1. Treffen der ILO am 10. und 11. Oktober 1919 in Washington DC. Bild: ILO
Joël Depommier. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) in Genf setzt sich ein für Regeln und Konventionen des Arbeitsschutzrechts, die sie mit Vertreter*innen von Unternehmen und Staaten aushandelt. Dieses Jahr feiert die UNO-Sonderorganisation ihr hundertjähriges Bestehen.
«Seit dem Ende des Ersten Weltkriegs verkörpert unsere Organisation die Multilateralität», betont Maria-Luz Vega, Mitglied des internationalen Arbeitsbüros, das ständige Sekretariat der ILO. «Seit 1919 verteidigt sie dank ihrer Grundsätze und mit ihren internationalen Instrumenten die soziale Gerechtigkeit, die Würde der Arbeiter*innen und den Sozialstaat, wie wir sie heute kennen. 1944 proklamierte die Erklärung von Philadelphia, die Bestandteil unserer Grundsätze ist, dass die Arbeit keine Ware ist wie jede andere. Zentral bei der ILO ist auch seine tripartite Zusammensetzung: Sie bringt Staaten, Unternehmen und Gewerkschaften zusammen.»
Kompromisse und Versäumnisse
Die erste internationale Konferenz fand in Washington DC statt. Ergebnis waren sechs internationale Arbeitskonventionen betreffend Arbeitszeit in der Industrie, Arbeitslosigkeit, Mutterschaft, Nachtarbeit der Frauen, Mindestalter und Nachtarbeit der Jungen in der Industrie. 1926 richtete sich die Organisation definitiv in Genf ein. Weitere von ihr geschaffene Konventionen schrieben fest: die Gewerkschaftsfreiheit und den Schutz der Gewerkschaftsrechte (1948), Lohngleichheit (1951) und die Ächtung der Diskriminierung in der Anstellung (1958). Die Erklärung über die grundlegenden Arbeitsrechte folgte 1998, die Erklärung über soziale Gerechtigkeit und nachhaltige Globalisierung 2008. Heute beschäftigt sich die ILO weiter mit den Veränderungen in der Arbeitswelt, insbesondere mit den durch die Globalisierung hervorgerufenen. Sie kümmert sich auch um die Rechte autochthoner Völker, HIV-infizierter Menschen, von Wanderarbeiter*innen und Hausangestellten. «Wir schätzen diese Arbeit, auch wenn die tripartite Arbeitsweise auf Kompromissen beruht», betont Umberto Bandiera von der Gewerkschaft Unia, «das ist nicht immer ideal für die Arbeiter*innen, dazu verpasst die ILO manchmal wichtige Gelegenheiten.»
Gewerkschaften klagten
Die Organisation kann auch ein Hebel für lokale Kämpfe sein. Bereits mehrmals gelangten schweizerische Gewerkschaften an die ILO, um den schlechten Schutz von Gewerkschaftern in unserem Land und die Nichtrespektierung der Konvention betreffend Gewerkschaftsfreiheit anzuklagen. Der Kampf geht weiter. Sollte man angesichts der Entwicklungen in der Arbeitswelt nicht die Sanktionsmöglichkeiten der Organisation ausbauen? «Unser Auftrag sieht keine Sanktionen vor», so Maria-Luz Vega. «Die Aufgabe der ILO ist es, hartnäckig zu wachen über die Einhaltung der Konventionen in den Ländern, die sie ratifiziert haben. Das kann zum öffentlichen internationalen Anklagen von gewissen Praktiken führen. Die Konventionen finden Eingang in nationale Gesetze, die Sanktionen festschreiben können.»
Zukunft der Arbeit ungewiss
Die Arbeitsorganisation nutzt das Jubiläumsjahr für besondere Aktivitäten. Im Januar lancierte die Ad-Hoc-Kommission ihren Bericht über die Zukunft der Arbeit. Er entwickelt eine vertiefte Analyse des Themas. Unter anderem über Industrie 4.0, künstliche Intelligenz, Automatisierung und Roboter. Mit dem Ziel, die nötige analytische Grundlage zu liefern «für die Fortsetzung der sozialen Gerechtigkeit im 21. Jahrhundert.» Der Bericht verteidigt die Zunahme der Investitionen ins menschliche Potential, in Institutionen der Arbeit wie Reglementierungen, Kollektivverträge sowie Arbeitsinspektionen und in eine würdige und nachhaltige Arbeit. «Die Erklärung zum Thema enthält verschiedene Empfehlungen, die an der nächsten internationalen Konferenz diskutiert werden», ergänzt Maria-Luz Vega. «Wir hoffen sehr, dass wir bald einen Kommissionsbeschluss auf der Basis der tripartiten Einigung haben, der uns erlauben wird, die Herausforderung der Zukunft der Arbeit anzugehen, und der auch Grundlage für neue Instrumente und künftige Aktionen des internationalen Arbeitsbüros sein wird.»
Gegen Gewalt und Belästigung
An der internationalen Jubiläumskonferenz der ILO im Juni wurde eine Konvention gegen Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt beschlossen. «Ziel ist es, dass die Staaten gezwungen sind, Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt zu verbieten sowie Strategien und konkrete Programme gegen diese Missstände zu erarbeiten und anzuwenden», formuliert Luca Cirigliano in einem Communiqué des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds. «Dazu soll die Anwendung dieser Gesetze von den Arbeitsinspektoraten und durch weitere Massnahmen kontrolliert werden. Die Opfer von Gewalt und Belästigung müssen geschützt und die Täter*innen bestraft werden.»
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