Die Vorstellung, dass Frauen bloss als Nebenverdienst arbeiten würden, hat beträchtliche Auswirkungen auf die Arbeitsstrukturen: Auf dem Arbeitsmarkt werden Frauen anders – zweitrangig – behandelt als Männer. Die Hälfte der Frauen arbeitet hierzulande Teilzeit.
In unserer kapitalistischen Gesellschaft ist die wirtschaftliche Ungleichheit, die Frauen im Vergleich zu Männern erleben, offensichtlich: Weniger hohe Renten, ungleiche Löhne, Hürden bei der Stellensuche, die gläserne Decke auf der Karriereleiter, die Armut von alleinerziehenden Frauen, mehrheitlich Frauen in Branchen mit Tieflöhnen … Die Liste ist lang. Dass den Frauen primär die Rolle in der familiären Sphäre zugewiesen wird und bloss einen zweitrangigen Platz in der Produktionssphäre, ist ein auffälliges Symptom, das man in allen Klassengesellschaften findet. Ein besonderes Charakteristikum des kapitalistischen Systems ist, dass die Individuen, Männer und Frauen, als Arbeitskräfte betrachtet werden: Auf dieselbe Art wie Waren sind ArbeiterInnen austauschbar auf dem Markt – dem Arbeitsmarkt – und haben einen Gebrauchs- und Tauschwert, durch den die ArbeitgeberInnen Mehrwert abschöpfen können. Wie es schon Marx erklärt hat, hängt die Ausbeutung der Arbeitskraft zum Grossteil an der «Verfügbarkeit» der Individuen für den Arbeitsmarkt ab. Aus der Perspektive der Arbeitgebenden besteht die Besonderheit der Frauen, im Vergleich zu den männlichen Arbeitskräften, in der reduzierten Verfügbarkeit aufgrund ihrer potenziellen Mutterschaft. Im Rahmen des kapitalistischen Systems ist die potenzielle oder reelle Mutterschaft der Frauen im Laufe ihres Lebens kein unbedeutendes biologisches Detail: Aufgrund dieser Unterscheidung formieren sich gegenderte Strukturen der Ausbeutung (insbesondere die Lohnungleichheit) und die Ideologie, die sie legitimiert.
Totale Verfügbarkeit
Diese Ideologie, die auf alle Ebenen der Unternehmen und alle Ebenen der Gesellschaft übertragen wird, besagt, dass Männer Brotverdiener sind und ihre Stelle aufgeben würden, wenn sie sich beruflich nicht mehr weiterentwickeln könnten, während Frauen bloss einen Nebenverdienst auf dem Arbeitsmarkt suchten. Anders gesagt, fehlen in den Augen der Arbeitgebenden den Frauen die Ambitionen und sie könnten sich mit tiefer liegenden Karriereziele zufriedengeben, weil sie in einer Beziehung mit einem Mann als Hauptversorger leben. Auf dieselbe Weise wird die «totale Verfügbarkeit» der Männer für den Beruf zum diskriminierenden Argument für Beförderungen und höhere Löhne. Unabhängig davon, was die Männer im Haushalt tatsächlich leisten («partizipierende», «abwesende» Väter oder Ledige) werden sie von Vornherein als «verfügbar» für die Arbeitgebenden betrachtet. Unabhängig davon, was die Frauen im Haushalt oder in der Produktionssphäre tatsächlich leisten, werden sie von Vornherein als «weniger verfügbar» betrachtet.
Langfristige Perspektive
Diese Vorstellung der Frauenarbeit als «Nebenverdienst» hat beträchtliche Auswirkungen auf die Arbeitsstrukturen: In der Schweiz ist der Anteil der Teilzeitarbeit bei Frauen nach den Niederlanden der höchste unter den OECD-Ländern. 44,6 Prozent der Frauen arbeiten hierzulande Teilzeit, gegenüber 11,2 Prozent der Männer. Die Teilzeitbeschäftigung der Frauen – oft ein Symptom von wirtschaftlicher Unsicherheit – wird verstärkt durch die Politik: Ein Studie zeigt, dass das Steuersystem zusammen mit der Preispolitik der Kinderbetreuung dazu führen, dass Frauen häufiger Teilzeit arbeiten müssen, besonders wenn zwei oder mehr Kinder vorhanden sind.
Sollen wir uns angesichts dieser Tatsachen damit zufriedengeben, die Lohngleichheit zwischen den Geschlechtern zu fördern, Anreizsysteme zu schaffen für die Vollzeitbeschäftigung von Frauen oder die Arbeitgebenden dazu anregen, vermehrt Frauen für verantwortungsvolle Posten anzustellen? Nein, das alles reicht nicht. Wir Frauen dürfen nicht als einziges Ziel haben, gleich ausgebeutet zu werden wie die Männer. Kurzfristig sollten wir natürlich dafür kämpfen, dass die Symptome der Ausbeutung der Frauen gemildert werden. In diesem Sinne ist es ermutigend, wie verschiedene Bewegungen für die Durchsetzung der Lohngleichheit und für einen schweizweiten Frauenstreik mobilisieren. Man darf aber nicht die langfristige Perspektive aus den Augen verlieren. Die komplette Emanzipation der Arbeiterinnen und Arbeiter kann nur durch die Abschaffung des kapitalistischen Produktionssystems erreicht werden. Nur wenn sie die demokratische Kontrolle über die Produktionsmittel ergreifen, sind die Arbeiter keine Arbeitskräfte mehr, die nach Lust und Laune ausgebeutet werden können, und die Arbeiterinnen werden nicht mehr als zweitrangig ohne Ambitionen betrachtet.
Anaïs, KJ Waadt