In Basel hat Ende Jahr das Praisecamp stattgefunden, ein freikirchliches Lager für Jugendliche – ohne Rauchen, Drogen, Sex und Alkohol. Über 6500 Personen im Alter von 13 bis 25 haben an dieser Bibelschule im Grossformat und mit verstörenden Inhalten teilgenommen.
«Die Bibel – wir lieben sie und sind begeistert von ihr.» Das steht für Praisecamp 2016, einer Veranstaltung, die seit 2002 sporadisch von vier Trägerorganisationen (Bibellesebund, Campus für Christus, King›s Kids/JMEM, SEA Jugendallianz) und über 45 befreundeten Organisationen vor allem aus dem evangelisch-reformierten Umfeld gestaltet wird. Zeitweise fand das Lager in St. Gallen statt – nun ist wegen Platzmangel die Messehalle in Basel Veranstaltungsort geworden. Bibelschulen à la Tanzen, Beten und Singen mit Gleichgesinnten zieht so unheimlich, dass die alte Location zu klein wurde. 6500 ChristInnen im Alter zwischen 13 und 25 Jahren sollen laut Veranstalter dieses Jahr vom 27. Dezember bis 1. Januar am Camp teilgenommen haben – ohne Rauchen, Drogen, Sex und Alkohol. Es wird gelacht, gestaunt, gefeiert und vieles mehr: kurz «Kingdom Culture» – so das Fazit auch dieses Jahr wieder – Workshops, Konzerte, Predigten zum Thema «The Book/Das Wort Gottes». Das alles tönt nach einer tollen Woche mit elektrischer Musik wie «Jesus loves Electro», Hip-Hop, Shows, Party, Tanz und ganz viel Chillen. MTV für ChristInnen?
Ganz so locker, wie es tönt, wird das Bibelcamp nicht gewesen sein: «Das Christentum, wie es im Rahmen von Veranstaltungen wie dem ‹Praisecamp› zelebriert wird, ist klar fanatisch», schreibt Christian Platz auf der Basler Info-Webseite «Barfi.ch». Auch die JungsozialistInnen (Juso) fanden 2015 im «20 Minuten», dass die Messe «Homophobie und rückständigen Rollenbildern eine Plattform biete». Auch heute 2016 sagt Tamara Funiciello, die Präsidentin der Juso: «Wir müssen uns nicht wundern, wenn in unserer Gesellschaft weisse Männer nach wie vor privilegiert sind, wenn solche Veranstaltungen dermassen boomen. Dort wird klar reaktionäres Gedankengut verbreitet. Vorurteile gegen LGBT-Menschen geschürt, klassische Rollenbilder verbreitet.» Dabei hat das Praisecamp seine «Speaker» doch sorgfältig ausgewählt – eine gute Mischung von Gästen aus dem In- und Ausland, sagt der Hauptverantwortliche vom Praisecamp 2016 Peter Reusser. Grundsätzliche Inhalte im Camp waren Sexualität, Übernatürliches, Lebensführung, Selbsterkenntnis: «Wie leben wir so, wie es Gott sich für uns ausgedacht hat?» Ergänzt werden die Kerninhalte mit aktuellen Themen wie Menschenhandel oder die Situation in Europa rund um die Geflüchteten. Details für die sechs Tage sind im Internet nicht zu finden – es erstaunt auch nicht. Aufgelistet sind aber die Namen der ReferentInnen und so studiere ich ihre Predigten im Netz, die zwar zu anderen Zeitpunkten stattgefunden haben, doch thematisch genauso ins Programm gepasst hätten.
Jungs, Schwanz aus der Hand!
Zu Etienne Josi – Teil des Teams der Freien Missionsgemeinde (FGM) Frutigen – findet man eine Predigt vom August 2016 zum Thema «Freundschaft und Sexualität»: Vom «sinkenden Schiff», auf dem wir uns befinden, weil wir keine Beziehung zu Gott mehr haben, erzählt Josi und findet dann, dass wer das Gefühl hat, er brauche unbedingt Sexualität und die darunter verstandene körperliche Nähe, dessen Herz ist nicht mit Jesus gefüllt. Ist der Liebestank nicht voll mit Jesus, kommt deine Beziehung schief. Sexlos zu leben vor der Ehe ist auch eine gute Idee, weil eine «Abkürzung» in Form von vorehelichem Sex keine Option im christlichen Sinne ist. Genau im jungen Erwachsenenalter beginnt die Trainingszeit auf die Ehe hin – mit der Unterdrückung des Sexualtriebes.
Josi, der selber verheiratet ist, weiss: Deine Triebe musst du auch in einer verheirateten Partnerschaft im Griff haben. Wenn nicht, bist du ein schlechter Ehemann, und du wirst das Problem haben, deine Sexgier zu zügeln, auch auf Dienstreise oder wenn deine Ehefrau schwanger ist. Der Leiter der evangelischen Freikirche FGM Frutigen unterstreicht: Gott hat uns lieb und opferte sogar seinen eigenen Sohn für uns. Er ist wie ein Vater und es wäre «total blöd», wenn du auch nicht in einzelnen Bereichen auf ihn hören würdest. Dieser Gott ist vertrauenswürdig. Garniert ist der Vortrag von Josi immer wieder mit allerhand Schimpfwörter wie «shit» oder «kakt mi ah», damit klar wird, dass das hier keine altbackene «Stündelerpredigt» ist, sondern eine «Rock ‘n‘ Roll»-Show mit Jesus und vor allem mit Etienne Josi selber – himself, ganz im Element. Schiffbruch fängt aber schon viel früher an: Auch Selbstbefriedigung sollte man sich abtrainieren, denn sie ist «etwas massiv Schädliches für dich» – für dein Denken, deinen Körper und deine Beziehung. Überhaupt, herrsche über deine Triebe allgemein, lerne deine Gefühle zu managen! Dein Trieb soll dir folgen und nicht du ihm, und du sollst im Sinne Jesus geben und nicht deinen triebgesteuerten Bedürfnissen folgen und nehmen. Folgendes ist nach Josi das Ziel einer Beziehung: Alles als heterosexuelles Paar ganzheitlich zu erleben und Jesus zu folgen – in sein Reich. Das heisst, keine Schwerpunkte zu setzen auf Arbeit, Familie, Hobbys oder gar Sexualität. Die strengen Worte von Etienne Josi müssen zuerst einmal verdaut werden. Natürlich werden immer wieder Menschen – darunter auch Christen und Christinnen – rückfällig. Dieses schändliche Verhalten wird in freikirchlichen Kreisen nicht Sünde genannt, sondern sehr modern «Baustelle». So gibt es Wichsbaustellen, Homobaustellen, Transbaustellen, Tittenfilmbaustellen, Quicksexbaustellen, Seitensprungbaustellen, Kopfkinobaustellen, Feuchte-Träume-Baustellen – es muss sich im Freikirchenland wohl Schlimmeres abspielen als am Bahnhof Zürich!
Schnauze voll von Feministinnen
Ebenso eindrücklich ist die zweite Predigt, die ich mir auf dem Netz anhöre: Matthias Kuhn, Leiter bei der Hauskirchenbewegung «Gemeinde postmoderner Christen» hat im November 2014 über das Thema «Mann und Frau» referiert. Mann und Frau – so Kuhn – sind verschieden. Der Mann ist der Frau aber ein Gegenüber, so auch die Frau dem Mann, und sind sie mal zusammen, dann repräsentieren sie Gott. Früher im Paradies gab es den Sündenfall und als Gott nach dem Schuldigen für den angeknabberten Apfel gefragt hatte, zeigte Adam auf Eva. Am Schluss sagte Gott zu Eva: Nun soll der Mann über dich herrschen und vertrieb beide in die wüste Welt hinaus. Patriarchat, so erklärt Matthias Kuhn, wird immer falsch verstanden. Es heisst natürlich nicht, dass der Mann ein Machtmonopol über die Frau hat, sondern einfach eine andere Verantwortung im Sinn «Du bist der erste der Väter». Was heisst nun das? Gott hat das Patriarchat eingeführt, damit die Männer zuerst den Frauen die Ehre geben können in Form von Wertschätzung – eine himmlische Kultur. Nach Gott soll der Mann hier der erste sein, der diese Kultur freisetzt. Weniger gut tönen allerdings die nächsten Sätze von Kuhn: Es gibt eine Frauen- und eine Männerkultur. Männer müssen auf die von Natur aus schwächere Konstitution der Frauen Rücksicht nehmen. Der vergeblich versuchte schwungvolle Satz «Frauen sind schwächer, um stärker zu sein, sie haben grosse emotionale Intelligenz und Männer sind emotional behindert» macht das Ganze nicht besser. Warum ist das so – fragen die ChristInnen. Antwort: Gott hat es so gesagt. Wo es anders probiert wurde, hat man die Beziehung zwischen Mann und Frau falsch verstanden. Ein Beispiel dazu findet sich in der Geschichte: In Griechenland haben die Frauen die Macht ergriffen, viele Göttinnen sind Frauen und es kam nicht gut raus. Im jüdischen Glauben müssen sich die Frauen den Kopf rasieren und dann eine Perücke anziehen. Modern sind angeblich negativen Gegenbewegungen wie der Feminismus und die ganzen Genderlehren – furchtbare Geschichten –, die alles in allem eine Müdigkeitsbewegung der Menschheit sind. Kuhn hat den Schnauz voll von feministischen Vorstössen und ich schreibe Matthias Kuhn fast eine Mail, dass Jesus so etwas wie der erste christliche Feminist war (und scheinbar auch der letzte bleiben wird).
Satan hört mit
Es kommt noch schlimmer: Als ich weiter recherchiere, finde ich doch noch Workshop-Unterlagen vom Praisecamp im Netz von King‘s Kids, einem Dienst des internationalen und interkonfessionellen Missionswerkes Youth with a Mission, die auch eine der Trägerorganisationen beim Praisecamp 2016 ist. Auf einem Arbeitsblatt mit dem Titel «Das 1×1 der Freisetzung von dem Bösen» finden sich Ratschläge für Jugendliche, die sich fahrlässigerweise mit Okkultismus befasst haben, wie «Bekenne deine Sünden» oder «Trenne dich bewusst von allem Bösen, nenn‘ es beim Namen» und bitte Jesus Christus, dir zu vergeben. In einer beigefügten praktischen Checkliste können Informationen zu folgender Frage abgelesen werden: «Wer ist am Werk? Gott oder Satan?» Die Unterlagen erinnern an den Horrorfilm «Exorzist» und ich frage mich, wie passend ein solches Thema für ein Jugendcamp sein kann, wenn schon ich selber auf dem Sofa nur hinter einem Kissen verborgen gruselige Szenen anschauen kann.
«Als Linke wehren wir uns gegen solche Denkweisen. Unsere Utopie einer Gesellschaft ist gekennzeichnet von der Idee gleichwertiger, freier Menschen. Das ist weit weg von dem, was an dieser Veranstaltung propagiert wurde», meint die Juso-Präsidentin Tamara Funiciello. Der Zenit bezüglich Horrorinhalte, Homophobie, Frauen- und Männerfeindlichkeit ist aber schon längst erreicht. Seit 2014 hat das Bundesamt für Sozialversicherung mehreren christlichen Jugendverbänden Subventionen gestrichen. Begründung dazu: Die Lager würden primär zu missionarischen Zwecken missbraucht und Kinder würden instrumentalisiert. Die Jungendverbände sind entsetzt. Die Jugendallianz der Schweizerischen Evangelischen Allianz – eine Allianz evangelischer Landes- und Freikirchen und Trägerorganisation von Praisecamp – wehrt sich prompt und formuliert eine Charta für Jugendarbeit mit Punkten wie «Den ganzen Mensch im Blick haben», «Die Persönlichkeit entfalten», «Soziale Kompetenzen stärken», «Respektvoller Umgang mit Natur» und «Sinn- und Glaubensfragen gehören zu einem Grundbedürfnis von Kindern und Jugendlichen». Unter Prinzipien findet sich der Punkt «Nichtdiskriminierung», wo jede Form von Diskriminierung abgelehnt wird, welche «Geschlecht», «soziale Zugehörigkeit», Aufenthaltsstatus», «Herkunft», Rasse», «religiöse oder politische Überzeugung oder Behinderung» betreffen (aber nicht die sexuelle Orientierung!). Bis jetzt wurde die Einstellung der Subventionen nicht wieder rückgängig gemacht. Das erstaunt, glaube ich, niemanden.