich 12,8 Millionen pro Jahr angegeben.
«Die Reichweite ausweiten»
Die Geheimdokumente zeigen, wie wichtig Agadez für zukünftige Drohneneinsätze ist: «Das Hauptprojekt von Africom befindet sich in Agadez, Niger, wo ein C-17- und MQ-9-fähiger Flugplatz gebaut wird.» Weiter heisst es: «Die Präsenz von Drohnen in Nordwestafrika unterstützt die Einsätze gegen sieben ausländische Terrororganisationen. Die Übersiedelung der Operationen nach Agadez erlaubt dem Nachrichtendienst, sich auf gegenwärtige und entstehende Bedrohungen im Niger und Tschad einzustellen, die französische Regionalisierung (sic) zu unterstützen und die Reichweite auf Libyen und Nigeria auszuweiten.»
Das Pentagon gibt sich allerdings wortkarg zum Vorhaben. «Wegen betriebsmässigen Sicherheitsbedenken veröffentlichen wir keine Details über Zahlen zur Belegschaft oder über spezifische Einsätze oder Standorte, einschliesslich Informationen zur nigrischen Militärbasis in Agadez», erklärt die Pentagonsprecherin Michelle L. Baldanza in einer E-Mail und betonte, dass gegenwärtig noch keine Drohnen von Agadez aus fliegen. In den Geheimdokumenten heisst es jedoch, dass der Bau der Basis nächstes Jahr abgeschlossen sein wird.
Ein Satellitenfoto vom Mai 2016, der den Ort zeigt, gibt Auskunft über den Stand der Dinge.«Das Bild zeigt, dass die Hauptlandebahn fertig gebaut wurde», sagt Dan Gettinger, der am Bard College in New York Drohnen studiert und Drohnenbasen beobachtet. «In der Nähe der Piste gibt es eine Struktur, die ein Hangar sein könnte, allerdings befindet sie sich noch in Bau. Von der Piste führt eine Strasse zu einer US-Basis, die von einem Zaun umgeben ist. Dort gibt es Unterkünfte für die Mannschaft sowie eine Kommandozentrale. Es gibt dort alles, was man von einer Basis erwarten würde.»
Trügerische Stabilität
Gemäss den Geheimdokumenten war der Niger das «einzige Land in Norwestafrika, dass eine MQ-9-Basis zuliess». Und: «(Nigers) Präsident zeigte die Bereitschaft, bewaffnete Drohnen zu unterstützen.»
Die Militäraktivitäten der USA im Niger sind nicht isoliert. «Es gibt einen Trend in Richtung eines stärkeren Engagements und einer permanenteren Präsenz in Westafrika – im Maghreb und in der Sahelzone», beobachtet Adam Moore, der für die University of California (UCLA) eine Studie über die US-Militärpräsenz in Afrika verfasste. Seit 2001 haben die USA eine riesige Menge Militärhilfe in die Region geschüttet. 2002 hat das US-Aussenministerium zum Beispiel ein Antiterrorismusprogramm – die Pan-Sahel-Initiative – gestartet mit dem Vorwand, die Armeen von Tschad, Mali, Mauretanien und Niger zu unterstützen. Zwischen 2009 und 2013 zahlte die US-Regierung 288 Millionen US-Dollar in das Programm. Niger war mit 30 Millionen eines der Länder, die am meisten davon profitierten. Spezialeinheiten der USA trainieren regelmässig mit der nigrischen Armee und die Militärmacht hat Flugzeuge, Lastwagen und andere Ausrüstung an das arme Land geliefert, die Millionen wert sind.
«In enger Absprache mit Partnerarmeen in Westafrika, einschliesslich Niger, beteiligt sich Africom an einer Reihe von sicherheitsfördernden Massnahmen in der Sahelregion», schreibt Pentagonsprecherin Baldanza. «Diese Massnahmen fördern diplomatische und nationale Sicherheitsziele der USA und stärken die Beziehungen mit afrikanischen PartnerInnen, sie schaffen Stabilität und Sicherheit und helfen unseren afrikanischen PartnerInnen, ihre Sicherheitsrisiken anzugehen.» Diese Stabilität und Sicherheit haben sich aber als trügerisch erwiesen. 2010 stürzte zum Beispiel eine Militärjunta den nigrischen Präsidenten, als er seine Macht ausdehnen wollte. Tatsächlich wurden alle Mitglieder der Pan-Sahel-Initiative Opfer von Aufständen oder Putschs der Armee. Im Tschad gab es 2006 und 2013 Putschversuche; in Mauretanien wurde die Regierung 2005 und nochmals 2008 vom Militär gestürzt; und ein von der USA ausgebildeter Offizier stürzte den demokratisch gewählten Präsidenten von Mali im Jahr 2012. Die Region, die vor 2001 relativ verschont war von Terrorgruppen, ist nun regelmässigen Attacken durch Boko Haram ausgesetzt, eine ehemals winzige islamistische Sekte in Nigeria, die nun nicht nur ihr Ursprungsland, sondern auch Kamerun, Tschad und Niger bedroht.
Niamey müssen sie teilen
Drohnen sind schon lange ein zentraler Bestandteil der US-Aktivitäten im Niger. Die Geheimdokumente zeigen, dass der Niger 2012 eingewilligt hat, US-Drohnen in der Hauptstadt Niamey zu stationieren unter der Bedingung, dass man sie irgendwann in eine entferntere Basis nach Agadez verschiebt. Im Februar 2013 begannen die USA Predator-Drohnen von Niamey aus zu fliegen. Im Frühling verkündete ein Africom-Sprecher, dass die US-Luftoperationen dort «die Aufklärungsdatensammlung unterstützen zusammen mit französischen Einheiten in Mali und anderen PartnerInnen in der Region». Die US-Luftwaffe hat kürzlich Pläne angekündigt, die Sanitäreinrichtungen in Niamey zu vergrössern, «um eine ständige Belegschaft von 200 bis 250 am Tag zu versorgen». «Die USA teilen die Basis in Niamey mit Frankreich», sagt Drohnenexperte Gettinger. Die Basis ist «strategisch wichtig, weil im Norden Mali liegt und damit die Bedrohung von al-Qaida-Gruppen, darunter ‹al-Qaida im Maghreb›, und im Süden Nigeria mit Boko Haram». In Agadez aber, erklärt Gettinger, müssen die USA die Einrichtungen nicht mit dem französischen Militär oder mit der Zivilflugfahrt teilen. Moore von der UCLA bringt es auf den Punkt: «Die jüngste Entwicklung von Basen und Geld deutet darauf hin, dass der Niger nach Dschibuti das zweitwichtigste Land auf dem Kontinent für US-Militäroperationen wird.»