Harald ist 26, wohnt in Zürich, ist Fussballfan und arbeitet in einem sozialen Beruf mit Kindern zusammen. Ausserdem ist er in der Kommunistischen Jugend aktiv. Tillate hat den jungen Mann bei einer PdA-Veranstaltung im Gemeindezentrum Wipkingen getroffen, weil sie wissen wollten, was Jugendliche im heutigen Europa dazu bewegt, sich politisch für den Kommunismus zu positionieren.
Was genau ist die Kommunistische Jugend und wer ist dabei?
In der Kommunistischen Jugend sind Lehrlinge, Arbeitende, GymischülerInnen und Studierende. Es sind Jugendliche und junge Erwachsene, wobei ich als 26-Jähriger zu den Ältesten gehöre. Die offizielle Grenze liegt bei 30. Bei uns machen Leute aus den unterschiedlichsten Berufen mit. Wir vertreten die Interessen der arbeitenden und ausgebeuteten Jugend, also setzen wir uns vor allem für Lehrlinge und Lohnabhängige ein. Offen stehen wir aber allen Interessierten.
Was bedeutet Kommunismus heute eigentlich genau, oder: wie kann er in der heutigen Zeit bei uns im reichen, privilegierten Europa umgesetzt werden?
Im Kapitalismus, im gegenwärtigen Gesellschaftssystem, richtet sich alles nach den Interessen der UnternehmerInnen und Reichen. Wer Geld hat, kann Lobbys und Parteien finanzieren, die seine Interessen vertreten, kann aufwändige Wahlkampagnen für die eigenen Zwecke führen und die Medien zur Verbreitung der eigenen Meinung nutzen. Gleichzeitig ist es so, dass die Reichen von der Ausbeutung der Arbeitenden leben. Ohne Armut gibt es keinen Reichtum. Wir wollen das ändern. Wir wollen ein Gesellschaftssystem, in dem die arbeitende Bevölkerung das Sagen hat und das wirklich demokratisch ist. Das ist für uns der Kommunismus, mit dem Sozialismus als Übergangsphase, weil sich das System nicht von heute auf morgen ändern lässt. Die Demokratie muss dabei auf alle Lebensbereiche ausgedehnt werden.
Jetzt zur Frage: Wer ist denn in Europa reich? Es ist eine sehr kleine Minderheit, wie in jedem kapitalistischen Land. Selbstverständlich gibt es Unterschiede. Doch während der Grossteil hart arbeiten muss, um durchs Leben zu kommen, lebt eine kleine Minderheit in riesigem Überfluss. Wir arbeiten hart und viel. Trotzdem steigt unser Lohn nicht, im Gegensatz zu den Mieten, dem ÖV und der Krankenkasse. Wir werden trotz steigender gesellschaftlicher Produktivität ärmer. Die Vermögen der Reichen explodieren dagegen. Die 300 Reichsten besitzen in der Schweiz über 600 Mrd. Das reichste Prozent besitzt beinahe die Hälfte von allem Vermögen.
Mit welchen Vorurteilen habt ihr zu kämpfen, die so einfach nicht (mehr) stimmen?
Eines der am verbreitetsten Vorurteile ist, dass der Kommunismus eine Diktatur sei, während uns von allen Seiten eingetrichtert wird, dass mehrere Parteien automatisch Demokratie bedeuten. Im jetzigen System existieren etliche Parteien, die sie sich aber in den grundlegenden Fragen kaum unterscheiden. Sie alle sind sich darüber einig, wie die Gesellschaft und die Wirtschaft aufgebaut werden muss, nämlich kapitalistisch. Im schweizerischen Nationalrat gibt es genau eine oppositionelle Stimme: Der Vertreter der Partei der Arbeit (PdA), der einzigen Partei im Parlament, die das herrschende System grundsätzlich ablehnt. Was nicht verstanden wird, ist, dass im Sozialismus Personen gewählt werden, dass es mehr um den Inhalt geht und sich nicht wie in vielen Ländern ein paar Parteien an der Regierung abwechseln, mal regieren die einen, dann die andern, aber grundsätzlich bleibt alles gleich, egal wer regiert. So ist es auch in der Schweiz. Ob die Rechte regiert oder wie in Genf eine «linke» Mehrheit, letztlich werden die Interessen der Unternehmen durchgesetzt.
Ein weiteres Vorurteil ist, dass im Kommunismus die Freiheit eingeschränkt wird. Doch wer die Möglichkeit Menschen für sich arbeiten zu lassen und sie auszubeuten als Freiheit betrachtet, der müsste konsequenterweise auch Sklaverei als eine Form wirtschaftlicher Freiheit verteidigen. Klar, das ist als Provokation gemeint. Es gibt Unterschiede. Man besitzt bei der Lohnarbeit minimale Rechte und man kann sich auswählen, von welchem Unternehmen man ausgebeutet wird. Aber der Ausbeutung selbst kann man nicht entkommen, weil man arbeiten muss, um zu überleben.
Wie passen iPhone, Netflix und Marx zusammen – geht das überhaupt?
Technischer Fortschritt ist etwas Tolles, das man dazu benützen könnte, um das Leben der Mensch zu verbessern und zu erleichtern. Durch das Internet kann man mit Menschen kommunizieren, die weit weg sind, und sich schnell informieren. Man könnte die Demokratie ausbauen. Durch bessere Maschinen müssten die Menschen weniger arbeiten. Doch im Kapitalismus führt das zu völlig anderen Entwicklungen. Menschen werden entlassen und durch Maschinen ersetzt. Mit dem Handy muss man ständig erreichbar sein, falls sich der Arbeitsplan ändert und steht unter Dauerstress. Und auf Demokratie wird verzichtet. Stattdessen besitzen Konzerne wie Google, Facebook und Co unglaublich viel Macht und überwachen uns ständig.
Ist Kapitalismus per se abzulehnen? Wenn ja, – warum?
Absolut. Das ist ein Gesellschaftssystem, bei dem sehr wenige Reiche auf Kosten der Arbeitenden leben. Es richtet sich grundsätzlich alles danach, die Profite der UnternehmerInnen zu erhöhen. Dabei wird auf Menschen und die Umwelt keine Rücksicht genommen. Millionen verhungern, obwohl für 12 Milliarden Nahrungsmittel produziert werden. Millionen sterben an heilbaren Krankheiten, weil die Unternehmen diese so teuer verkaufen, dass sich die Menschen diese nicht leisten können. Der Kapitalismus ist barbarisch!
Schliessen sich Luxus und Sozialismus gegenseitig aus? Was ist Luxus?
Das hängt von der Definition von Luxus ab. Da man Luxus nicht messen kann, ist es meiner Meinung nach sehr relativ. Brauche ich eine Villa und einen Privatjet, um im Luxus zu leben? Oder ist es nicht bereits ein Luxus, wenn die Kinder eine gute Ausbildung bekommen, wenn nichts für die Gesundheitsversorgung bezahlt werden muss, wenn man am Arbeitsplatz mitbestimmen kann und man eine angemessene Wohnung zu hat, die nicht gleich 1/3 des Lohns auffrisst?
Der Sozialismus bietet diesen Luxus, statt ihn denen, die Geld haben, vorzubehalten. Vorausgesetzt man braucht dazu keinen Privatjet 😉
Welche Themen sind euch besonders wichtig?
Da gibt es einige Themen. Uns sind die grundsätzlichen Fragen wichtig. Wir analysieren die einzelnen Situationen genau und stellen uns dabei zuerst die Frage «Wer profitiert davon? / Wem nützt es?» Da die Arbeitenden in unserer Gesellschaft ausgebeutet werden, stellen wir uns konsequent auf ihre Seite. Also kämpfen wir gegen die kapitalistischen Kriege, bei denen die Interessen der Unternehmen durchgesetzt werden, beispielsweise um die Öl-Quellen unter eigener Kontrolle zu behalten. Wir kämpfen gegen Rassismus-, Homo- und Transphobie. Für die Gleichstellung der Frauen. Für faire Bildungschancen und gegen das Zwei-Klassen-Gesundheitswesen. Für Mindestlöhne und bessere Löhne allgemein. Für gesunde Nahrung, die nicht mit Pestiziden verseucht wird, für einen schonenden Umgang mit der Umwelt. Für bezahlbare Mieten und einen kostenlosen ÖV. Schlussendlich sehen wir, dass alle Probleme beim Kapitalismus zusammenlaufen und nur im Kommunismus dauerhaft gelöst werden können.
Welche kurz- und langfristigen konkreten Ziele habt ihr?
Kurzfristig kämpfen wir gegen die Verschlechterungen der Lebensbedingungen der Arbeitenden, also gegen die explodierenden Mietpreise und ständig steigenden ÖV- und Krankenkassenkosten. Wir kämpfen für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne für die einfachen Arbeitenden (nicht die Manager). Wir stehen für die Interessen der Arbeitenden ein und haben dabei eine klare Haltung. Wir akzeptieren auch das kleinere Übel nicht. Wir müssen die Menschen und insbesondere die Jugendlichen organisieren, damit sie an den Kämpfen teilnehmen und sich mehr wehren. Wir verbinden diese Kämpfe aber auch immer mit dem langfristigen Ziel. Wir erklären, dass diese Entwicklungen aus kapitalistischer Sichtweise logisch sind, das es an unserem Gesellschaftssystem liegt und das wir den Kommunismus wollen.
Gibt es einen Unterschied zwischen linker und rechter Gewalt?
Klar gibt es den. Während bei linker Gewalt die Scheiben von Banken eingeschlagen und Parolen gesprayt werden, richtet sich die rechte Gewalt gegen Menschen, die nicht in das Weltbild der Rechten passen. Migranten und linke Aktivisten werden angegriffen. Oder sogar getötet, wenn man sich ansieht was Rechtsextreme, etwa der NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) in Deutschland angerichtet haben.
In welchen Situationen ist Gewalt zu rechtfertigen?
Beispielsweise wenn die Bevölkerung unterdrückt und verfolgt wird, so wie es den Kurden in der Türkei geht oder wenn ein Staat faschistisch wird.
Aber auch wenn gegen die Arbeitenden Gewalt angewendet wird, etwa wenn Demonstrationen oder Streiks angegriffen werden, soll man sich wehren dürfen.
Es hängt aber immer sehr von der Situation ab und wer das Ziel der Gewalt ist.
Die meisten (oder viele) kommunistischen/sozialistischen Staaten sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart haben nicht wirklich bewiesen, dass das System so funktionieren kann. Woran liegt das?
Es gab Rückschläge, was beim Aufbau eines neuen Gesellschaftssystems selbstverständlich ist. Aber Kuba ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie der Sozialismus funktioniert und weiterentwickelt wird. Trotz dem Zusammenbruch der sozialistischen Staaten in Osteuropa und der Wirtschaftsblockade durch die USA konnten die Errungenschaften (wie das kostenlose Bildungs- und Gesundheitssystem) verteidigt werden. Und aus all diesen Erfahrungen für den nächsten Aufbau des Sozialismus werden wir unsere Lehren ziehen.