L. R. Von 1964 bis 1969 bestand eine «Junge Sektion» der PdA Zürich. Sie war charakteristisch für eine Gruppierung der Neuen Linken mit ähnlichen Ansichten und Inhalten, aber auch mit denselben Vorbehalten und Anschuldigungen gegenüber der traditionellen Linken.
1964 akzeptierte die PdA Zürich die Gründung einer Jungen Sektion (JS) ihrer Partei, obwohl die Bildung von «Spezialsektionen» in ihren Statuten nicht vorgesehen war. Bereits fünf Jahre später wurden die Mitglieder dieser Sektion darüber informiert, dass «der Parteivorstand sich leider gezwungen sehe, die ‹Junge Sektion› mit sofortiger Wirkung als Organisation der Partei aufzulösen». Wenige Tage später, anfangs Oktober 1969, traf sich ein Teil der ehemaligen Mitglieder der Jungen Sektion und beschloss den Austritt aus der Partei.
Was waren die Streitpunkte zwischen den Jungen und der Parteileitung? Wie manifestierten sich die Meinungsverschiedenheiten? Wie wurde der Konflikt thematisiert und ausgefochten und wieso kam es zur Eskalation, die schliesslich zur Auflösung der JS führte? Die unterschiedlichen politischen Auffassungen der Alten und der Jungen führten zu Kontroversen in mannigfaltigen Bereichen. Im Verlaufe meiner Arbeit hat sich gezeigt, dass die Jungen ideologisch, rhetorisch und strategisch der Neuen Linken zugehören, dass sie deren Anschauungen, Strategien und Forderungen teilten. Es hat sich herausgestellt, dass die JS charakteristisch für eine Gruppierung der Neuen Linken agierte, mit ähnlichen Ansichten und Inhalten, wie sie auch in anderen Ländern vertreten wurden und mit denselben Vorbehalten und Anschuldigungen gegenüber der traditionellen Linken.
Aus der «Jugend gegen atomare Aufrüstung»
Trotz einiger Neuerungen im Parteiprogramm und der Betonung eines «Schweizer Weg zum Sozialismus», stand die PdA Ende der 50er Jahre, zumindest in der Deutschschweiz, kurz vor ihrem Zusammenbruch. Dies nicht zuletzt in der Folge der Niederdrückung des Ungarnaufstandes, der eine Verstärkung des Antikommunismus zur Folge hatte. Zudem war die Partei stark überaltert, die Jugendarbeit war fast gänzlich vernachlässigt worden. Aus dieser Not heraus entstand die Idee, das neue politische Klima, das einen Teil der Schweizer Jugend erfasst hat, zu Gunsten der Partei zu nutzen. So wurde die JS in die PdA aufgenommen.
Diese Junge Sektion formierte sich im August 1964. In einem Artikel zur ihrer Entstehung, der im vorwärts erschien, wies der Autor darauf hin, dass der Ursprung der Gruppe in der Arbeitsgemeinschaft «Jugend gegen atomare Aufrüstung» liege, die 1963 die Organisation und Durchführung der ersten Anti-Atomwaffen-Ostermärsche mitinitiiert und -propagiert hat. Der Autor diesem Ereignis eine politisierende, bewusstseinsbildende Wirkung auf die teilnehmenden Jugendlichen zu.
So trat also die JS 1964 der PdA bei. Sie bestand darauf, eine Organisation der PdA zu sein, und wehrte sich vehement gegen Vorwürfe der «bürgerlichen Presse», sie sei von der Parteileitung als Instrument zur «Verführung eines jugendlichen Idealismus» gegründet worden.
Teil der Neuen Linken
Die JS kann meiner Meinung nach als der 68er Bewegung betrachtet werden.
Der Abgrenzung der Neuen Linken von der Alten Linken lagen zeittypische Anlässe wie die Geheimrede Chruschtschows 1956, die Unterdrückung der Demokratiebewegung in Ungarn oder die Aufrüstung der Nato durch Atomwaffen zugrunde. Viele Mitglieder der ehemals traditionellen kommunistischen und sozialistischen westlichen Parteien kehrten diesen den Rücken und begaben sich auf die Suche nach einem neuen Modell, nach einer Neuen Linken. Diese DissidentInnen, oft waren es Intellektuelle, kamen zu dem Schluss, dass für den Ausbruch aus der geistigen Stagnation und der politischen Apathie eine Neudefinition des Sozialismus vonnöten sei.
In ihrer Gründungserklärung vom 6. August 1964 bezichtigte die JS die PdA der ökonomistischen Beschränkung: «Auf Grund unserer spezifischen Situation muss der politische Klassenkampf neben dem wirtschaftlichen Klassenkampf, der zum täglichen Brot jedes Sozialisten gehört noch stärker auf der geistig-kulturellen Ebene geführt werden. (…). Forderungen, die zur Zeit einer wirtschaftlichen Notlage des arbeitenden Volkes erhoben wurden, sind unter den veränderten Verhältnissen zur leeren Phraseologie herabgesunken und übersehen die geistig-existentielle Notlage des heutigen arbeitenden Schweizers.»
Die JS bezog sich hier deutlich auf den theoretischen Fundus der Neuen Linken. Eine zentrale Divergenz zwischen den ExponentInnen der Neuen Linken und denjenigen der Alten Linken betraf die Analyse der Gesellschaft. Anders als bei der Alten lag der Fokus der Neuen Linken nicht mehr primär auf der politischen Ökonomie und der Frage der Arbeits- und Produktionsverhältnisse der ArbeiterInnenklasse, sondern zielte gegen die Apathie der Gesellschaft in kulturellen, sozialen und gesellschaftlichen Bereichen. Die primäre Kritik der Neuen Linken war daher in erster Linie eine Kulturkritik. Prioritäres Ziel war nicht mehr nur eine Verbesserung der ökonomischen Verhältnisse des Proletariats, sondern eine Aufhebung der Entfremdung des Menschen in allen Lebensbereichen. Der Weg zu dieser Transformation müsse, diese Ansicht teilten die ExponentInnen der Neuen Linken, über die Bewusstseinswerdung geschehen, nur dies könne zur Demokratisierung und Mitbestimmung in allen Lebensbereiche führen.
Eine geistig-kulturelle Krise
Die JS vertrat die Meinung, dass die Gesellschaft in einer geistig-kulturellen Krise verharre, die bewältigt werden müsse. Durch Aufklärung und Aktion müsse jeder Einzelne dazu gebracht werden, die «Manipulation» wahrzunehmen.
Wie dieser «Bewusstseinswandel» in der Bevölkerung vorangetrieben werden könne, beschrieb Franz Rueb, PdA-Kantonsrat, 1968 im vorwärts. Er pries «das tief revolutionäre Engagement», das von den fortschrittlichen StudentInnen und jungen ArbeiterInnen ausging: «Diese neue Art zu kämpfen, die Anliegen verständlich zu machen, die politischen Auseinandersetzungen auf die Strasse zu tragen und den Bürger und Spiesser zu provozieren, mit ihm aber auch demokratisch zu diskutieren, das ist zunächst erst eine Frage der Form. Dieser neuen Form der antiautoritären Revolte der Jugend kann sich kein Engagierter mehr entziehen. Wer tatsächlich mehr im Sinne hat als die Reallohnerhöhung, der reiht sich in diese Reihen ein.»
Es wäre falsch zu behaupten, dass die JS der Ökonomie keine Beachtung zollte oder ihre Wichtigkeit unterschätzte, doch wollte sie den Kampf auf alle Bereiche des Lebens ausdehnen, die gesamte Gesellschaft und vor allem ihre Wert- und Moralvorstellungen verändern.
Die Mitglieder der JS waren der Meinung, dass der Kampf um die «materielle Existenz» peripher sei, da es der Schweiz und auch den Arbeitern materiell gut gehe, und hielten der PdA vor, dass diese «das Proletariat» noch immer als «Basis für ihre politische Praxis» betrachte.
Mit der Verlegung des analytischen Fokus der Neuen Linken, von wirtschaftlichen hin zu kulturellen Fragen, veränderte sich auch der Blickwinkel auf das gesellschaftliche Subjekt, das den sozialen und kulturellen Wandel herbeiführen und umsetzen sollte.
Apathie dank Wohlstand
Marco Pinkus, ein Mitglied der JS, sagte in seiner 1.Mai- Rede von 1968: «Diese Situation hat in jüngster Zeit neue Kreise der Bevölkerung bewogen, diese Gesellschaft in Frage zu stellen. Wer sind diese Kreise? Es sind diejenigen, welche die Manipulation dank ihrer Ausbildung am besten durchschauen können und infolge ihrer Berufssituation am unmittelbarsten darunter leiden. Es sind Intellektuelle, Freischaffende und vor allem Jugendliche.» Weiter war der Redner der Überzeugung, dass diese «junge Intelligenz» sich zu einer «weltumfassenden Bewegung», «eine neue, erst im Entstehen begriffene linke Oppositionsbewegung» entwickle und dass es eher dieser und nicht der Arbeiterschaft gelänge, die Revolution durchzusetzen. Als Ursache für die Wichtigkeit einer «neuen» TrägerInnengruppe für den Wandel, machte die JS die Apathie der ArbeiterInnen verantwortlich. Grund für diese sei vor allem der «Wohlstand». Dank der Konjunkturlage und der Forderungen der ArbeiterInnenbewegung hätten ein Gros der ArbeiterInnen eine «materielle Besserstellung» erfahren, darum sei «das Bewusstsein, zur Arbeiterschaft zu gehören, und der Wille zur Umwälzung dieser Gesellschaft in eine sozialistische» verloren gegangen, was zu einer «fast vollständigen Ablehnung des Kampfes um den Sozialismus» geführt habe. Die Folge davon sei, dass die PdA, die ja im eigentlichen Sinne eine ArbeiterInnenpartei sei, «vor einer völlig neuen Situation» stehe. Dieser, so das Mitglied der JS, sei es bisher aber nicht gelungen «die Synthese zwischen revolutionärer Aufklärung und Sozialpolitik herauszubilden», darum sei es an der Zeit, dass sich die Partei wieder in den gesamtgesellschaftlichen Diskussionsprozess einbringe.
Weg vom «Boden des Marxismus»
Die Kritik an der PdA, dass sie immer noch an der Arbeiterschaft als revolutionäres Subjekt festhalten würde, sowie die Forderung der Jungen, die neue Avantgarde der Jugend als Träger des Transformationsprozesses anzuerkennen, wurde von der Parteileitung offensichtlich scharf zurückgewiesen: Marco Pinkus erhielt für die Rede einen Verweis, da diese «nicht zur Feier passte und auch nicht für die Öffentlichkeit, sondern höchstens parteiintern am Platz gewesen wäre».
Die (Selbst-)Ernennung der jungen Intelligenz zum «neuen revolutionären Subjekt» stellte die Parteileitung vor die Frage ihrer eigenen Existenzberechtigung. Praxis und Theorie der PdA beruhten auf der Errichtung des Sozialismus, der durch den Sieg der ArbeiterInnenklasse erreicht werden sollte. Durch die divergierenden Ansichten der JS angegriffen, reagierten die älteren Parteimitglieder mit Unverständnis und Gegenangriff. In einem Artikel über Herbert Marcuse im vorwärts bekundete Georg Hartmann seine Abneigung gegen die Idee einer Umorientierung hin zur jungen Intelligenz. Zwar bezog sich der Artikel nicht explizit auf die Konzeption der JS, doch machte der Autor keinen Hehl daraus, wie er über die «Ersetzung» der Arbeiterschaft durch die junge Intelligenz dachte: Er schimpfte Marcuse einen «Antimarxisten», der «das Proletariat links liegen» lasse und «das Heil» nicht von der «unterdrückten Klasse des Proletariats» erwarte, sondern von «ein paar kleinbürgerlich-anarchistischen Intellektuellen». Damit habe Herbert Marcuse den «Boden des Marxismus» unzweifelhaft verlassen.
Kritik am Parlamentarismus
Einer der fundamentalen Konflikte zwischen der JS und der PdA entbrannte aufgrund der Integration der PdA in die Parlamente und den damit einhergehenden Arbeitsmethoden der Partei.
Die JS stellte den Programmpunkt des «parlamentarischen Weges zum Sozialismus» aus dem Parteiprogramm von 1959 in Frage. Sie forderte die Mutterpartei auf, sich der «Integration in die ‹demokratischen› Formalparlamente zu entziehen, deren demokratisches Feigenblatt und Legitimation» sie sei. Die Kritik am Parlamentarismus begründete die JS damit, dass die wesentlichen Entscheidungen ohnehin ausserhalb des Parlamentes gefällt würden und im Interesse einzelner Wirtschaftsgruppen lägen. Das Parlament handle nicht die Interessen der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen aus, sondern decke die Konflikte zu und unterstütze so die Manipulation der Öffentlichkeit.
Die Kritik an der Partei lautete folgendermassen: «In der Partei wird praktisch keine theoretische Schulung betrieben, deshalb der niedrige Bewusstseinsstand vieler Genossen, deshalb auch die katastrophalen Zusammenbrüche des Mitgliederstandes bei weltpolitischen Ereignissen, die die Standfestigkeit des Bewusstseins auf die Probe stellen. Weitaus der grösste Teil der Parteisektionen ist fast völlig inaktiv, verschlafen, es sind leblose Zirkel, die mehr der Form halber weiter bestehen. Die ‹revolutionäre› Basisarbeit des aktiveren Teils erschöpft sich normalerweise im Sammeln von Initiativunterschriften oder im Verteilen von Wahlflugblättern.»
Die JS forderte von der Partei insgesamt eine neue Zielsetzung: Nicht der Gewinn von möglichst vielen Parlamentssitzen oder WählerInnen müsse im Zentrum der politischen Arbeit stehen, sondern eine Bewusstseinsänderung der Massen. Die PdA müsse sich vermehrt ausserparlamentarischen Aktionen und Aufklärung statt dem Wahlkampf widmen.
Abschliessend wurde betont, dass die unfruchtbaren Arbeitsmethoden der Partei sehr viel mit der personellen Besetzung zu tun hätten, weshalb es nötig sei, das Zentralkomitee mit «frischem Blut» zu beleben, wobei nicht das Alter, sondern die Denkfähigkeit massgebend sein soll. Die JS sah sich als dieses «frische Blut».
Parteiaufbau: Jahre harter Arbeit
Die Forderungen und die Kritik der JS hatten auf die Parteileitung eine abwehrende Wirkung. Jean Vincent, Mitglied des Sekretariats der PdAS, griff die Kritik der JS 1968 in einem Artikel im vorwärts auf und wies die Jungen in die Schranken. Einerseits hielt er fest, dass der Aufbau der Partei «zehn, zwanzig, dreissig Jahre harter Arbeit, Mensch um Mensch, Gruppe um Gruppe, Sektion um Sektion» gekostet habe. Die JS existierte zu diesem Zeitpunkt gerade mal vier Jahre und die meisten Mitglieder waren erst seit kurzer Zeit politisch aktiv. Mit der Bezugnahme auf die Dauer und Intensität, mit welcher die alten Mitglieder die Partei aufgebaut und verfolgten hätten, verdeutlichte der Autor, dass Einwände der JS auf taube Ohren stiessen, und er fügte gleich noch eine suggestive Drohung an. Diese Geschichte erkläre «unsere tiefe Verbundenheit mit dieser Partei, die wir selbst aufgebaut haben. Das erklärt auch, dass wir nicht erlauben werden, sie weder von aussen noch von innen zu zerstören». Auch ihre Kritik am Parlamentarismus wies er zurück. Er verkündete, dass es unrichtig sei «zu sagen, dass alles auf Wahlkämpfe und die parlamentarische Arbeit zugeschnitten sei und das Übrige nur ‹verbale› Positionen seien». Denn, so meinte er, «gerade in einem Land wie dem unsrigen, in dem die direkte Demokratie die repräsentative ergänzt, sind Initiativ- und Referendumsrecht (von uns häufig ergriffene) Gelegenheiten, die öffentliche Meinung der Arbeiter und des Volkes zu mobilisieren». Vincent negierte die Ansicht, dass die Partei «zu viel» parlamentarische Arbeit leiste, gab aber zu, dass es schwierig sei, Agitation und Propaganda ausserhalb des Parlaments zu betreiben. Und herausfordernd fügte er an, dass es von Vorteil wäre, wenn die KritikerInnen auch gleich ein «Rezept» beilegen würden, wie die Partei vorgehen solle, wie es möglich wäre, die «ideale Verbindung zwischen dem Tageskampf und der Verwirklichung der Endziele herzustellen».
An der Sowjetunion orientiert
Die Gründe für die verhärteten Positionen auf beiden Seiten lagen im Konflikt zwischen zwei Organisationsformen der Linken. Zwei Generationen linker AktivistInnen trafen aufeinander. Die meisten Mitglieder der Parteileitung waren schon bei der Parteigründung oder zumindest seit den 50er Jahren in der Partei aktiv. Bis zum Jahre 1956 orientierte sich die PdA stark an der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU), die sie als die Führerin «im Kampf der Völker» betrachtete. Die Sowjetunion blieb danach, unter einzelnen Vorbehalten, das Vorbild der Partei. Auch hatten viele ältere ParteigenossInnen für ihre politische Gesinnung in den extremsten Zeiten des Antikommunismus einen hohen Preis bezahlt: Mit dem Verlust des Arbeitsplatzes, der Wohnung und gesellschaftlichen Diffamierungen und Repressionen. Die Kritik der Jungen, die erst seit wenigen Jahren politisch aktiv waren, musste den älteren ParteigängerInnen als Affront erscheinen, warfen diese ihnen doch vor, keine richtige marxistisch-leninistische Partei zu sein, gleichzeitig kritisierten sie aber auch die Nähe zur UdSSR und den «Schweizer Weg zum Sozialismus». Für ersteres wurden die älteren Parteimitglieder von den bürgerlichen Parteien jahrelang diffamiert und diskriminiert. Die Nähe zur UdSSR bestritten sie zwar nicht gänzlich, glaubten aber, sich mit der Teilnahme am Parlamentarismus und der Proklamation eines «eigenen Weges zum Sozialismus» genug distanziert zu haben, als dass man ihnen diese Nähe noch hätte vorwerfen können. Sie verstanden dies als Kompromiss, um am politischen Geschehen der Schweiz mitwirken zu können.
Einmarsch in die CSSR
Der Einmarsch von sowjetischen Truppen in die Tschechoslowakei (CSSR), in ein anderes kommunistisches Land, dessen Ziel nicht die Abschaffung des Kommunismus, sondern die Schaffung eines Reformkommunismus war, spaltete die KommunistInnen in ganz Europa.
Edgar Woog, der Zentralsekretär der PdAS, schrieb noch wenige Monate vor dem Einmarsch in hoffnungsvollen Worten über die Reformbestrebungen: «Die nun in der CSSR eingeleitete Entwicklung wird begrüsst. Die konsequente Demokratisierung wird nicht nur im Lande selbst zu einem erfreulichen Aufschwung führen. Auch in den kapitalistischen Ländern wird der Sozialismus von immer breiteren Kreisen der Werktätigen und der Intellektuellen, insbesondere der Jugend, wieder als erstrebenswertes Ziel anerkannt werden.» Schon wenige Wochen später, nur einige Stunden nach dem Einmarsch, wurde auf der Frontseite des vorwärts die Solidarität und das Vertrauen gegenüber der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei und die «schweren Bedenken und Beunruhigung» über die Intervention ausgedrückt.
Auch die JS gab Ende August 1968 eine Erklärung zum selben Thema ab. Der Einmarsch in die Tschechoslowakei wurde als «lächerlichster Vorwand» zur Erstickung der Reformbewegung und als Verbrechen bezeichnet. Die Sowjetunion sei nichts mehr als eine Grossmacht, die die «nationalistischen Staatsinteressen permanent über die Verpflichtungen des proletarischen Internationalismus» stelle und die revolutionären Bewegungen für eine Partnerschaft mit dem Imperialismus verriete.
In einem Brief «an die Genossen der Partei der Arbeit» schrieb Roland Roth, Mitglied der JS: «Irgendwie fühlte man sich noch zusammengehörig mit der Sowjetunion. Genossen, damit ist es jetzt aus. Endgültig – fertig! (…) Genossen! der Anspruch der Autonomie unserer eigenen Partei, der schon immer formell bestand, muss ab sofort bis in die letzte Konsequenz in die Praxis umgesetzt werden, indem wir ab sofort all jenen unter denjenigen, die wir bisher unterschiedslos als Bruderparteien bezeichneten, das Vertrauen entziehen, das sich durch die Praxis als nicht gerechtfertigt erwiesen hat.»
Forderung: Bruch mit der Sowjetunion
Die Unstimmigkeiten zwischen der Partei und der JS manifestierten sich deutlich in einem Leitartikel von Edgar Woog im September 1968. Er verhärtete die Fronten, indem er die JS für ihre «unsinnigen Einschätzungen der Sowjetunion, die von einer Arroganz zeugen, für die wir uns sogar unseren Gegnern gegenüber schämen», angriff.
Auf diesen Artikel reagierte die JS mit einer Stellungnahme im vorwärts einen Monat später. Darin schrieben die Jungen, dass sie zwar die Bedeutung der russischen Revolution einschätzen könnten, dass diese sich aber vor 50 Jahren abgespielt habe und dass seither sehr viel geschehen sei, das sie an der revolutionären Kraft der UdSSR zweifeln lasse und dass sie vor allem nicht blind genug seien, um zu denken, dass sich die Sowjetunion noch auf dem Weg zum Kommunismus befände. Am Ende der Stellungnahme forderten die VerfasserInnen ein radikales Ende der Beziehungen der PdA zu den «Okkupanten», denn nur so könne es zu einer Festigung der Linken kommen.
Die JS wiederum machte die Nichtveröffentlichung ihrer Stellungsnahmen dafür verantwortlich, dass «die schwelende Krise» aufgebrochen sei, und sie bezichtigte die Parteileitung der «undifferenzierten Polemik». Gleichzeitig betonte sie aber, dass sie sich noch immer als Bestandteil der PdAS betrachte, und dass sie eine innerparteiliche Diskussion «dem Verschanzen hinter dem Formalismus und einer Auflösungsandrohung» vorziehe.
Sowohl die eine wie auch die andere Seite befürworteten eigentlich die Demokratiebestrebungen der CSSR, auch verurteilten beide die Intervention, die den Prager Frühling durch einen Gewaltakt jäh beendete. Die Uneinigkeiten zwischen der JS und der Parteileitung nach dem Einmarsch in die Tschechoslowakei entzündete sich letztlich an der Frage zur Einstellung gegenüber der KPdSU. Während die JS als Reaktion eine Loslösung und Abkehr von der Sowjetunion forderte, beschränkte sich die Kritik der Parteileitung auf eine verbale Vorhaltung.
Das Ende der Jungen Sektion
Der Konflikt um die Besetzung der Tschechoslowakei wird oft für die Auflösung der JS verantwortlich gemacht. Auch die JS ahnte, dass ihre Erklärung und die darauffolgende Auseinandersetzung Konsequenzen nach sich ziehen würden. Dies umso dezidierter, als im vorwärts vom 26. September 1968 folgende Zeilen veröffentlicht wurden: «Das Zentralkomitee der Partei der Arbeit der Schweiz prüfte von der Jungen Sektion der Partei der Arbeit Zürich (…) eingenommene und in der bürgerlichen Presse veröffentlichte Stellungnahmen. Es unterstreicht, dass diese Stellungnahmen mit der Politik der Partei nicht vereinbar sind. Der 9. Parteitag wird darüber befinden.»
Der Ton zwischen den Jungen und der Mutterpartei verschärfte sich zunehmend. In seinen «Ausführungen zur Statutenrevision» schrieb Edgar Woog den Parteimitgliedern: «Was uns die ‹Junge Sektion Zürich der PdA› heute als letzte Errungenschaft des revolutionären Denkens serviert, ist alt und abgestanden wie Methusalem. (…) Es sind Theorien, die auf dem Boden des Kleinbürgertums, der Isoliertheit der Arbeiterklasse, jugendlicher Ungeduld und oft auch jugendlicher Überheblichkeit wachsen.» Es ist nicht schwer zu erraten, dass während dem Zeitpunkt dieser Aussage die Fronten schon so verhärtet waren, dass eine Annäherung oder eine Befriedung zwischen den beiden Gruppierungen kaum mehr möglich war. Tatsächlich wurde die JS der Partei der Arbeit einige Wochen später aufgelöst, wobei sich ein grosser Teil der Jungen entschied, nicht weiter in der Partei zu verbleiben und diese zwecks Gründung einer neuen Organisation zu verlassen.
Die Zusammenarbeit zwischen den beiden Gruppen stand von Beginn an unter einem schlechten Stern: Zu verschieden waren die Ansichten der JS von denen der restlichen Partei. Die Zugehörigkeit zu zwei verschiedenen Generationen, die unterschiedliche Politisierung und vor allem auch die Sympathie zu zwei verschiedenen linken Grundhaltungen stellten ein derart grosses Hindernis dar, dass die anfänglichen Ziele und Hoffnungen in Konflikten endeten.