Was hat es mit der Erweiterung des Bundeswehreinsatzes in Mali auf sich, die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen bei ihrem Besuch in Bamako angekündigt hat und im Bundeskabinett beschlossen wurde? Hat es mit Fluchtrouten und Migration zu tun? Ein Gespräch mit Christoph Marischka von der Informationsstelle Militarisierung in Tübingen.
Was hat es mit der Ausweitung des Einsatzes der deutschen Bundeswehr in Mali auf sich?
Christoph Marischka: Ich bin schockiert, dass in Deutschland sehr wenig darüber diskutiert wird. Die Verteidigungsministerin von der Leyen war letzte Woche drei Tage mit einer Delegation in Mali. Dadurch kam endlich etwas in der Presse darüber. Es geht da nämlich um den gefährlichsten Bundeswehreinsatz überhaupt, auch gefährlicher als der in Afghanistan.
Ist die Gefährlichkeit der Grund dafür, dass der Einsatz medial nicht beachtet wird?
Ich glaube, letzten Endes haben die Medien und auch die Öffentlichkeit mittlerweile die Übersicht verloren, welche Einsätze der Bundeswehr es gibt und wie die Lage in den Einsatzgebieten überhaupt ist. Und natürlich ist es der Regierung in Teilen auch recht, wenn eher wenig drüber gesprochen wird.
Was ist das Ziel des Einsatzes und wieso gerade jetzt?
Die Frage nach dem Ziel ist insgesamt sehr interessant. In Afghanistan gab es noch ein relativ klar definiertes Ziel, nämlich: die Herrschaft der Regierung in Kabul auf das gesamte Land auszudehnen und unter anderem die Taliban zu bekämpfen. Aber auch Strukturen sogenannter Sicherheitskräfte, Armee, Polizei in der Fläche zu etablieren. In Mali ist das Ziel wesentlich undefinierter; man hat es mit einem sehr vage definierten Krieg gegen den Terror zu tun; gegen als terroristisch eingestufte Gruppen, die schnell fluktuieren. Manche werden wieder Verbündete der westlichen Interventionen. Man hat eigentlich gar kein Konzept für die Lösung des zugrundeliegenden Problems in Mali, wie auch für die gesamte Sicherheitslage in der Grossregion. Insofern gibt es auch gar keinen Massstab. Wir wissen auch: Selbst in Afghanistan wurden die Ziele nie erreicht und erscheinen auch nicht erreichbar. In Mali gibt es jedoch nicht einmal ein Kriterium, nach dem selbst im besten Fall dieser Einsatz jemals beendet werden könnte.
Es wird häufig von den Drohnen und über das Ausspähen gesprochen. Gibt es da einen Zusammenhang mit Migration und Migrationsbewegungen?
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat angekündigt, dass nun zwei bis drei der grossen Aufklärungsdrohnen, die bislang in Afghanistan im Einsatz waren – und übrigens von Angehörigen privater Militärfirmen geflogen und gewartet werden – nach Mali verlegt werden sollen. Das ist ein Indiz dafür, dass dieser Einsatz den Hauptkampfeinsatz von Bodentruppen in Afghanistan ablösen wird. In Mali stehen viele Städte unter der Kontrolle von – ich sag jetzt mal – oppositionellen Gruppen und die Verbindungswege zwischen diesen Städten in dem weitläufigen, dünnbesiedelten Land sind schwer zu kontrollieren. Ich glaube, in diesem Fall sind die Drohnen zunächst dazu da, die militärische Kontrolle in den Griff zu kriegen.
Diese oppositionellen Gruppen haben relativ viel Rückhalt in der Bevölkerung, auch weil diejenigen, die nicht unter diesen Gruppen leben wollen, mittlerweile wahrscheinlich geflohen sind, weil es innermalisch grosse Migrationsbewegungen gibt.
Sehen wir uns das westliche Engagement an: Der französische Einsatz bezieht sich auf die ganze Grossregion von Mauretanien bis Tschad im Krieg gegen den Terror. Dann gibt es europäische Grenzschutzmassnahmen und Ausbildungsmissionen in Tunesien und Libyen und wir haben sogenannte Kapazitätsaufbaumissionen der EU in Mali und in Niger. Sie alle haben einen sehr starken Fokus auf die Unterbrechung von Migrationsrouten. Mali ist ein Zentrum, ein zentrales Land in dieser ganzen Grossregion. Für den Westen ist deshalb wichtig, jetzt erst mal den Norden Malis militärisch unter Kontrolle zu bringen. Peripher dazu findet eine Vielzahl an Missionen statt, zum Beispiel in Niger, wo die Gendarmerie ausgebildet und aufgerüstet wird, oder in Tunesien der Grenzschutz. USA, Frankreich etc. haben dort zudem noch unilateral verschiedene Drohnen stationiert.
Übrigens: Lange bevor der aktuelle Konflikt ausgebrochen ist, wurden mit EU-Programmen Geheimdienstzentren in der ganzen Grossregion aufgebaut, auch Gefängnisse und Polizeistationen. Das wurde alles von der EU finanziert und war letztlich auch eine der Ursachen für die Eskalation, zumindest für die Sezessionsbestrebung im Norden Malis.
Die Europäische Union baut seit 1999 respektive verstärkt seit 2003 eine eigene europäische Aussen- und Sicherheitspolitik, und seit damals war die Sahelregion einer der Schwerpunktregionen. Zunächst wurden finanzielle Programme aufgelegt unter dem Motiv der Migrations- und Drogenbekämpfung. Die Polizei- und Gendarmeriekräfte wurden finanziell unterstützt und es gab Ausbildungsmissionen. Weiter wurde von Aussen vorangetrieben, dass die Staaten gemeinsame Geheimdienstzentren und «Dentention Facilities», also Gefängnisse, aufbauen und damit den Schmuggel von Drogen, aber auch von Menschen unterbinden. Das hat die ansässige Bevölkerung ganz klar als Angriff wahrgenommen; auf ihre Einkommensquellen, auf ihre Bewegungsfreiheit und auf ihre Autonomie, die die Bevölkerung in den Peripherien, die nomadische Bevölkerung, zum grossen Teil hatten. Zusammen mit dem Libyenkrieg im Jahr 2011, als Tuareg aus Libyen über den Niger nach Mali kamen, hat das dazu geführt, dass 2012 der unabhängige Staat Azawad im Norden ausgerufen wurde, in dem sich auch islamistische Gruppen breitgemacht haben und Anlass für die Intervention Frankreichs im Jahr 2013 war, aus der dieser Krieg letztlich hervorging.
Es gibt auch andere Komponenten der Geschichte. Zum Beispiel ist die Bundeswehr schon länger mit Pioniertruppen in Mali aktiv, die unter anderem die malischen Armee, die vor allem im Süden stationiert ist, darin ausbilden, den Niger, der den Norden vom Süden trennt, an verschiedenen Stellen überqueren zu können und in dieses Tuareggebiet einzudringen. Diese Region wird seit fünfzehn Jahren sehr stark militarisiert; in dessen Zuge ist der Konflikt zwischen dem Norden und Süden Malis eskaliert. Und es gibt keine Lösungsansätze, ausser weiter zu militarisieren. Das ist eine ganz gefährliche Situation, weil dadurch auch autoritäre Strömungen in den Staaten und autoritäre Regierungen gestützt werden. Die Menschen werden letzten Endes der Opposition, die oft islamistisch ist, geradezu in die Arme getrieben. Und mit dieser ganzen Militarisierungsstrategie droht man, die Konflikte in der Region immer weiter zu eskalieren. Das ist ziemlich gefährlich, besonders auch für all die Menschen, für die die Region eine Transitroute ist. Oder für diejenigen, die sich an diesem Konflikt nicht beteiligen wollen, die fliehen und die man versucht, in der Wüste, aber auch im Mittelmeer abzufangen.