Natalie Imboden. Der bürgerlich dominierte Nationalrat will das Mietrecht aushöhlen. In der Junisession nahm er weitgehende Vorstösse der Immobilienverbände an. Der Mieterinnen- und Mieterverband Schweiz droht angesichts der ohnehin schon unzureichenden Rechte der Mieter*innen mit dem Referendum.
Die Lobby der Immobilienbranche im Bundeshaus ist äusserst stark. Parlamentarier aus verschiedenen Immobilienverbänden – wie der Präsident des Hauseigentümerverbandes Hans Egloff aus Zürich oder die Vertreter der Westschweizer Immobilienverbände Olivier Feller und Philippe Nantermod – haben einen Frontalangriff auf das Mietrecht gestartet. Wie die Immobilienvertreter*innen ihre Interessen direkt im Bundeshaus durchsetzen, zeigte sich sehr deutlich in der Junisession im Nationalrat. Im bürgerlich dominierten Nationalrat sind sie mit Hilfe von SVP, FDP und Teilen der CVP damit durchgekommen. Ihr Ziel ist klar: Die Durchsetzung der Marktmiete und die massive Schwächung des Mieterschutzes. Dazu ist ihnen jedes Mittel recht.
Höhere Renditen für Vermietende
So sollen Vermietende die Rendite auf das investierte Kapital erhöhen dürfen. Erlaubt ist heute aufgrund der Rechtsprechung des Bundesgerichtes eine Eigenkapitalrendite von maximal 0,5 Prozent über dem massgebenden Referenzzinssatz. Dieser liegt aktuell bei 1,5 Prozent. Die Rendite will der Nationalrat auf Wunsch der Immobilienlobby auf 2 Prozent erhöhen und damit vervierfachen. Das wird zu massiven Mietzinserhöhungen führen, ohne dass diese noch als missbräuchlich angefochten werden können. Fachleute des Mieterverbandes haben gerechnet: Da die zulässige Rendite neu bei 3,5 Prozent (1,5 Prozent Referenzzinssatz plus neu zulässig zwei Prozent) liegen würde, würde beispielsweise eine aktuelle Miete von 2095 Franken monatlich auf 2470 Franken steigen. Die Erhöhung würde also satte 375 Franken pro Monat oder 4500 Franken pro Jahr betragen. Die Folgen des Vorstosses sind klar: Die Mieten in der Schweiz würden massiv steigen.
Verstoss gegen die Verfassung
Die Schweiz kennt keine Kontrolle oder Überwachung der Mietzinse, sondern einzig eine Bekämpfung von Missbräuchen. Und diese werden nur geahndet, wenn sich Mieter*innen selbst zur Wehr setzen, was sie sehr zurückhaltend tun. Die Immobilienverbände wollen aber nun mit verschiedenen Vorstössen die Bekämpfung missbräuchlicher Mieten aushebeln. Dies, obwohl die Verfassung in Artikel 109 einen klaren Auftrag gibt, im Mietwesen gegen Missbräuche vorzugehen. Ohne diese Möglichkeit für Mietende, sich zu wehren, drohen die Mieten noch viel stärker anzusteigen. Darunter hätten vor allem Familien zu leiden, die keine bezahlbaren Wohnungen mehr finden. Nach dem Willen der Immobilien-Vertreter*innen sollen Mieterinnen und Mieter etwa nur noch in Zeiten des «Wohnungsmangels» einen missbräuchlichen Mietzins anfechten können.
Entwaffnend klar formulierte Nationalrat Phillippe Nantermod seine Sicht. So fragte ihn Nationalrat Balthasar Glättli im Nationalrat: «Wenn keine Wohnungsnot herrscht, kann ein Vermieter ohne irgendeinen Grund den Mietzins auf irgendeine Höhe erhöhen und die Mietpartei hat keine Möglichkeit, sich zu wehren? Die einzige Möglichkeit ist es, eine andere Wohnung zu suchen?» Die Antwort lautete: «Selbstverständlich. Dies ist das Prinzip der Preisbildung auf dem freien Markt.» Mit diesem ultraliberalen Marktverständnis verkennt die Immobilienlobby nicht nur den Verfassungsauftrag, sondern auch die Tatsache, dass Mieter*innen strukturell in einer schwächeren Position sind. Beispielsweise ist für einer Familie mit schulpflichtigen Kindern oder auch für ältere Menschen der Wechsel des Quartiers nicht einfach. Zudem unterscheidet die Verfassung nicht, ob die betroffene Person in einem Gebiet mit oder ohne Wohnungsnot wohnt. Sie verlangt nämlich für alle Mietverhältnisse, dass in jedem Fall gegen missbräuchliche Mietzinse vorgegangen werden kann. Für die Interessen der Immobilienlobby gab es 109 Stimmen, dagegen stimmten 71 Stimmen, bei sechs Enthaltungen. Den Ausschlag gaben neben den Stimmen von SVP und FDP die Unterstützung durch eine knappe Mehrheit in der CVP-Fraktion und einzelne BDP-Stimmen.
Referendum falls nötig
Gleichzeitig verwarf der Nationalrat in der letzten Sessionswoche eine Motion des Ständerates, die den Bundesrat zu einer «ausgewogenen» Mietreform verpflichtet hätte, welche sowohl die Anliegen der Mietenden wie der Vermietenden berücksichtigt. Die Motion wurde mit 102 Nein-Stimmen gegen 82 Ja-Stimmen bei zwei 2 Enthaltungen abgelehnt. Dabei ist das heutige Mietrecht alles andere als mieter*innenfreundlich, da die Mietpartei eine missbräuchliche Anfangsmiete oder eine missbräuchliche Mieterhöhung selbst anfechten muss. Und wenn der Referenzzinssatz sinkt, muss ebenfalls die schwächere Mietpartei einen tieferen Zins verlangen.
Zusammen mit bereits behandelten Vorstössen, die in die gleiche Richtung gehen, drohen daher massive Verschlechterungen für die Mieter*innen. Die neu überwiesenen Vorstösse müssen noch vom Ständerat behandelt werden. Insgesamt führen die Vorschläge zu einer gravierenden Schwächung des Mieterschutzes und würden den Mieter*innenfrieden in der Schweiz gefährden. Die Folge wäre ein massiver Anstieg der Wohnkosten. Dagegen wird sich der Mieterinnen- und Mieterverband Schweiz wehren, wenn nötig auch mit einem Referendum.
Natalie Imboden ist Generalsekretärin des
Mieterinnen- und Mieterverbands Schweiz
Vorwärts-Link: https://www.vorwaerts.ch/inland/angriff-auf-die-mieterinnen/