flo. Mit ihrer Niederlage bei der Abstimmung über die Reform der Renten 2017 erhielten die grossen Parteien einen Denkzettel. Gewerkschaften und Wirtschaftsorganisationen wurden von Bundesrat Berset beauftragt, einen Vorschlag für eine Reform der Pensionskassen auszuarbeiten. Dieser liegt nun auf dem Tisch. Für die AHV kündigt Berset selber heftige Einschnitte an.
Weniger kosten sollen sie. Und die Wirtschaft nicht so stark belasten – der Druck auf die Renten ist gross und die Reformwunschzettel der Bürgerlichen lang. Kaum eine Frage hat in der Schweiz in den letzten Jahren derart umgetrieben, wie die Reform der Altersvorsorge. Dabei reichen die Renten oft nicht für ein würdiges Überleben im Alter. Wegen der ungenügenden Renditen war 2018 das schlechteste Jahr der Pensionskassen seit Beginn der Krise. Das Rentensystem in der Schweiz ist in Schieflage geraten. Und die Bürgerlichen wollen die Gunst der Stunde nutzen, um Konterreformen in der Altersvorsorge durchzusetzen.
Angriffe auf das Rentenalter der Frauen, Erhöhungen bei der Mehrwertsteuer, Senkung des Umwandlungssatzes, die meisten angepeilten Verschlechterungen konnten in den letzten Jahren erfolgreich bekämpft werden. Doch sie kommen immer wieder. Anfang Juli kündigte Bundesrat Berset bei einer Pressekonferenz an, dass das Rentenalter der Frauen auf 65 erhöht werden soll. Auch eine Erhöhung der Mehrwertsteuern um 0,7 Prozent hat die Regierung im Sinn. Zusammen mit einer Senkung des Mindestumwandlungssatzes entspricht der Aktionsplan des Bundesrats ziemlich genau einem Vorläufer, der 2012 in Form eines internen Papiers des innenpolitischen Departements (siehe vorwärts vom 7.Dezember 2012) die Runde machte. Einzig die lange von den Pensionskassen geforderte Senkung des Umwandlungssatzes fehlte bei Bersets Pressekonferenz. Die wurde aber durch den Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) als Teil eines Kompromisses mit den Wirtschaftsverbänden nachgeliefert.
Neben einer Senkung des Mindestumwandlungssatzes von 6,8 auf 6 Prozent, die einer Rentensenkung von zwölf Prozent entspricht, enthält die Abmachung der Sozialpartner aber auch einen Zuschlag für niedrige Renten. Dieser wird den Gewerkschaften, die bislang immer gegen Senkungen beim Umwandlungssatz gekämpft hatten, wohl den Deal schmackhaft gemacht haben. Da der Zuschlag für alle Renten gleich hoch sein, jedoch stärker durch Einzahlungen höherer Einkommen finanziert werden soll, unterstützt der Gewerbeverband als einziger Sozialpartner das Abkommen nicht. «Beim Zuschlag handelt es sich quasi um eine Art Mini-AHV im BVG», erklärt Gabriela Medici, SGB-Zentralsekretärin, im Gespräch mit dem vorwärts. «Der Zuschlag führt für Teilzeitarbeitnehmende und damit vor allem für Frauen und Personen mit tiefen Einkommen zu einer sofortigen Rentenverbesserung.» Die SGB-Mitgliedsgewerkschaften hätten das Abkommen als «akzeptabel» gewürdigt.
Nicht auf Buckel der Frauen*
Das schliesst jedoch lokalen Widerstand nicht aus. Bereits bei den Reformversuchen in der Vergangenheit kam es trotz Unterstützung durch die nationalen Gewerkschaften zu Opposition aus lokalen Gewerkschaftsgliederungen – insbesondere in der Romandie. Mit Widerstand ist in Bezug auf Bersets Pläne das Frauenrentenalter zu rechnen. Gegenüber der vorwärts erklärte Juso-Präsidentin Tamara Funiciello: «Das ist nicht nur hanebüchen, das ist dumm. Und es ist ein ganz klarer Angriff auf die Frauen*.» Schon bei der Rentenreform 2020 habe man die Probleme der Frauen* nicht ernst genommen. «Dass man das jetzt nach den Mobilisierungen zum Frauen*streik mit mindestens 500000 auf den Strassen immer noch nicht macht, ist einfach nur noch patriarchal.» Aber auch eine Mehrwertsteuererhöhung dürfte innerhalb der Linken wenig Freunde finden.
Ein System aus Kompromissen
Eine radikale Umwälzung des Rentensystems wäre dabei dringend notwendig. In den letzten fünf Jahren stieg die Zahl der Rentner*innen, die zusätzlich zur AHV Ergänzungsleistungen für die Deckung ihrer Ausgaben brauchen, konstant um 1,1 bis 2,9 Prozent pro Jahr. Steigende Gesundheitskosten haben für höhere Verschuldung im Alter gesorgt. So hat sich die Zahl der Privatkonkurse bei Verstorbenen, also Schulden, die von niemandem übernommen werden, seit 1998 verdreifacht. Besonders betroffen von Armut nach der Pensionierung: Frauen* und Niedriglöhner. Linke Parteien sehen in dieser Situation eine Stärkung der 1. Säule als Antwort. Bei der PdA wurden als Reaktion auf die Rentenreform 2020 im April 2017 Ideen aufgegriffen, die sich an die Volkspensionsinitiative von 1969 anlehnen. Damals hatte man versucht eine starke, einheitliche Altersvorsorge zu schaffen, in die die Pensionskassen integriert werden sollten. Ein Schulterschluss von Sozialdemokratie und Bürgertum zur Bekämpfung der Initiative führte zum Kompromiss, den wir heute als Dreisäulenmodell kennen.
Referendumsbögen bereits gedruckt
Auf Reformen in der 2. Säule setzt man zur Lösung des Problems Altersarmut auch beim SGB nicht. So heisst es von der SGB-Sekretärin Medici: «Alle systemischen Probleme der 2. Säule, also gerade auch die hohen Geldabflüsse an Versicherer, Vermögensverwalter und Broker, die Intransparenz und fehlende Mitbestimmung bleiben ungelöst bestehen.»
Sollten die Parteien im Parlament dem Rentenzuschlag bei den Pensionskassen ein Ende machen (solche Versuche sind zumindest von SVP und FDP zu erwarten), würde dies aber laut Medici die Unterstützung des SGB für den Kompromiss in Frage stellen. Zumindest von der Juso wird sich Berset bezüglich seiner Pläne für die 1. Säule auf Widerstand einstellen müssen. Laut Funiciello sind die Referendumsbögen bereits gedruckt.