Trotz Presseankündigungen gab es am Parteitag der Sozialdemokratischen Partei (SP) weder einen Rutsch der Partei nach links noch einen entfesselten Flügelkampf. Das Papier zur Wirtschaftsdemokratie wurde trotz Widerstand von rechts angenommen. Klassenkämpferisch ist es nicht. Ein Bericht vom «Zukunftsparteitag» in Thun.
«Schauen Sie nach links und schauen Sie nach rechts», verlangt Levrat von den etwa 450 Delegierten. «Schauen so etwa Revolutionäre aus? Sehen so Leute aus, die die Ordnung auf den Kopf stellen wollen?» Als er über den Rückweisungsantrag des rechten Parteiflügels zu seinem Wirtschaftsdemokratiepapier spricht, gibt sich der sozialdemokratische Parteidoyen wieder gewohnt systemtreu. Vergessen sind die vergangenen Wochen, in denen das Gespenst des Klassenkampfs durch die Presse gegeistert war, nachdem Levrat gegenüber der «Sonntagszeitung» den Kampf der Klassen als Antwort auf Fremdenfeindlichkeit genannt hatte. Mit dem Medienauftritt warb Levrat für sein Wirtschaftsdemokratiepapier, über dass die SozialdemokratInnen an ihrem Parteitag entschieden. Doch ist das Papier wirklich derart revolutionär?
Die selbe alte Leier
Kurz gesagt: Worüber die SozialdemokratInnen anfangs Dezember in Thun diskutierten, war weder kommunistische Streitschrift noch marxistische Analyse. Es war ein Wirtschaftsdemokratiepapier, wie man es von der schweizerischen Sozialdemokratie erwarten darf. Ein bisschen rhetorische Überwindung des Kapitalismus, ein paar Forderungen aus dem reformistischen Katalog der 70er (wie zum Beispiel 30 Prozent Mitsprache für die Werktätigen in den Verwaltungsräten), ein paar sinnvolle Sachen wie die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung bei gleich bleibenden Löhnen, und fertig ist das Papier, das vollmundig verkündet, die «Überwindung des Kapitalismus zu konkretisieren». Auch wenn der Forderungskatalog am Ende alles andere als revolutionär ist, scheint es für die Parteirechten immer noch zu viel. Sie verlangen, dass das Papier zurückgewiesen wird und die Partei ein Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft ablegt. Dieser Antrag wird zum längsten Traktandum des Tages. Die Diskussion wird hart geführt. Ein sozialdemokratischer Kleinunternehmer klagt von seinem Leid als Besitzer eines Betriebes und versucht, die Delegierten zu überzeugen, den Rückweisungsantrag zu unterstützen. Ein Stadtzürcher Sozialdemokrat hält dagegen: «Wer nicht eintreten will, soll abtreten!»
Am Ende wird der Versuch, das Papier zu kippen, zum Fiasko für die AdvokatInnen des Kapitals in der Sozialdemokratie. Mit 375 zu 59 wurde der gross angekündigte Flügelkampf im Keim erstickt. Als anschliessend das Papier selber besprochen wird, kann man aber sehen, dass es durchaus noch Opposition zur Linie der Parteiführung gibt. Nur kommt dieses Mal der Widerspruch nicht von rechts sondern von links. Die JungsozialistInnen (Juso) versuchten mithilfe eigener Anträge, das Papier zumindest in Teilen auf so etwas wie ein analytisches Fundament zu stellen. Einem dieser Anträge gelingt sogar ein knapper Sieg. Mit 180 zu 172 findet der Jusovorschlag mit dem Namen «Privateigentum neu denken» vorerst eine hauchdünne Mehrheit. Doch der Parteileitung und der Parlamentsfraktion der SP stösst der vage Antrag, den man auch als Forderung nach der Vergesellschaftung des Privateigentums an Produktionsmitteln lesen kann, sauer auf. Man wird Zeuge eines bürokratischen Manövers, als die Nationalrätin Jacqueline Badran einen Rückkommensantrag stellt, weil sie nicht habe reden dürfen. Für die erneute Abstimmung redet nun wieder Levrat: «Wir sind eine reformistische Partei. Wir wollen das Privateigentum nicht abschaffen!» Der wohl einzige Antrag, der zumindest in Ansätzen der Klassenkampfhysterie im Vorfeld des Parteitags gerecht wurde, fiel beim zweiten Mal mit 268 zu 164 Stimmen durch.
Sackgasse «Wirtschaftsdemokratie»
Dass die SP nicht die Kraft sein wird, die mit dem Leid und Schrecken des Kapitalismus in Zeiten der Krise aufräumen wird, hat die Partei an ihrem «Zukunftsparteitag» eindrücklich bewiesen. Die Zukunftsrezepte der GenossInnen sind letztlich vor allem ein Widergekäu von technischen Scheinlösungen, die in Zeiten des Wohlstands vielleicht vom Kapital abgetrotzt werden konnten. Der Versuch aber solche «Pflästerlipolitik» in der Krise – also in Zeiten, in denen KapitalistInnen um geringer werdende Kaufkraft konkurrieren – umzusetzen, ist von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Stellvertretend für diese Politik steht der Begriff der «Wirtschaftsdemokratie», wohinein man bequemerweise alles Mögliche nur keine konkrete Handlungsanleitung für die ArbeiterInnenbewegung interpretieren kann. Anstatt dieses System infrage zu stellen und anzugreifen, hörte man von der Parteiführung Bekenntnisse zu den Grundpfeilern der kapitalistischen Produktionsweise, und anstatt weitergehende Forderungen zu unterstützen, wurde mit bürokratischen Mitteln gegen das bisschen Klassenkampf vorgegangen. Mit ihrem «Zukunftsparteitag» gibt sich die SP nicht das Rüstzeug um vorwärtszuschreiten und die Werktätigen zu organisieren. Ganz getreu dem Motto: «Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück.«