Millionen in der EU sind ohne Arbeit. Das darf nicht sein, finden die Unia-Ökonomen Beat Baumann und Christoph Bucheli. Sie wollen die Konzerne mit einer Vorgabe dazu bringen, mehr Jobs zu schaffen. Ein Vorschlag gegen die Massenarbeitslosigkeit.
Was ist Europas grösstes Problem? Die Flüchtlinge? Der grassierende Populismus? Einstürzende Autobahnbrücken? Nichts von alledem. Unia-Ökonom Beat Baumann sagt klipp und klar: «Es ist die Arbeitslosigkeit.» Rund 14 Millionen Menschen sind auf der Suche nach Arbeit und finden keine. Sie müssen unten durch, sind abhängig vom Staat und versinken oft in Depression. Doch diese Tatsache findet politisch keinen Niederschlag. Im Gegenteil, die Medien jubeln, es herrsche «nahezu Vollbeschäftigung». Und sie nehmen geschönte Arbeitslosenzahlen für bare Münze. Zum Beispiel aus dem Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco): In Wahrheit sind in der Schweiz nicht 2,4 Prozent erwerbslos, wie das Seco angibt, sondern doppelt so viele.
Vollbeschäftigung als Leitidee
Schönmalerei nützt den Arbeitslosen nichts. Ihnen würde es mehr bringen, wenn die Konzerne endlich wieder investieren und mehr Jobs schaffen würden, anstatt ihre hohen Gewinne in die Taschen von ManagerInnen und AktionärInnen umzuleiten. Das ist die Grundidee von Beat Baumann und Christoph Bucheli, beide Ökonomen in der Unia-Zentrale in Bern. Sie haben die Idee einer «Europäischen Beschäftigungsvorgabe» (EBV) kreiert. Hat dieses Kürzel gar das Potenzial, zu einer neuen Leitidee der Linken zu werden? Ein epochales Ziel, für das sich viele Leute über die Parteigrenzen hinweg engagieren könnten? Baumann und Bucheli sehen gute Chancen. Vollbeschäftigung sei einmal das grosse Thema der ArbeiterInnenbewegung gewesen. Noch in den 1970er-Jahren sei sie das selbstverständliche Ziel jeder Wirtschaftspolitik gewesen.
Doch dann verschwand das Wort still und leise aus dem politischen Vokabular. Heute gilt Vollbeschäftigung meist nur noch als «frommer Wunsch» von TheoretikerInnen, die sich am Schreibtisch eine bessere Welt zusammenzimmern. Baumann und Bucheli sind aber überzeugt, dass es immer noch möglich ist, allen eine Arbeit zu verschaffen. Nach ihren Berechnungen müssten in der EU zwölf Millionen neue Stellen geschaffen werden. Dann wäre die Arbeitslosigkeit unter die Zwei-Prozent-Schwelle gedrückt, und man könnte von Vollbeschäftigung sprechen. Mit der Beschäftigungsvorgabe wären die Konzerne gezwungen, ihren Stellenbestand um 35 Prozent zu erhöhen.
Alternative zu Abschottungsideen
Ist es nicht eine reine Utopie zu glauben, dass EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker den Konzernen je eine solche Vorgabe machen wird? Beat Baumann pariert die Frage mit dem Hinweis: «Wir leben in Zeiten des Umbruchs. Vieles ist plötzlich möglich, was vorher undenkbar erschien.» Auch die EU werde sozialer. Wichtig ist ihm, dass es wieder eine gewerkschaftliche Vision gibt. Eine Alternative zu Abschottungsideen oder einem bedingungslosen Grundeinkommen, von dem niemand weiss, wie es herauskommen würde. Baumann: «Wir wollen die Diskussion auf die sozialen Probleme lenken.» Einen Anfang haben die beiden Unia-Fachleute gemacht. Jetzt wollen sie ihre Idee bei den internationalen Gewerkschaftsverbänden einspeisen. Denn eine Beschäftigungsvorgabe mache wegen der drohenden Abwanderung von Firmen nur auf EU-Ebene Sinn.
Laut Baumann würde sie auch den Arbeitnehmenden im Nicht-EU-Land Schweiz etwas bringen. Jede zehnte Stelle hierzulande stammt nämlich von einem multinationalen Konzern mit Sitz im Ausland. Die Schweiz würde sich freiwillig einer Beschäftigungsvorgabe anschliessen, so die Erwartung. Denn dadurch würde verhindert, dass Stellen in die EU verlagert werden. Baumann sieht auch positive Effekte bei der Migration innerhalb von Europa: «Wenn es Vollbeschäftigung gibt, dann bedeutet dies, dass die Menschen in ihrem Land Arbeit finden und nicht auswandern müssen.»
Die Unia-Idee
Die Europäische Beschäftigungsvorgabe nimmt die Konzerne in die Pflicht. Sie soll Firmen mit über 250 Mitarbeitenden dazu bringen, mehr Stellen zu schaffen. Und zwar so: Die EU-Kommission setzt Vollbeschäftigung als Ziel. Die Arbeitslosigkeit darf nicht mehr als 2 Prozent betragen. Die Konzerne erhalten eine Vorgabe, um wie viel Prozent sie die Anzahl der Stellen und die Personalausgaben erhöhen müssen. Diese Vorgabe wird jährlich so lange wiederholt, bis das Ziel von höchstens 2 Prozent Arbeitslosigkeit erreicht ist. Die Konzerne können entweder die Arbeitszeit reduzieren und die Arbeit auf mehr Leute verteilen. Oder sie können investieren und mehr Jobs schaffen. Beides kann auch kombiniert werden. Die Konzernleitungen verhandeln mit den Betriebsräten über die Umsetzung der Vorgabe. Das Konzept der EBV ist in einer Kurz- und Langfassung erhältlich bei: ebv@unia.ch
Der Artikel ist bereits in der Zeitung «work» erschienen