Trotz Stimmenverlust behält die türkische Regierungspartei AKP mit der ultrarechten MHP die Mehrheit im Parlament. Recep Tayyip Erodgan bleibt weiterhin Präsident und kann seine autoritäre Herrschaft ausbauen. Es dürfte Wahlbetrug stattgefunden haben.
Am 24. Juni 2018 wurden in der Türkei die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen durchgeführt. Recep Tayyip Erodgan hatte die für November 2019 vorgesehenen Wahlen vorgezogen. Obschon der Opposition bewusst war, dass Erdogan mit dieser Massnahme einem möglichen Putsch oder dem Verlust der Unterstützung zuvorkommen wollte, willigten sie ein und traten die Wahlen unter unfairen Bedingungen an. Ziel der Opposition war es, die Präsidentschaftswahlen in eine zweite Runde führen, wobei Erdogan gegen Muharrem Ince von der sozialdemokratischen CHP antreten sollte. Am Sonntag, 24. Juni wählten die in der Türkei lebenden BürgerInnen. Danach wurden die Stimmen ab fünf Uhr Abends gezählt und im Fernsehen ausgestrahlt. Was im Fernsehen ausgestrahlt und was auf der Webseite des Höchsten Wahlausschusses (YSK) veröffentlicht wurde, stimmte nicht überein. Während im Fernsehen zum Beispiel 90 Prozent der Stimmen ausgezählt waren, waren es auf der Seite der YSK erst 40 Prozent. Schliesslich präsentierte sich Erdogan mit 52 Prozent der Stimmen vor der Presse und bedankte sich für die Wiederwahl. Er ernannte sich somit selber zum Präsidenten. Man könnte jetzt schreiben, dass die Wahl nicht wie erhofft ausging, es wäre allerdings naiv, zu denken, dass die Demokratie in der Türkei etwas verändern würde. Nicht mal ein Hauch von der bürgerlichen Scheindemokratie ist übrig. Zudem, die repressive, polarisierende, gewalttätige Atmosphäre über die Jahre der AKP-Regierung, die islamistische Mentalität und die Rückendeckung der nationalistischen MHP liess das konservative Bündnis die Stimmen einsammeln. Der Institutionalisierung des Faschismus steht fast nichts mehr im Weg, ausser das Volk zieht neue Schlüsse, organisiert sich und ändert das System.
Stimmenverlust für AKP
Zu beachten sind die Zustände während der Stimmabgabe in den östlichen und südlichen Städten der Türkei. Mehrere Wahlbetrugsversuche wurden vom Morgen an gemeldet. Vor den Türen der Wahllokale wurden zur Überwachung bewaffnete Männer gestellt, was eine klare Angstmacherei war. Trotz den gestohlenen Stimmen schaffte es die am meisten benachteiligte Partei HDP, eine linke, prokurdische Bündnispartei, mit 11,7 Prozent über die 10-Prozent-Wahlhürde. Ihr Präsidentschaftskandidat Selahattin Demirtas erzielte beachtliche 8,4 Prozent und landete auf dem dritten Platz. Die AKP (42,6 Prozent) und MHP (11,1 Prozent) haben trotz dem Triumph einige Stimmen verloren (zusammen rund sieben Prozent weniger). Man kann sagen, dass nun etwa die Hälfte der Bevölkerung hinter und die andere Hälfte gegen Erdogan steht. Der Stimmenverlust für die AKP war absehbar aufgrund der starken Inflation, erzeugt durch die Politik der AKP-Regierung. Sichtbar war der Trendwechsel vor allem in den Grossstädten aller Regionen, in denen sich die ArbeiterInnenquartiere befinden. Sogar in den Hochburgen in Südostanatolien wurde eine Verminderung der AKP-Wählerschaft von durchschnittlich 9 Prozent gezählt.
Ohnmachtsgefühl
In der Nacht, als das Ergebnis fest stand, hätte man einen Aufstand erwarten können. Doch weder in der Türkei noch in der Schweiz ging man auf die Strasse. Die Völker der Türkei sind sich daran gewöhnt, in solchen Fällen auf ihre AnführerInnen zu hören und auf ihren Aufruf auf die Strassen zu gehen. Die PräsidentschaftskandidatInnen bevorzugten es aber, vorerst zu schweigen. Es kamen Gerüchte auf, dass Recep Tayyip Erdogan die Opposition, vor allem den Favoriten Ince, bedroht habe. Zumal drohte Erdogan öfters mit seinen ultranationalistischen, bewaffneten AnhängerInnen, die seit dem Putschversuch 2016 jegliche Oppositionelle auslöschen möchten. Diese AnhängerInnen könnten laut Gerüchten im Falle eines Aufstandes bewaffnet zuschlagen Es wurde also geschwiegen. Am nächsten Morgen erklärte Muharrem Ince (CHP), dass er den Wahlsiege Erdogans anerkennt. Demokratische Kräfte hatten vor den Wahlen auf einen antifaschistischen Block zwischen HDP und CHP und auf eine Restauration der Demokratie gehofft. Muharrem Ince war daraufhin schnell zum Favorit geworden. Wieder einmal endete diese GEschichte, wie wir es kennen:
Auf die SozialdemokratInnen ist letzlich kein Verlass. Die Macht Erdogans führte zum Ohnmachtsgefühl, das noch anhält.
Was soll man noch tun?
Durch eine Gesetzesveränderung im Jahr 2017, welche dem Präsidenten erlaubt, Entscheidungen unabhängig vom Parlament zu fällen, bereitete Erdogan seine autoritäre Herrschaft vor. Die Repression unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung weitet sich nun auch auf die progressiven SozialdemokratInnen, KünstlerInnen, normale BürgerInnen aus. Dieser undemokratische und inhumane Ausnahmezustand wird nach Erdogans Worten nicht mehr verlängert werde. Durch die Entscheidungsmacht und Mehrheit im Parlament wird dieser Zustand nun nicht mehr Notstand genannt, er wird aber zum alltäglichen Zustand. Die Wirtschaftskrise, die die AKP-Regierung verursachte, hat ein solches Ausmass angenommen, dass eine Verbesserung unmöglich ist. Die Kreditschulden stiegen, Inflation herrscht, Fabriken wurden verkauft, ArbeiterInnen wurden entlassen, die Eigenproduktion wurde gestoppt, nur noch Importware ist erhältlich. Nun versucht Erdogan, die Massen mit grossen Worten zu beruhigen. Dazu gehört seine Drohung, die Zentralbank in die eigenen Hände zu nehmen, was unwahrscheinlich oder folgenlos bleiben wird, da er vor den Wahlen die Zinsen um 5 Prozent erhöht hatte und versucht, internationale InvestorInnen anzulocken. Ins Parlament wird zudem eine neue ultranationalistische Partei, die IYI Parti, dazustossen, die sich mit ihren nationalistischen und kapitalistischen Positionen schnell mit den anderen rechten Parteien verbinden wird. Die HDP hingegen wird wieder zum gemeinsamen Feind erklärt und bekämpft werden. Daher ist es jetzt umso mehr die Aufgabe aller demokratischen, sozialistischen Kräfte, sich in einer antifaschistischen Front zu vereinen. Die Wahlbeteiligung lag bei 88 Prozent. Boykott-Aufrufe und Stimmenthaltungen werden bloss den islamistisch-konservativen und neoliberalen Einfluss in der Gesellschaft fördern. Der Faschismus ist da, unterstützt von 52 Prozent der Bevölkerung. Einheit und Mobilisierung ist gefragt statt Spaltung und Chauvinismus!
Seyhan, KJ Basel