Maria Figueiredo. In Brasilien droht der Präsidentin Dilma Rousseff ein Amtsenthebungsverfahren. Der Vizepräsident Michel Temer drängt an die Macht. Die Situation im südamerikanischen Land erinnert an den Putsch vor fünfzig Jahren.
Bei einem landesweiten Aktionstag unter dem Motto «In Verteidigung der Demokratie – Nie wieder Putsch» sind am letzten Tag im März tausende BrasilianerInnen in über 30 Städten auf die Strasse gegangen. Der Protest richtete sich nach Angaben der OrganisatorInnen gegen einen von OppositionspolitikerInnen und konservativen Eliten orchestrierten Staatsstreich. «Wir wollen, dass die Wahl von 54 Millionen Brasilianern respektiert wird, die Dilma Rousseff zur Präsidentin gewählt haben», hiess es in dem Aufruf zu den Demonstrationen. Die Proteste fanden am Jahrestag eines vom US-amerikanischen Geheimdienst CIA gestützten Putsch vom 31. März 1964 statt.
Operation Condor
Ab 1964 wurde Brasilien von einer Militärdiktatur unter Artur da Costa e Silva beherrscht. Der gestürzte Präsident João Goulart musste nach Uruguay fliehen und mit ihm verschwanden die Hoffnungen auf progressive Reformen. AktvistInnen der Kommmunistischen Partei und anderen revolutionären Organisationen gingen in den Untergrund und begannen einen Guerillakampf gegen die Diktatur. Der brasilianische Staat warf DissidentInnen ins Gefängnis, folterte sie und liess sie verschwinden. Von 475 Personen fehlt laut einer brasilianischen Kommission noch immer jede Spur. Dilma Rousseff war zu jener Zeit eine Studentin und wurde aktiv in der Guerillagruppe VAR-Palmares. Sie wurde 1970 vom Militär gefangen genommen, gefoltert und für zweieinhalb Jahre in den Knast gesteckt für ihre politische Tätigkeit.
Der bewaffnete Widerstand in Brasilien wurde jedoch innerhalb weniger Jahre von der Diktatur niedergeschlagen. Zur gleichen Zeit wurden die Beziehungen zwischen den USA und Brasilien enger als je zuvor. Die USA machten das Land am Amazonas zu einer «Erfolgsstory» im Kampf gegen den Kommunismus. Laut der Untersuchung «Brasil Nunca Mais» bildeten CIA-AgentInnen wie der US-Offizier Dan Mitrione Hunderte von brasilianischen Militärangehörigen im Foltern aus, oder wie es von ihnen genannt wurde, in der «wissenschaftlichen Methode, um Geständnisse und die Wahrheit zu extrahieren». Mehrere Dokumente belegen, dass Mitrione die Foltermethoden an Strassenkindern und Obdachlosen ausprobierte. Viele dieser Methoden wurden während der US-Operation Condor angewendet, bei der Brasiliens Nachbarstaaten unter die Herrschaft von Militärdiktaturen gebracht wurden. Auf internationaler Ebene beendeten die Militärdiktaturen ihre Beziehungen mit Cuba und der Sowietunion und führten ihre Länder wieder zurück unter die Einflusssphäre der USA. Auf nationaler Ebene wurden sie dazu gedrängt, die Wirtschaft zu liberalisieren, die Exporte zu erhöhen und sich für ausländische Investitionen zu öffnen.
Regierungskoalition geplatzt
Bei den aktuellen Protesten gegen die Gefahr eines neuen Putsches beteiligten sich nicht nur Gewerkschaften und soziale Bewegungen wie «Brasilianische Volksfront» oder «Volk ohne Angst» und die Landlosenorganisation MST. Auch KünstlerInnen, FilmemacherInnen und Intellektuelle reisten in die Hauptstadt Brasilia, wo sie mit der Präsidentin zusammentrafen. Vor dem Präsidentenpalast drückten sie ihre Unterstützung für Rousseff und die regierende Arbeiterpartei PT aus. Die TeilnehmerInnen skandierten: «Es wird keinen Staatsstreich geben, sondern Kampf.» Hintergrund ihres Engagements ist ein Amtsenthebungsverfahren, das die Opposition gegen Rousseff eingeleitet hat, um sie als Präsidentin zu stürzen. Die jüngste Sitzung der Prüfungskommission endete allerdings in Tumult, Beschimpfungen und einem heftigen Handgemenge zwischen Abgeordneten.
Die Präsidentin steht zudem massiv unter Druck, weil ihre Regierungskoalition geplatzt ist. Die rechtsliberale Partei der demokratischen Bewegung (PMDB) stieg aus der Koalition mit dem PT aus und zog ihre sechs Minister ab. Tourismusminister Henrique Alves hatte schon zuvor seinen Rücktritt eingereicht. Das persönliche Verhältnis zwischen Rousseff und ihrem Vize, PMDB-Chef Michel Temer, ist zerrüttet. Temer wäre Rousseffs Nachfolger an der Staatsspitze, wenn sie durch das Parlament abgesetzt werden würde. Seine Partei arbeitet bereits an einem Regierungsprogramm, mit dem grössere Einschnitte bei Sozialausgaben vorgenommen werden sollen.
Bei der Vorstellung der dritten Phase des Wohnbauprogramms der Regierung «Mein Haus, mein Leben», sagte die Präsidentin am Mittwoch: «Viele Leute stören offenbar die 36 Millionen Menschen, die wir aus der extremen Armut geholt haben.» Rousseff zeigte sich kämpferisch und wies Forderungen aus UnternehmerInnenkreisen, sie solle zurücktreten, von sich.
Unterdessen verschärft sich die Regierungskrise weiter. Wie der lateinamerikanische Fernsehsender Telesur berichtet, legte der Sicherheitschef des Landes, Oberst Adilson Moreira, sein Amt nieder. In einem offenen Brief äusserte er scharfe Kritik an der PT und Präsidentin Rousseff. Die Ratten verlassen das vermeintlich sinkende Schiff.