Eine Einleitung
Die Stärke der PdA schon kurz nach ihrer Gründung mutet aus heutiger Sicht schier unglaublich an: Im Mai 1944 als «Föderation der Parteien der Arbeit» gegründet, zählte sie im September 1945 nicht weniger als 230 Ortssektionen und nach eigenen Angaben 20 000 Mitglieder (bei einer EinwohnerInnenzahl, die knapp 3/5 der heutigen entsprach). In den traditionellen linken Hochburgen Genf, Waadt, Basel und Zürich heimste sie erdrutschartige Wahlsiege ein, welche das katholische Zentralorgan «Vaterland» bald vor einer «Revolutionsgefahr» warnen liessen. Auch die NZZ hier zu den Zürcher Stadtratswahlen 1945 ortete ein politisches Erdbeben: «Das charakteristische Ergebnis des Wahlganges vom 3. Juni ist darin zu erblicken, dass die Sozialdemokraten gegenüber der PdA an vielen Orten ins Hintertreffen geraten sind. Man beachte, dass in der sozialistischen Hochburg Aussersihl Otto Brunner 4162 Stimmen erzielte, während sich der Sozialdemokrat Stähli mit 2538 Stimmen begnügen musste. Hier zeichnet sich ein politischer Erdrutsch von beachtlichen Dimensionen ab.»
Und dies nur wenige Monaten nach der Aufhebung des KPS-Verbots!
Aufbruch
Hintergrund des Aufbruchs waren Vergangenheits- und Gegenwartsinterpretationen, die nach Veränderung verlangten. In der gegen Ende des Krieges rasch wachsenden ArbeiterInnenbewegung dominierte die Ansicht, dass es sich beim Zweiten Weltkrieg um einen kapitalistischen Krieg gehandelt hat, d. h. um einen durch die kapitalistische Krise produzierten Krieg. Nur eine sozialistische Zukunft konnte eine Wiederholung einer solchen Katastrophe verhindern, die ja selbst bereits eine gesteigerte Wiederholung des 1. Weltkrieges zu sein schien. Nicht nur in der PdA war man davon überzeugt, es war die SP, welche 1943 mit dem Programm der «Neuen Schweiz» diese sozialistische Zukunft vorgezeichnet hatte. Gleichzeitig hatte die Sozialdemokratie ihren ersten Bundesratssitz bekommen und war nicht zuletzt deshalb bestrebt, die Politik des «Burgfriedens» weiterzuführen. Die PdA indes wollte eine «systemunabhängige Oppositionspartei» sein, was sie in den Augen vieler ArbeiterInnen auch tatsächlich war. Ihre Ablehnung des «Burgfriedens» und die schonungslose Anklage gegen die Politik des Bundesrates während deR Kriegsjahre machten sie zum Kristallisationspunkt der Hoffnung auf den Sozialismus, der gesellschaftlichen Veränderung. In jenen Jahren erlebte zudem die Streikkultur eine Renaissance, 1946 zählte man über 180 000 Streiktage. Mehr Streiks hatte es seit 1930 nie mehr gegeben. Und nach 1946 auch nicht mehr. 1944 bis 1947 schien der Sozialismus in der Schweiz so greifbar nahe wie nie zuvor und nie mehr danach. In den Augen der heutigen Sozialforschung waren dies die Jahre der «linken Morgenröte» mit der «sozialen Bewegung PdA».
Kalter Krieg
Im Gegensatz zum Landesstreik oder zu 68 existiert jene Auseinandersetzung um die Zukunft der Schweiz im öffentlichen Bewusstsein von heute kaum mehr. Das hat weniger damit zu tun, dass sich die «linke Morgenröte» nicht an einem bestimmten Datum bzw. einem spezifischen Jahr festmachen und deshalb auch nicht im Zehnjahresrhythmus jubilieren lässt. Es ist wohl mehr der Kalte Krieg, der die denkwürdigen Jahre zum Vergessen gebracht hat. Derweil ein grosser Teil der TrägerInnen des Landesstreiks und des Aufbruchs um 68 im Anschluss an ihre bewegte Zeit länger- bis mittelfristig in die Gesellschaft und die politische Machtkonstellation integriert worden sind, haben die TrägerInnen der «linken Morgenröte» einen gesellschaftlichen Ausschluss erfahren, der in der Schweizer Geschichte seinesgleichen sucht. Der Kalte Krieg war in erster Linie ein Krieg gegen den «Feind in den eigenen Reihen» und diente der Stabilisierung der inneren Verhältnisse, im Osten wie im Westen. Und just in der Schweiz, insbesondere in der Deutschschweiz, wurde der «innere FeindÌ so heftig bekämpft wie sonst im kapitalistischen Block nur noch in den USA und der BRD. Das hat inzwischen auch die historische Sozialforschung festgestellt; und nachgerade berühmt ist die Aussage J.R. von Salis› aus dem Jahre 1961, dass der Antikommunismus zur Staatsdoktrin geworden sei und man «bei der Lektüre der Presse und zuweilen beim Anhören des Radios eher vermuten» würde, «wir stünden schweissbedeckt irgendwo vorn an der Front».
Der Antikommunismus wurde auf der ganzen Front geführt, in der Schule, im Betrieb, in den Medien, im Quartier und natürlich in der Armee und in den öffentlichen Verwaltungen. Was die Stigmatisierung der PdA aber total machte, war der Antikommunismus der Linken, der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften. Wer auf der Linken diesen Antikommunismus mit dem Verweis auf die stalinistischen Verbrechen heute noch zu rechtfertigen sucht, vergisst, dass der totale Krieg gegen den «inneren Feind» lange vor dem Bekanntwerden der stalinistischen Verbrechen eingesetzt hatte. Und wer die PdA als «stalinistische Partei» bezeichnet, hält das Stigma der «Fünften Kolonne» aus dem Kalten Krieg weiterhin aufrecht. Stigmen aber sind Wahrnehmungsmuster, die mit der Wirklichkeit nichts gemein haben müssen und trotzdem lange weiterexistieren können, weil nichts sich besser eignet zur Formung einer Wir-Gemeinschaft, in diesem Falle einer nationalen, wie Feindbilder. Und nichts lag der Bourgeoisie näher wie das Stigma des Kommunisten als Lügner, Verräter, Spion, Vertrauensunwürdigen und des Sozialismus als Diktatur des Bösen letztlich standen dahinter handfeste Klasseninteressen.
Bupo-Fichen als Quellen
Es ist die systematische Ausrangierung der PdA, die ihre Geschichte einzigartig macht. Weil es sich dabei um eine weiteren dunklen Aspekt der Schweizer Geschichte handelt, der bis in die heutige Zeit nachhaltige Wirkung zeigt und insbesondere einschneidende Folgen für die ArbeiterInnenbewegung hatte und hat, platziert der Vorwärts die Reihe «Geschichtsfiche» auf einer Seite, die eigentlich für die tagespolitischen Fragen der Schweiz reserviert ist. In der «Geschichtsfiche» werden in erster Linie die vielen tausend Akten, die die Bupo während 45 Jahren über die PdA «zusammengetragen» hat die «Fichen» ausgewertet. Es wird deshalb nicht ein vollständiges Bild über den schweizerischen Antikommunismus in der Nachkriegsära entworfen werden können. Ebensowenig können die Direktiven der Bupo vollständig rekonstruiert werden, da in den Fichen praktisch nur das Material enthalten ist, das die Bupo erhalten hat, aber nur spärlich hingegen jenes, welches sie intern erstellt hat bzw. den kantonalen «Spezialdiensten» hat zukommen lassen. Direktiven können nur indirekt, also aus dem Material, das aus den Kantonen zurückgeflossen ist, abgeleitet werden.
Dennoch bieten die «Fichen» einen tiefen Einblick in den schweizerischen Krieg gegen den inneren Feind. Zuweilen finden sich auch Aktenstücke der heiteren Sorte, die in dieser Reihe auch ihren Platz haben werden. Um die Artikelreihe leserInnenfreundlich zu gestalten, folgt sie nicht einer starren Chronologie. Geplant ist ausserdem, an dieser Stelle Gespräche mit ZeitzeugInnen zu veröffentlichen.
«Heute herrsche ein anderer Wind und Wille»
Linker Aufbruch im Jahre 1944, das hiess unter anderem: Gründung von PdA-Sektionen in grossen, mittleren und kleinen Ortschaften, wo – und das war die Voraussetzung – industrielle Betriebe und eine organisierte ArbeiterInnenschaft existierten. Zum Beispiel die Gründung der deutschschweizer Sektion in Biel.
Die Akten der Bundespolizei gestatten einen eindrücklichen Einblick in eine Vielzahl von Sektionsgründungen. Szenerie, Ablauf und die Themen, welche in jenen Tagen die ArbeiterInnenbewegung bewegte, sind akribisch festgehalten. Später, ab Beginn der 50er Jahre, wird die Bupo ein Informantenstab in die Partei geschleust haben und werden Agenten in Sitzungszimmern klandestine Abhöreinrichtungen installieren, damit ein Biedermann in der Polizeistube den Gesprächsverlauf ab Tonband transkribieren und die Bupo mit Protokollen von zuweilen 50 Schreibmaschinenseiten und mehr bedienen kann. In der Anfangszeit war dies anders. Damals galt es in erster Linie, Fühlung zu nehmen und die Resonanz der neuen Partei bei der örtlichen ArbeiterInnenschaft zu erforschen.
Eine gut dokumentierte Parteigründung ist jene der PdA Biel, die aufgrund ihrer Lage an der Sprachgrenze sowie ihrer regen Aktivität (auf die die Behörden im August 45 mit einer Repressionswelle bis hin zum Armeeeinsatz reagieren) und nicht zuletzt wegen dem widerspenstigen Präsidenten Paul Fell unsere Aufmerksamkeit verdient. PdA Biel war die Bezeichnung für die deutschschweizer Sektion, die französisch sprechenden GenossInnen der Stadt hatten sich bereits ein Jahr zuvor zum Parti Ouvrier zusammengeschlossen. Beide Sektionen existierten in der Folge mit eigenen Strukturen, zu den Gemeinderatswahlen trat man indes mit einer gemeinsamen Liste an.
Fell, vormals Redaktor bei der sozialdemokratischen «Seeländer Volksstimme» und später Redaktor beim Vorwärts, sorgte bei den Polizeibehörden immer wieder für Missmut, weil er die obligaten Versammlungsbewilligungen nicht einholen mochte. Als die Partei am 4. Oktober 1944 im Café Proletaria gegründet wurde, lag die behördliche Bewilligung vor. Bezeichnend jedoch, wie es zu dieser kam: Nachdem am Tag vor der Gründungsversammlung noch immer kein Gesuch eingereicht worden war, wurde Fell – wie der Polizeirapport festhält – von einem Polizeibeamten «telefonisch aufgefordert, für diese Versammlung bei der kant. Polizeidirektion in Bern eine Bewilligung einzufordern. Fell, welcher zur Antwort gab, dass er sich die Sache noch überlegen wolle, hat dann aber doch um die Bewilligung nachgesucht, welche dann auch erteilt worden ist.» An der Versammlung selber, an der 109 frischgebackene PdA-Mitglieder teilnahmen, geriet die polizeiliche Kontrolle zum ersten Politikum: «Er lege hiermit gegen die endlosen Beschnüffelungen der politischen Versammlungen durch die BUPO schärfsten Protest ein. Der Tag sei aber nicht mehr fern, wo solches endlich aufhören werde,» wird Fell im Bericht (typischerweise in indirekter Form) rezipiert. Es folgte eine Protestresolution. Am meisten ärgerten sich die GenossInnen über die Sonderbehandlung: Obwohl eine allgemeine Bewilligungspflicht für politische Versammlungen bestanden hat, waren alle anderen Parteien faktisch davon befreit – sie verfügten über sogenannte «Spezialbewilligungen».
Bezüglich der Zukunft sollte Fell sich täuschen. Seine Prognose zielte freilich nicht auf die Wiederherstellung der demokratischen Rechte und das Ende der politischen Kontrolle im kapitalistischen Staat ab; dass dieser, solange er existiert, eine politische Polizei gegen die Linke einsetzen würde, war auch Fell klar. Vielmehr verband der Sektionspräsident den sich abzeichnenden Sieg über den Faschismus mit der Gewissheit einer sozialistischen Zukunft. Dann, wenn der Kapitalismus überwunden ist, ist der Tag da, «wo solches endlich aufhören werde». Und dieser Tag würde bald kommen, davon war man nicht nur im Bieler Proletaria überzeugt.
So auch der Gast aus der Mutterpartei. Es war üblich, dass an einer Sektionsgründung ein prominenter Parteiexponent zugegen war, der die Ziele der PdA darlegte und eine Einschätzung zu den aktuellen Themen des Tages abgab. In der deutschen Schweiz waren es meistens Emil Arnold und Karl Hofmaier, derweil in der Romandie Léon Nicole diese Rolle besetzte. In Biel übernahm Marino Bodenmann aus der «provisorischen Zentralleitung» (der 1. Parteitag der PdAS sollte erst in zehn Tagen stattfinden) die Aufgabe. Den Anwesenden war der frühere KPS-Funktionär gut bekannt, und was er einleitend sagte, wurde zustimmend zur Kenntnis genommen: «Auch in unserem Land würden soziale und politische Umwälzungen kommen. Die Bourgeoisie glaube die Eidgenossenschaft als einzigen Hort erhalten zu können. Änderungen würden aber nicht unter der SP, welche stark mit der Bourgeoisie verbunden sei, kommen», rezipiert ihn der Polizeioffizier. Damit ist die Tour d’horizon eingeleitet. Bodenmann kritisiert anschliessend eine von der Bundesversammlung kurz zuvor beschlossene Steueramnestie, verweist auf den bevorstehenden Parteitag und den monatlichen Mitgliederbeitrag von 50 Rappen, spricht der Organisierung der ArbeiterInnen das Wort, damit man gerüstet ist für die kommenden Kämpfe. «Wenn der Faschismus geschlagen sei, sei auch der Kapitalismus geschlagen, denn die politischen Entwicklungen halten Schritt mit den militärischen.»
Damit ist Bodenmanns erster Redebeitrag praktisch zu Ende. Es folgte die eigentliche Konstituierung der Partei, die Wahl des Vorstandes und die Verteilung der Parteichargen. Formalitäten mussten geregelt werden, das Problem des korrekten Übertritts von der SP wurde angesprochen. Nachdem dies erledigt war, «ergriff um 21.55 sodann nochmals Marino Bodenmann das Wort». Der prominente Basler beglückwünscht in seinem zweiten Redebeitrag Fell, der aus der SP ausgetreten ist, und kommt auf seine Tour d’horizon zurück. Im Polizeirapport lesen wir: «Der Beweis, dass die PdA das Richtige sei, könne darin gesehen werden, dass in Bern, dem politischen Zentrum bereits 500 Mitglieder der PdA, seien. Heute herrsche ein anderer Wind und Wille. Die PdA wolle auch die Jugend mobilisieren zum gemeinsamen Kampf. Starke Kräfte seien auch am Werk für die Genossinnen und die Gleichberechtigung der Frau. Die PdA fordert und will den Bundesrat zwingen die Altersversicherung auf den 1. Jan. 1945 zu verwirklichen. Der Bundesrat habe viele Beschlüsse gegen das Volk gefasst, er solle jetzt einen für das Volk machen.» Abschliessend zitiert Bodenmann den Basler Pfarrer von Fischer – und erntet offenbar stürmischen Applaus: «‹Was oben sei müsse herunter und was unten sei komme obenauf›. Mit diesem Satz schloss Hofmeier unter dem Gebrüll der Anwesenden seinen Vortrag um 22.05.» Das Gebrüll hatte offenbar auch den Polizeikomissär ganz durcheinandergebracht. Dass der Hofmaier immer noch der Bodenmann war, be- und vermerkte man auf der Bupo prompt.
Kriminaltango in Biel
Am 29. September 1944 kamen Nicole und Hofmaier nach Biel. Deren Ankündigung sorgte beim Fahndungsdienst für höchste Einsatzbereitschaft.
Die Gründung der PdA Biel fand am 4. Oktober 1944 statt. Ein denkwürdiger Anlass, der als Werbeplattform für die Parteigründung gedient hat, datiert fünf Tage früher. Léon Nicole und Karl Hofmaier, die beiden Führungsfiguren der noch jungen PdA, kamen! Ein zugkräftiges Duo, das überdies ebenso frankophone wie deutsch sprechende ZuhörerInnen anlockte: Nach Schätzungen der Polizei (es gibt Anhaltspunkte, dass die Schätzungen ziemlich genau waren) strömten am Abend des 29. September 450 ZuschauerInnen in den Bieler «Jurasaal».
Dass mit Hofmaier und Nicole zwei zentrale Figuren aus illegalisierten Parteien (KPS bzw. Fédération Socialiste Suisse) angekündigt waren, sorgte beim Bieler Fahndungsdienst wohl für Nervosität und zum Pflichtempfinden, die Aufgabe besonders gut zu erledigen.
An der Veranstaltung würde das Programm der PdA vorgestellt werden. Davon hatten die Schnüffler aus Zeitungsinseraten erfahren. Aufgefallen war ausserdem, dass «5000 Flugblätter» verteilt worden waren. Und nicht zuletzt hatte das für einmal frühzeitig eingereichte Bewilligungsgesuch Paul Fells das Bieler Polizeikommando auf den Plan gebracht. «Belohnt» wurde Fells ordnungsgemässes Verhalten damit, dass man ihn während den Tagen vor der Veranstaltung beobachtete. Zur Tat schritt man, als er auf der Post Einladungsschreiben aufgegeben hatte. In einem Hinterzimmer der Post notierten sich die Schnüffler die Adressaten. Um die 230 «potentiell staatsgefährliche» Personen konnten daraufhin der Bupo-Zentrale gemeldet werden, und dies notabene in einer Zeit, als die Menschheit nichts so sehr erwartete wie den Sieg der Allierten und die Kapitulation Nazideutschlands. Für die schweizerischen Behörden hingegen waren jene, die am lautesten zur Unterstützung für die Befreier warben, eine Bedrohung (Siehe dazu nebenstehenden Artikel).
Am Tag der Veranstaltung betraute der Bieler Chef Fahndungsdienst gleich mehrere «Polizeiorgane» mit Überwachungsaufgaben. Das Startsignal für den Einsatz kam mittels Telefonat aus Bern: Nicole, «der Gründer der FSS», sei sogleich in Genf in den Zug gestiegen und werde um 17.35 in Biel eintreffen. Aus dem Protokoll erfahren wir, dass er tatsächlich mit diesem Zug kam – allerdings mit 8 Minuten Verspätung. War letzteres schon ein wenig verdächtig, so galt dies für den folgenden Umstand erst recht: «Léon Nicole verliess den Zug mit einem Begleiter, welcher ein Paket von ca. 25 x 35 cm Länge und 5 cm Dicke sowie eine Papierrolle von ca. 40 cm Länge mit sich trug.» Wer war der Begleiter? Wohin würden sie gehen? Würden sie in Biel übernachten? Und vor allem: Was war in diesem Paket? Um es vorwegzunehmen: Zum grossen Leidwesen der Polizeibeamten blieb der Inhalt des Pakets ein Geheimnis. Zwar konnte man beobachten, wie «die erwähnten Gepäckstücke» ins Hotel Seeland gebracht und bereits 10 Minuten später wieder fortgeschafft wurden, «vermutlich» zu Paul Fell. Daraufhin verlor man das Objekt aus den Augen. Auch der ominöse Begleiter konnte nicht ermittelt werden. Die Erhebungen blieben dennoch nicht ganz erfolglos. Auf der Réception des Hotels erfuhr man, dass sich Nicole im Zimmer 44 einquartiert habe. Gleichzeitig war auch Hofmaier angekommen, der das Zimmer 46 bezog. Wenig später, um 18.30, begaben sich die Genossen zum gemeinsamen Nachtessen. Und weil man ja nie weiss, wurden sie während des ganzen Essens streng überwacht, wobei es die Agenten nicht für nötig hielten, den genauen Tellerinhalt zu notieren. Und für den Gesprächsinhalt waren sie zu weit entfernt. So mussten sie sich damit begnügen, anschliessend den beiden zum Jurasaal zu folgen. Hier warteten bereits die nächsten Dunkelmänner: «Die weitere Überwachung wurde daselbst von mehreren Polizeiorganen weitergeführt», schliesst der erste Teil des Rapports.
Die Schweiz unter Druck
Die in den Polizeiprotokollen festgehaltenen Reden von Hofmaier und Nicole lassen erkennen, was man Ende September 1944 wusste – und was nicht. Dass die Schweiz aufgrund ihrer Wirtschaftsbeziehungen mit Hitlerdeutschland in einen mittels wirtschaftlichen Boykottmassnahmen ausgetragenen «silent war» verstrickt war, wusste die Öffentlichkeit wegen der Zensur kaum. 1943 war die Schweiz den alliierten Forderungen, die Kriegsmateriallieferungen einzustellen, abermals nicht nachgekommen, worauf die USA und Grossbritannien ihre Zufuhren in die Schweiz zwischenzeitlich ausstellten. Auf «schwarzen Listen» wurden Schweizer Unternehmen verzeichnet, welche mit den Achsenmächten Handel betrieben. Bis Ende 1944 nahm die Zahl dieser Firmen zu, welche von jeglichem Handel mit den Alliierten ausgeschlossen waren; gleichzeitig geriet der Finanzplatz Schweiz mit seinen deutschen Guthaben immer mehr unter Beschuss. Möglicherweise versuchten englische Flugzeuge im Mai 1943 erfolglos, den Bührle-Konzern in Zürich zu zerstören, der die deutsche Kriegsindustrie mit wichtigen Gütern versorgte. Vielleicht war das Minibombardement, das die umliegenden Eisenbahngeleise traf, auch nur eine Warnung. Nach der alliierten Landung in der Normandie am 6. Juni 1944 und der nachfolgenden Befreiung Frankreichs verhängten die USA ein Wirtschaftsembargo gegen die Schweiz, wodurch der Güterverkehr mit Frankreich völlig zum Erliegen kam und die Schweiz die grösste Güterknappheit der Kriegszeit erlebte. Am 29. September – genau am Tag der Bieler Veranstaltung – untersagte der Bundesrat endlich die Kriegsmaterialausfuhr.
Hätten Hofmaier und Nicole über den «silent war» Bescheid gewusst, wäre dieses Thema von ihren Reden bestimmt nicht unberührt geblieben. Stattdessen thematisierte Hofmaier die Teheraner Konferenz von Ende 1943 , an der die Alliierten die Nachkriegsordnung in den Grundzügen festgelegt hatten. Hofmaier lobte die «fortschrittlichen Grossmächte» USA und Grossbritannien ebenso wie die Sowjetunion. Sein wichtigstes innenpolitisches Anliegen galt der AHV, welche zu Jahresbeginn 1944 von Bundespräsident Stämpfli auf spätestens in vier Jahren versprochen worden war (und schliesslich im Juli 1947 mit überwältigender Mehrheit angenommen wurde). Da der Verfassungsauftrag bereits seit 1925 vorgelegen hatte, wollte die PdA die Altersversicherung bereits1945 verwirklicht sehen. Nicole konzentrierte sich neben einer Generalattacke gegen den Bundesrat auf den bald stattfindenden 1. Parteitag der PdAS in Zürich (an dem er zum Präsidenten und Hofmaier zum Sekretär gewählt wurden) und auf die Befreiung Frankreichs. Von der Isolation, in der sich die Schweiz damals befand, erfuhr die Öffentlichkeit erst einen Monat später: An der Luftfahrtfahrtkonferenz von Chicago Ende Oktober weigerte sich der Delegierte der UdSSR offenbar mit einem brüsken Nein, neben jenem der Schweiz zu sitzen. Das war eine Voranküdigung auf jene peinliche Schmach, welche dem umstrittenen Aussenminister Pilet-Golaz keine andere Wahl als die des vielbejubelten Rücktritts liess: Am 1. November teilte die Sowjetunion dem Bundesrat mit, dass sie wegen dessen nazifreundlichen Politik die Aufnahme diplomatischer Beziehungen ablehne. Davon erfuhr die schweizerische Öffentlichkeit jedoch nicht sogleich, sondern erst drei Tage später – über Radio London.
August 1945:
Als die Armee gegen die PdA eingesetzt werden sollte
Dass es im August 1945 beinahe zu einem Armeeeinsatz gegen die PdA kam, ist kaum bekannt. Hintergrund waren antifaschistische Demonstrationen, Verhaftungen und bedrängte Behörden.
Nach mehreren Demonstrationen in Biel und einer anschliessenden Verhaftungsaktion befürchtet die Berner Regierung und der Bundesrat am 29. August 1945 kommunistische Demonstrationen in Biel und in Bern. Die Kundgebungen sind verboten worden, und zur Durchsetzung des behördlichen Verdikts ist man zum Schlimmsten bereit. In Bern stehen Armeeeinheiten auf Pikett, ausgerüstet mit scharfer Munition. Zum Einsatz kommt es glücklicherweise nicht. Nach Verhandlungen mit der Polizei wird man sich bei der PdA bewusst, dass die Behörden alles unternehmen würden, damit die Kundgebungen verhindert werden könnten. Von der bereitstehenden Armee weiss man indes nichts. Und wird man auch nichts erfahren.
Wie kam es dazu? Die Mobilisierung der Armee und deren Ausrüstung mit scharfer Munition ist das letzte und brutalste Mittel, das ein Staat gegen die Bevölkerung einsetzen kann. Gleichzeitig kann ein Armeeeinsatz auch ein Hinweis darauf sein, dass die Regierung ihre Situation als akut bedrängt einschätzt. Für die Landesregierung und die kantonalen Behörden kam die damalige Bedrängnis in der Gestalt der sogenannten «Säuberungskampagne» daher, welche nach dem Kriegsende einsetzt und sich zuerst gegen die anwesenden ausländischen Faschisten und Nationalsozialisten richtet. Bald wendet sich die Kampagne auch gegen schweizerische Fröntler wie auch gegen deutschlandfreundliche Behördenmitglieder, Politiker und Unternehmer. An zahlreichen Demonstrationen, nicht immer mit friedlichem Verlauf, werden in den grösseren Städten der Schweiz Abertausende mobilisiert. Eine der ersten Forderungen verlangt vehement den Rücktritt des EJPD-Vorstehers und BGB-Bundesrates von Steiger (bekanntlich wird aus seiner Partei, der Bauern- Gewerbe- und Bürgerpartei, später die SVP). Von Steiger war in den 30er Jahren als Anwalt für das Hitlerregime tätig und wurde für die Flüchtlingspolitik sowie für die Repression gegen die Linke während des Krieges verantwortlich gemacht. Obwohl die Sozialdemokratie in der Kampagne mit der schärferen Wortwahl auftritt, ist die PdA die federführende Kraft.
Die unmittelbare Vorgeschichte zum Fast-Armeeeinsatz nimmt ihren Lauf in der Nacht auf den 26. August. An Häusern von stadtbekannten Rechtsextremisten werden antifaschistische Parolen angebracht. Zudem wird der Justiz- und Polizeiminister, der an diesem Tag vom Bieler Unteroffiziersverein erwartet wird, beim Bahnhofsplatz mit dem Schriftzug «Fort mit von Steiger» empfangen. Weil die Bieler PdA am Tag zuvor, am Sonntag, ihren Volkstag abgehalten hat, wird sie von der Polizei für die Aktionen verantwortlich gemacht. Als sich dann am Nachmittag des 27. Augusts – mittlerweile ist es Dienstag – ein mehr oder minder spontaner Protestzug formiert, der bis in den späten Abend hinein Geschäfte und Häuser von Nationalsozialisten und Faschisten aufsucht und es dabei vereinzelt zu Übergriffen kommt, sieht sich die Bieler Polizei zum Einschreiten veranlasst. Sie verhaftet in einer Nacht und Nebel Aktion sechs vermeintliche «Haupträdelsführer» der Demonstration, allesamt PdA-Mitglieder, darunter Paul Fell und seine Tochter.
Was nun folgt, muss die Behörden erschreckt haben und war wahrscheinlich der Auslöser für die Mobilisierung der Armee. Die Kunde von den Verhaftungen verbreitet sich am nächsten Tag in Windeseile, und nachdem der Untersuchungsrichter die Forderung einer PdA-Delegation nach Freilassung ausschlägt, wird am Nachmittag binnen weniger Stunden zu einer erneuten Demonstration mobilisiert. Nach Schätzungen der Polizei finden sich am frühen Abend 2000 DemonstrantInnen vor dem Amtshaus ein und verlangen lautstark die Freilassung der Inhaftierten. Redner fordern die Menge auf, solange vor dem Amtshaus zu verbleiben, bis die Forderung erfüllt würde. Unter dem Eindruck des mächtigen Aufmarsches empfängt der ausserordentliche Untersuchungsrichter erneut eine Verhandlungsdelegation. Bereits nach kurzer Unterredung werden vier Inhaftierte freigelassen. Paul Fell und seine Tochter bleiben jedoch weiterhin in Haft. Fell befindet sich zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr in Biel. Er ist am Nachmittag nach Bern geschafft worden, vielleicht aus Angst vor einer Gefangenenbefreiung.
Mit der Freilassung der vier Inhaftierten gelingt es den Behörden, den Proteststurm vorerst einzudämmen. Bereits am nächsten Tag, am 29. August, wird aber klar, dass die Bewegung nicht gebrochen ist. Es wird bekannt, dass in einem Unternehmen zwei Arbeiter entlassen worden sind, weil sie sich an den Kundgebungen beteiligt hatten. Zudem sitzt Fell in Bern immer noch in Haft. Deshalb droht die PdA damit, auf den Abend gleich in Biel und in Bern zu einer Demonstration aufzurufen. Nun unternimmt der Berner Regierungsrat in Zusammenarbeit mit dem Bundesrat alles, um die Kundgebungen zu verhindern und damit die Protestbewegung zu brechen. Sämtliche verfügbaren Kantonspolizisten werden nach Biel beordert. Die Stadt wird regelrecht belagert. Derweil werden in Bern Armeeeinheiten für den Ernstfall instruiert und vereidigt, scharfe Munition wird ausgeteilt. Sie sollen die Stadtpolizei unterstützen.
Dass die Armee 1945 gegen eine PdA-Demonstration eingesetzt werden sollte, ist bis heute kaum bekannt. Der Grund dafür ist simpel: Die Kundgebung fand nicht statt, die Armeeeinheiten verharrten in der Kaserne. Die Öffentlichkeit merkte von den düsteren Wolken, welche an jenem Abend über Bern aufzuziehen drohten, nichts. Deshalb findet sich diese Mobilmachung auch in keiner der vielen Zusammenstellungen über die Armeeeinsätze im Innern, welche von der Linken veröffentlicht worden sind. Es ist ironischerweise eine Reaktion der Armee darauf, die den Einsatz vom August 45 erstmals beinhaltet. Nachdem im Zuge der 68er Bewegung Soldatenkomitees in der Armee deren Vergangenheit anprangerten, sah sich der armeeinterne Agitationsstab Heer und Haus veranlasst, eine eigene Studie zum Thema zu verfassen. Die 1973 unter dem Titel «Die Schweizer Armee im Ordnungsdienst 1856 -1970» erschienene Schrift sollte dem militärischen Kader quasi das Gegenargumentarium gegen die linken «Angriffe auf die Armee» liefern und Beispiele von «praktischen Anwendungsfällen» veranschaulichen. Über den verheerenden Einsatz in Genf 1932 heisst es da beispielsweise, es habe sich um einen «notwendig gewordenen Ordnungsdienst» gehandelt. Wie der Hinweis auf den vorbereiteten Einsatz gegen die PdA zeigt, ist die Schrift aber durchaus auch ein Fundus für die Gegenseite.
Bombenanschlag im Appenzell
In jenen Tagen, als die Armee in Bern gegen eine PdA-Demonstration einschreiten wollte, ereignete sich im ausserrhodischen Herisau ein Bombenanschlag. Für die ermittelnde Polizei ein klarer Fall: Mitglieder der Appenzeller PdA haben den Anschlag verübt.
Der 31. August 1945 wird für den Herisauer Sekuritaswächter Jean Wagner zum folgenschweren Schicksalstag. Kurz vor Mitternacht gelangt er auf seiner Kontrolltour zum Wirtshaus zum Olivenbaum und sieht dort, auf einem Fenstersins, ein kleine, funkelnde Lichtquelle. Im ersten Augenblick denkt er an eine «Gasstichflamme». Bei näherer Betrachtung entdeckt er Ungeheuerliches: Hier zischt eine Zündschnur, die zu einem rohrähnlichen Gegenstand führt – eine Bombe! Doch es ist noch nicht zu spät. Wagner greift nach der Sprengladung, wirft sie auf den Vorplatz. Erfolgreich, wie er meint, jedenfalls kann er kein glimmen mehr ausmachen. Die Zündschnur scheint durch den Aufprall erloschen. Vom Gelingen der Rettungsaktion beflügelt, verliert der Sekuritaswächter jeden Verstand. Laut Polizeiprotokoll will er die Sprengladung vollends unschädlich machen und nähert sich erneut. Als er die Zündschnur zertreten will, passiert die Katastrophe: die Sprengladung explodiert und verletzt Wagner schwer. Er verliert eine Hand und erleidet Verbrennungen im Gesicht sowie an den Beinen.
Für die Ermittler ist die Sache sonnenklar: Getroffen werden sollte der Olivenbaum-Wirt, er ist Deutscher und bekannter Nazi. Und hinter dem Anschlag stehen Mitglieder der Appenzeller PdA, oder zumindest Leute aus deren Umfeld. Dieser Schnellschluss zeigt, dass die PdA bereits Jahre vor dem Einsetzen des Kalten Krieges stigmatisiert und folglich kriminalisierbar ist. Weshalb die Polizisten die Täterschaft in der PdA vermuten, schreiben sie in ihren Berichten nicht. Es ist auch gar nicht nötig, den Verdacht zu begründen. Althergebrachte Bedrohungszenarien sowie Ereignisse und (diffamierende) Informationen neueren Datums dürften dafür verantwortlich sein. Sie lassen einfach rekonstruieren, was in den Köpfen der ausserrhodischen Fahnder vorgegangen sein könnte: Der Kommunist – und die PdAler sind Kommunisten, auch wenn sie’s nicht immer zugeben – war noch bis vor wenigen Monaten ein Illegaler, ein Krimineller. Gewaltsame Umstürze sind ihm nicht fremd, im Gegenteil, das wusste man schon vor dem Krieg. Liegen in den Attacken auf den Bundesrat nicht verborgene Keime staatsgefährlicher Umtriebe? Dann die kompromisslosen Forderungen nach der Ausweisung ausländischer Faschisten und die Anklagen gegen schweizerische Fröntler, überhaupt die ganze «Säuberungskampagne»! Ist es in Winterthur anlässlich einer PdA-Demonstration nicht zur Zerstörung und Plünderung eines Uhrengeschäft gekommen, das einem Faschisten gehörte? Sind solche Übergriffe nicht schon bald an der Tagesordnung, wie die neusten Meldungen aus Biel beweisen (siehe «Die scharfe Munition war bereits gefasst», Vorwärts vom 17. September)? Schliesslich erhielt man vor drei Tagen einen Rundspruch der Bundespolizei, in dem im Zusammenhang mit den Bieler Ereignissen vor gesamtschweizerischen Aktionen der PdA gewarnt wird. Und dieselbe Bupo hatte ja bereits im Februar vor möglichen Sabotageakten gewarnt. Keine Frage, die Urheberschaft des Anschlags gegen den Nazi-Wirt muss in den Reihen der PdA zu finden sein.
Solche und ähnliche Gedankengänge dürften dafür verantwortlich sein, dass auf dem ausserrhodner Polizeikommando eine Liste von Parteimitgliedern – man hatte sie aufgrund von Beobachtungen an den Herisauer Parteiversammlungen zusammengestellt – kurzerhand zur Verdächtigenliste mutiert. Nur: Wer von den 24 Verdächtigen könnte für den Anschlag wirklich in Frage kommen?
Verdächtigt werden ausserdem zwei auf der Liste nicht aufgeführte, aber der PdA zugerechnete «Burschen», welche sich vor einigen Monaten im Olivenbaum «skandalös benommen» haben sollen. «Frech und anmassend» hätten sie sich damals aufgeführt und die Gäste wie den Wirt mit dem Schlachtruf «raus Kameraden, raus» provoziert, steht im Polizeibericht. Auch sollen sie «Pfeif- und Lärmszenen» vor dem Haus eines anderen Herisauer Rechtsextremisten aufgeführt haben. Insbesondere der eine könnte für die Tat in Frage kommen. Auf dem örtlichen Bahnhof, seinem Arbeitsplatz, wird Sprengstoff gelagert, mit dem er umzugehen weiss. Zur weiteren Abklärung machen die Ermittler das, was in solchen Fällen üblich ist: Sie fragen am Arbeitsort nach. Und erfahren vom Herisauer Bahnmeister prompt, dass dem Hilfsarbeiter eine solche Tat zuzutrauen sei, habe er ihn doch als «wenig aufrichtigen, eher verschlagenen Charakter kennengelernt». Weil sich herausstellt, dass die Sprengladungen noch vollzählig vorhanden sind, entpuppt sich die heisse Spur dann aber schnell als Irrweg.
Damit kommen wir zurück zur Partei- bzw. Verdächtigenliste. Hier fällt die engere Wahl auf drei Männer, welche «aufgrund ihrer aggressiven politischen Einstellung» als Täter in Frage kommen. Überdies kennen sich alle drei im Umgang mit Sprengmaterial aus. Der eine aus dem Militärdienst, die anderen beiden von der Arbeit. Sie arbeiten auf dem Bau. Auch hier wählen die Ermittler den direkten Weg zum «Arbeitgeber». Der angefragte Lokalunternehmer vermutet sofort, dass es sich beim verwendeten Sprengstoff um eine Ladung «Cheddit A 60» aus seinen Beständen gehandelt habe. Unterstützt wird seine Aussage vom verletzten Sekuritaswächter, welcher vom Spitalbett aus anhand der «Grösse und Umhüllung des Sprengkörpers einwandfrei» die Bombe wiedererkannt haben will. Er täuscht sich. Wenig später versanden die Ermittlungen ergebnislos. Am Arbeitsplatz der vermeintlichen Täter wird’s indes eng.
Matthias Hauser
Die unschweizerische Partei
Der Vorwurf, die PdA sei eine «Auslandspartei» ist so alt wie die Partei selbst. Die Hintergründe waren jedoch nicht immer dieselben.
Mit dem Beginn der 50er Jahre hatte sich für die PdA eine neue Bezeichnung – im wahrsten Sinne des Wortes – eingebürgert. «Partei des Auslandes» beschimpfte man sie immer öfter, und dies nicht nur am Stammtisch des Gewerbeverbandes, sondern auch in den Zeitungen und zuweilen auch in offiziellen Redebeiträgen bei Parlamentsdebatten. Die Schmähung der Partei war perfekt.
In die gleiche Richtung zielten die Bezeichnung der «5. Kolonne» und Verlautbarungen, welche ihre Mitglieder zu «Agenten Moskaus» erklärten. Damit ist auch klar, was mit dem Begriff «Partei des Auslandes» gemeint war: Die Partei – so der nachweislich falsche Vorwurf – erhält ihre Direktiven aus Moskau. Und ihre Mitglieder werden sich – so die geschürte und heiss gekochte Angst – als Verräter an der nationalen Gemeinschaft, als Landesverräter, betätigen, sobald die Sowjetunion die Schweiz angreife.
«Partei des Auslandes» beinhaltet aber nicht nur den platten Vorwurf, eine moskaugesteuerte Politik zu verfolgen. Er benennt die Partei allgemein als «unschweizerisch». Wer die Trennlinie zwischen dem In- und dem Ausländischen so scharf zieht, der muss klare Vorstellungen haben, worin das Wesen des Schweizerischen genau besteht. Dies setzt Werte voraus, welche die schweizerische «Eigenart» ausmachen und sozialistischen Ideen zuwiderlaufen. Natürlich gibt es keine angeborenen Eigenarten, natürlich handelt es sich hier um ein nationalistisches Konstrukt – welches allerdings äusserst erfolgreich eingesetzt werden konnte (und kann). Obwohl sozialistische Ideen in der Schweiz spätestens seit der Russischen Revolution als unschweizerisch verschrieen waren und sich das Denken der besonderen, inselartigen Schweiz bereits im letzten Jahrhundert – als Reaktion auf das internationalistische Konzept der ArbeiterInnenbewegung – formiert hatte, erfuhr das nationalistische Konstrukt gerade durch den 2. Weltkrieg einen grossen Schub. Was nämlich als Schweizerisch zu gelten hatte und was nicht, wurde im Zuge der Geistigen Landesverteidigung erst richtig formuliert. Die Geistige Landesverteidigung gilt heute weithin als heroische Leistung, weil sie – so das Fazit – die Schweiz gegen Nationalsozialismus und Faschismus geeint habe. Vergessen wird dabei aber oft, dass es sich um eine beispiellose ideologisch-nationalistische Moblisierung gehandelt hat, welche sich in den Anfängen (Mitte 30er Jahre) nur gegen die «volksfremden Ideologien» von links gewandt und faschistoide Tendenzen in sich getragen hatte. Erst gegen Ende der 30er Jahre bezog man in den Gräben der Geistigen Landesverteidigung Stellung gegen den Nazismus. Inzwischen war der reformistische Teil der ArbeiterInnenbewegung in die «schweizerische Schicksalsgemeinschaft» integriert worden und die Kriegsbedrohung dramatisch angewachsen. Nun war der Nationalsozialismus das, was mit einem eigenen übersteigerten Nationalismus abgewehrt werden sollte: Werte wie Freiheit, Wehrhaftigkeit, Demokratie und Föderalismus dienten nun als Bannerträger im Kampf gegen das unschweizerische Deutsche. Die Abgrenzung gegen das Deutsche war zumindest in der Deutschschweiz nicht unproblematisch, hatte man doch in der Anfangsphase der Geistigen Landesverteidigung die Zugehörigkeit zum abendländisch-christlichen Kulturkreis geradezu beschworen. Wie schwer diese Abgrenzung zuweilen fiel, belegt die Bundespolizei: Hatte sie sich in den Vorkriegs- und Kriegsjahren bei ihrer Arbeit gegen die Linke sowohl mit deren Tätigkeit wie auch im besonderen Masse mit deren Ideologie befasst, galt ihre Aufmerksamkeit zur Rechten nur deren Tätigkeit – ungleich der kommunistischen galt die faschistische Ideologie der Bupo offensichtlich keineswegs als Bedrohung für das «Schweizertum».
Obgleich das internationalistische Konzept der KommunistInnen mit dem nationalistischen der Geistigen Landesverteidigung zwangsläufig in Widerspruch stehen musste, vermochte letztere auch auf die InternationalistInnen abzufärben. Bei der Säuberungskampagne etwa (siehe Geschichtsfiche der letzten beiden Vorwärts-Ausgaben) profitierte man zweifellos von der fremdenfeindlichen Stimmung, die sich gegen die Deutschen richtete. Und der führende Kopf der Luzerner PdA, Xaver Schnieper, bediente sich 1945 in seinen Reden immer wieder an den Vorbildern der «freiheitsliebenden und grossen Vorfahren» Bruder Klaus und Zwingli; beide waren im Zuge der Geistigen Landesverteidigung erst richtig zu «Landesvätern» emporstilisiert worden. Schnieper versuchte dabei freilich, das zum Unschweizerischen deklarierte zum Schweizerischen zu erklären und umgekehrt: Die Verräter waren die Kapitalisten, die Waffenlieferer und Kreditgeber, welche sich «an fremden Händeln beteiligt und sich dadurch in grossem Masse bereichert» hatten.
Solche Versuche blieben aber Einzelfälle und fruchteten nicht. Im Gegenteil, die PdA sah sich schon bald nach ihrer Konstituierung dem Vorwurf ausgesetzt, eine «unschweizerische Partei» zu sein. In der nach dem Kriegsende einsetzenden Vergangenheits- bzw. Bewährungsdebatte formulierte die Partei eine grundsätzliche Kritik an der schweizerischen Aussen- und Neutralitätspolitik. Für die NZZ ein Landesverrat: Die PdA versuche generell die Schweiz im Ausland zu diffamieren und kolpotiere Stalins infame Faschismusvorwürfe an die Schweiz, meinte das freisinnige Hoforgan im Juni 1945. In der Ansicht der NZZ hatte sich die PdA damit als «neofrontistische Auslandspartei» entlarvt.
Wie sich diese Spannung von Kritik und Gegenkritik sowie von Nationalismus und Internationalismus im politischen Alltag entladen konnte, erzählt uns eine Anekdote, die in den Akten der Bupo festgehalten ist. Schauplatz war der Bundesplatz, man schrieb den 20. Juni 1945: Dem Aufruf der Berner PdA zu einer antifaschistischen Demo waren 3000 Menschen gefolgt, und um dem Anlass die richtige Würde zu geben, spielte auch eine Arbeiter-Musikkapelle. Mit der Internationalen wollte sie die Veranstaltung abschliessen. Eine Gruppe Studenten versuchte jedoch genau dies zu verhindern und der heimatmüden Stimmung vor dem Bundeshaus ein Zeichen währschaften Schweizertums zu setzen: «Rufts Du mein Vaterland», erscholl es unverhofft aus ihren Kehlen. Der Aktion war indes nur wenig Erfolg beschieden, erzählt uns der Polizeirapport: «Der Gesang verstummte ziemlich rasch und es kam zu einer richtigen Kehlerei.» Besonders hart traf es dabei den Medizinstudenten Moritz Rogger, dem sogar die Kleider vom Leib gerissen worden seien. Die 50 uniformierten und 30 weiteren Beamten in Zivil hatten in der Folge alle Hände zu tun. Rogger wurde der aufgebrachten Menge entrissen. Für die Freunde und Helfer bürgerlicher Provokateure gabs aber erst mal Prügel: «Offenbar in grosser Aufregung, erkannte er die Hilfe nicht und schlug auch gegen die Polizeileute.» Trotzdem: Die Idee, mit «unserer Nationalhymne» gegen die Kundgebung zu protestieren, fand der rapportierende Polizeikomissär eigentlich ganz gut. «Allerdings», beanstandete er, kam die Aktion «unseres Erachtens in einem pychologisch sehr ungünstigen Moment.»
Interview mit Karl Odermatt: «Und da sprangen zwei Spitzel aus dem Fenster»
Der 79jährige Karl Odermatt gilt als «Gedächtnis der Partei». Odermatt war von 1947 bis 1985 verantwortlicher Redaktor des Vorwärts und während 47 Jahren im ZK der PdAS. Im ersten Teil eines Interwievs erzählt er über seine Erfahrungen mit dem Schweizer Schnüffelstaat.
Karl Odermatt, die zu Beginn der 50er Jahre erfolgte Einbürgerung des Begriffs «Partei des Auslandes» bedeutete quasi die Ausbürgerung der Partei. Der Vorwurf des Unschweizerischen ist aber viel älter. Was steckt dahinter?
Karl Odermatt: In der Schweizergeschichte ist schon jede revolutionäre Strömung als auslandabhängig angeschwärzt worden. So war es mit den Parteigängern der Französischen Revolution. So geschah es mit den Liberalen und Demokraten in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Und ähnlich erging es auch mit der Sozialdemokratie. Dass man auch uns auf diese Art diffamierte, hat also Tradition. Andererseits ist es auch nichts Neues, dass die Impulse fortschrittlicher Bewegungen mitunter aus dem Ausland gekommen sind. Sowohl der Liberalismus wie der Sozialismus und Kommunismus sind weltweite Bewegungen. Letztlich sind Kategorisierungen von schweizerisch und unschweizerisch völliger Stumpfsinn.
Dennoch legitimierte der Staat die Beschnüffelung der PdA und von anderen Linken gerade auch damit, dass er sie zu potentiellen Landesverrätern erklärte. Die Beschnüffelung konnte als Waffe gegen die Partei eingesetzt werden. Kannst Du ein Beispiel geben?
Schwerwiegend war der Fall Edgar Woog. Dieser hatte an einer Vorstandssitzung der «Koordinationsstelle für Nachkriegshilfe» gewünscht, dass man ihm für den Vorwärts ein Darlehen von 5000 Franken gewähre. Der Vorwärts befand sich gerade in einem finanziellen Engpass. Das Darlehen wurde gewährt. Weil die Sitzung im Nebenzimmer abgehört wurde, hatte man davon Wind bekommen. Woog wurde anfangs Oktober 1947, gerade noch vor den Nationalratswahlen, verhaftet. Weil das Geld aber schon wieder zurückbezahlt worden war, entliess man ihn bald wieder aus der Untersuchungshaft. Nichtsdestotrotz wurde dem Stadtrat Woog 1949 der Prozess wegen «Veruntreuung von Spendegeldern» gemacht. Er wurde zu sechs Monaten Haft verurteilt, die er auch absitzen musste.
Gibt es noch weitere Fälle dieser Art?
Ähnlich krass war der Fall Schiwow. Viktor Schiwow hatte 1952 für eine ungarische Publikation ein Exposé geschrieben über politische und insbesondere wirtschaftspolitische Fragen. 1956, bei einer Hausdurchsuchung, kam das Papier in die Hände der Bundespolizei, Schiwoff wurde aufgrund des Papiers verhaftet. Die Anschuldigung wegen Spionage entpuppte sich als gegenstandslos, dennoch wurde er 1958 symbolisch zu wenigen Tagen Gefängnis verurteilt. Als Folge davon verlor er seine Stelle als Sekretär der VPOD-Sektion Luftverkehr.
Eigentliches Ziel dieser Aktion war es jedoch, dem geschäftsleitenden Sekretär des VPOD, Max Arnold, eines auszuwischen. Dieser war als linker Sozialdemokrat und konsequenter Sozialist dem ganzen bürgerlichen und sozialdemokratischen Establishment ein Dorn im Auge. Er sollte mit der Affäre gebodigt werden. Das liess er nicht zu, aber es gab heftige Auseinandersetzungen in der Gewerkschaft. Schliesslich wurde Arnold als Vizepräsident des Gewerkschaftsbundes abgesetzt.
Die Sitzungen der Partei wurden systematisch abgehört. Man wusste auch darum. Wie hat man das gemerkt?
Es gab Mikrofone, welche die Polizei in Sitzungsräumlichkeiten installiert hatte. In St. Gallen etwa entdeckte ein Genosse im Saal der Wirtschaft, in der die PdA regelmässig tagte, ein Mikrofon, das in der Deckenlampe versteckt war. Dieses war mit einer Tonbandanlage im Estrich verbunden. Die Polizei hatte dieses Mikrophon jahrelang benutzt.
In Basel kam ebenfalls ein Mikrophon zum Vorschein, als die GenossInnen im Saal des Restaurants Rebhaus – ein traditioneller Treffpunkt der ArbeiterInnenbewegung – abgeklopft haben. Das Mikrophon war hinter der Tapete versteckt.
Eine weitere Anekdote stammt aus einer Sitzung der Nationalratsfraktion. Diese besprach sich in einem Restaurant der Berner Altstadt. Als einer die Türe zum Nebenzimmer öffnete, sah er zwei fluchtartig aus dem Fenster springende Schnüffler. Aufgrund dieser und noch weiterer Fälle wusste man natürlich, dass man überwacht wird.
Es ist davon auszugehen, dass es innerhalb der Parteistruktur Spitzel gab. Sind dir Fälle von Enttarnungen bekannt?
Es sind selten Spitzel enttarnt worden. Konkret erinnere ich mich nur an eine Enttarnung, die auf die Zeit der Illegalität zurückgeht. In der Sozialistischen Arbeiterjugend flogen zwei Spitzel auf. Das sind genau jene Spitzel, die in meiner Fiche die einzigen Eintragungen während der Zeit zwischen 1941 und 1944 verursacht haben. Über die Tätigkeit in der Kommunistischen Partei steht in meiner Fiche jedoch nichts. Derweil gibt es viele Eintragungen, die falsch sind.
Du sprichst die Fehler an. Worauf muss man achten, wenn man die Fichen zur historischen Aufarbeitung benutzt?
Da oft fahrlässig protokolliert worden ist, muss man sehr vorsichtig sein. Einige Beispiele aus meiner Fiche: Es ist mehrere Male von einer Autonummer die Rede, die mir gehören soll. Es handelt sich dabei aber um das Auto meiner Frau. Von unseren beiden Töchtern ist immer nur eine vermerkt, und zwar gerade nicht jene, welche im Kommunistischen Jugendverband war. Dann gibt es eine Reihe von Veranstaltungen, an denen ich gewesen sein soll. Am 1. Mai 1951 soll ich beispielsweise in Bern ein Referat über meinen Aufenthalt in Moskau gehalten haben. Vor 1956 bin ich aber nie in Moskau gewesen. Das ist eine reine Erfindung: Ich kann nicht über Eindrücke aus Moskau sprechen, wenn ich noch nie dort gewesen bin.
Es hat also lauter solche Fehler, welche es verunmöglichen, für die Parteigeschichte nur die Fichen als Quellen zu benutzen. Selbst die NZZ stellte am 4. Oktober 1999 fest, die Personaldossiers seien planlos angelegt, politisch einseitig gewichtet und voller Fehler.» Zur Untersuchung des staatlichen Antikommunismus eignen sich die Fichen jedoch bestimmt sehr gut.
Mit Mikrofon und Sender
PdA-Versammlungen wurden seit den 40er Jahren elektronisch ausgehorcht. Dabei stellten Bundespolizei und kantonale Spezialdienste gerne fest, dass sie – verglichen mit anderen westlichen Geheimdiensten – technisch auf der Höhe der Zeit waren. Anfänglich fehlte noch ein Tonbandgerät und das abgehörte Gespräch musste in einem Nebenzimmer direkt von einem Polizisten stenographisch festgehalten werden. Ab 1948 war das Manko behoben. In Zusammenarbeit mit der Generaldirektion der PTT testete man die neuartige Abhöreinrichtung mit Tonbandgerät erstmals am 15. Januar bei einer Mitgliederversammlung einer stadtzürcher PdA-Sektion. Bessere Aushorchmöglichkeiten brachten dann kabelfreie Geräte mit Kleinsendern, welche bereits ab 1951 zum Einsatz kamen. An einer Polizeikommandanten-Konferenz wurde ein solches Gerät erstmals vorgestellt: «Es genügt, dass der Sender irgendwo im Versammlungsraume angebracht wird oder dass ein Versammlungsteilnehmer den Sender in der Rocktasche hat. Innerhalb eines gewissen Umkreises können sodann mit einem Spezial-Empfänger die Gespräche abgehört werden.» An derselben Konferenz wurde auf die Möglichkeit hingewiesen, dass auch feindliche Agenten über diese Geräte verfügen könnten. Ein Minispion, mit dem ein Sender aufgespürt werden könnte, sei deshalb bereits in Entwicklung, informierte man die Polizeikommandanten.
Dem Druck aus dem Kominform widerstanden
In der letzten Ausgabe erzählte Karl Odermatt von seinen Erfahrungen mit dem Schweizer Schnüffelstaat. Im zweiten und abschliessenden Teil des Interviews äussert sich der langjährige verantwortliche Redaktor des Vorwärts kritisch zur Parteigeschichte der PdAS. Zur Sprache kommen Leistungen und Fehlleistungen der Partei, die Hintergründe prominenter Parteiausschlüsse und internationale Druckversuche.
Die Partei der Arbeit hat in der Zeit des Kalten Kriegs immer mehr an Terrain verloren. Ich vertrete die These, dass die Ursache dafür in erster Linie im doktrinären Antikommunismus und der Stigmatisierung der KommunistInnen zu finden ist. Wie stehst du dazu?
Karl Odermatt: Die Stigmatisierung während des Kalten Krieges hat eine nachhaltige Wirkung. Ich sehe darin aber nicht den einzigen Grund für den Bedeutungsverlust der Partei. Die PdA hat auch ihren Anteil dazu beigetragen. In verschiedenen Fragen ist sie ihrer Rolle als Partei, welche die Probleme rechtzeitig erkennt, nicht gerecht geworden. Man hing lange Zeit an einem historischen Determinismus, der nicht dialektisch sondern mechanisch war. Zudem hat man sich auf eine Analyse des Kapitalismus verlassen, die von den Ereignissen überholt worden ist. Man hat nicht gesehen, dass der Kapitalismus die schweizerische Arbeiterklasse – krass ausgedrückt – wegrationalisiert. Die Entwicklung von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft wurde zu spät erkannt. Im Parteiprogramm von 1959 stand etwa, man müsse in der Schweiz einen Arbeiter- und Bauernstaat errichten. Die Bauern machten damals keine 10 Prozent der aktiven Bevölkerung aus, heute sind es noch bedeutend weniger.
War die ideologische Unbeweglichkeit, die du ansprichst, eine Reaktion auf die zunehmende Isolierung der Partei und ihrer Mitglieder?
Die Isolierung bewirkte eindeutig eine Ghettoisierung. Oft konnten sich die GenossInnen nicht zu ihrer Parteimitgliedschaft bekennen. Um daraus ausbrechen zu können, muss man politisch tätig sein. Man muss die politische Lage richtig analysieren und sehen, wo Möglichkeiten zum Handeln sind.
Anders gefragt: Hätte man mit einer adäquateren Politik die Mauer durchbrechen können, welche den Kommunisten als absoluten Feind ausgrenzte?
Das ist eine schwierige Frage, die ich nicht beantworten kann. Die Isolierung führte gewiss dazu, dass man teilweise auf die praktische Politik verzichten musste. Dabei gab es regionale Unterschiede. In der Westschweiz ging die Isolierung nie so weit wie in der Deutschschweiz.
Dennoch: Die Partei ist ja nicht untätig geblieben…
Die Isolierung hat die politische Tätigkeit behindert. Aber es wäre falsch, die Anstrengungen der Partei in der politischen und sozialpolitischen Auseinandersetzung zu ignorieren. Während der Zeit des Kalten Krieges hatten wir einige Dauerthemen. In der Innenpolitik zum Beispiel, dass wir keine Nato-Armee im Westentaschenformat wollen. In der Sozialpolitik standen wir für den Ausbau der AHV, den Mieterschutz und den sozialen Wohnungsbau, den Ausbau der Feriengesetzgebung. Überdies setzten wir uns für die Verteidigung der demokratischen Rechte ein. Dazu kamen Impulse aus der internationalen Politik, die nicht immer nur negativ waren.
Stark beschäftigt hat uns auch das Problem der Demokratie im Sozialismus. Die Tatsache, dass die PdA die Krise von 1989 relativ gut überstanden hat, ist u.a. darauf zurückzuführen, dass in der Partei seit Mitte der 60er Jahre die Kritik an Fehlentwicklungen in den sozialistischen Ländern nicht nur geduldet, sondern entwickelt worden ist.
Ein Merkmal der ersten Jahre der PdA waren die Ausschlüsse prominenter Exponenten. Innert weniger Jahre wurden Leitfiguren wie Hofmaier, Brunner und Nicole ausgeschlossen. Und kurz vor der Gründung der PdA war bereits Humbert-Droz aus den illegalen KP-Strukturen ausgeschlossen worden. Fernab der spezifischen Hintergründe bekommt man das Bild einer Partei, die sich der eigenen Köpfe entledigt hat…
Der 1943 erfolgte Ausschluss von Humbert-Droz war eine Angelegenheit der Kommunistischen Partei als Sektion der 3. Internationalen. Ich vermute, dass hier letztlich unterschiedliche Einschätzungen zur politischen Situation und die Rivalität zwischen Humbert-Droz und Hofmaier entscheidend waren.
Hofmaier war ein ziemlich autoritärer Mensch, der in der PdA zentrale Figuren aus der früheren KP, Marino Bodenmann und Emil Arnold etwa, ins zweite Glied gestellt hat. Dass er an ihrer Stelle Leute förderte, welche aus der SP gekommen waren, ist ihm natürlich übel genommen worden. Aber Hofmaier wurde nicht deswegen abgesetzt. Sondern weil er die innerparteiliche Demokratie nicht beachtet hatte und keine Kontrolle über seine finanziellen Handlungen zuliess. Als die Partei in finanzielle Nöte geriet und der Vorwärts für vier Monate eingestellt werden musste, konnte er nicht mehr vom Nimbus des antifaschistischen Kämpfers, der in den Kerkern Mussolinis gesessen hatte, zehren. Er musste gerade stehen für das, was er getan hatte. 1947 wurde er ausgeschlossen.
Und der Fall Nicole?
Der Fall Nicole ist wieder etwas ganz anderes. Nicole kam aus der sozialdemokratischen Partei und war ebenfalls ein sehr selbstherrlicher Mensch. Als Redaktor des westschweizer Parteiorgans nannte er sich bezeichnenderweise «patron». Als junge, politisch erfahrene Leute aus der ehemaligen KP zu den leitenden Gremien stiessen, wurde sein Verhalten immer weniger geduldet.
Streitpunkt mit Nicole war die Einschätzung des politischen Wertes der schweizerischen Neutralität. In der Parteileitung war man mehrheitlich der Auffassung, dass die Neutralität als Denunziationsmittel eingesetzt werden müsse, für den Fall, dass die schweizerische Bourgeoisie mehr oder weniger offen ins Lager der USA und der Nato übergehen sollte.
Die Linie Nicole orientierte sich jedoch an der Kominform-Theorie, gemäss derer man sich für einen der beiden Blöcke hätte entscheiden müssen. Er forderte, die Partei solle die staatspolitische Neutralität ablehnen und klar Stellung für den von der Sowjetunion dirigierten Block beziehen. Diese undifferenzierte Betrachtungsweise führte in den Jahren 51/52 zum Bruch.
Dabei gab es auch Druckversuche aus dem Kominform…
Ja. Nicole wurde gestützt durch die Kommunistische Partei Frankreichs, welche im Auftrag des Kominform in der Schweiz intervenierte. Zwei Mitglieder des französischen Zentralkomitees veranstalteten Treffen, an denen sie die Basis gegen die Parteileitung zu mobilisieren versuchten. Ziel war es, Nicole an die Spitze einer zu hundert Prozent kominformtreuen Parteileitung zu hieven. Nach dem dies misslungen war, versuchte man, die Köpfe der Partei als amerikanische Agenten zu verleumden. Hauptsächlich betroffen waren Woog und Vincent. Eine von der parteiinternen Kontrollkommission durchgeführte Untersuchung kam dann jedoch zum Schluss, dass alle Anschuldigungen aus der Luft gegriffen worden waren. Die Anschuldigungen waren analog zu den Verfahren gegen Slansky und anderen Führern der Kommunistischen Parteien in den sogenannten Volksdemokratien gemacht worden. Die PdA war die erste Partei, die solche Anschuldigungen zurückgewiesen hatte. Es ist ein Zeugnis dafür, dass man dort, wo man die Sachlage selber untersuchen konnte, nicht den «Ratschlägen» gefolgt ist, welche von Moskau über Paris in die Schweiz gegeben wurden. Dabei stellte sich neue Probleme. Die PdA musste sich bald fragen, wie weit sie mit den Kommunistischen Parteien unter den jeweiligen Bedingungen solidarisch sein musste und konnte. (Sie hielt 1956 die Intervention in Ungarn für notwendig, kritisierte 1964 das bei der Absetzung Chrustschows offenbarte Demokratiedefizit und verurteilte 1968 den Truppeneinmarsch in die Tschechoslowakei.)
Das Blatt wendet sich
Im Zuge der Affäre um die «Schauwecker-Million» formiert sich 1946 die antikommunistische Koalition von SVP bis SP. Es ist der Startschuss des Kalten Kriegs gegen die PdA.
Die Stimmung, welche der rapportierende Polizist am 2. März 1947 auf dem 3. Parteitag der kantonalberner PdA feststellte, dürfte symptomatisch für die ganze Partei gewesen sein. Eine gedrückte Stimmung habe geherrscht, berichtet er, und der Berner Parteisekretär Teutschmann habe sich dahingehend geäussert, in solchen Zeiten sei es leichter, über Zukunftspläne zu sprechen als über Vergangenes.
Die Zukunft sollte allerdings noch erheblich grössere Probleme mit sich bringen. Am Himmel der internationalen Diplomatie kumulierte allmählich eine rabenschwarze Wolkenarmada, welche nachhaltig ihre Schatten auf die PdA werfen sollte. Churchills Fulton-Rede vom Januar 1946 sowie die Truman-Doktrin und der Marshallplan von 1947 gelten zusammen mit der Berlinkrise und dem Umsturz in der Tschechoslowakei von 1948 als jene Ereignisse, welche den Beginn des Kalten Krieges markieren. Es dürfte indes noch niemand geahnt haben, dass die zunehmende Abkühlung der Beziehungen zwischen der Sowjetunion und den Westmächten bald zu einem Ost-West-Dualismus führen würde, der die Menschheit während Jahrzehnten in Atem halten sollte. Die Imagination eines drohenden 3. Weltkrieges hatte sich eben erst zu bilden begonnen.
Es waren denn auch nicht die Entwicklungen in der internationalen Politik, welche die Stimmung des Berner Parteitags bedrückt haben. Den Delegierten machte der sich abzeichnende Ausschluss von Karl Hofmaier zu schaffen. Der zwischen dem Dezember 46 und Juli 47 ausgeschlossene erste nationale Parteisekretär war massgeblich, vielleicht am bedeutendsten dafür verantwortlich, dass die illegalen KP- und FSS-Strukturen 1943 nicht in der SP aufgegangen waren, dass also die PdA gegründet worden ist. Hofmaier, der sieben Jahre in den Knästen Mussolinis gesessen hatte, haftete etwas Legendenhaftes an; er war das Deutschschweizer Publikumsmagnet der PdA schlechthin.
Doch dann war er hauptverantwortlich für die grosse Krise, in welche die Partei im Sommer 1946 hineinsackte, als die Herausgabe des Vorwärts für vier Monate eingestellt werden musste. Das Geld war ausgegangen. Hofmaier hatte grössere Summen des Geldes, das er von einem PdA-nahen Industriellen zur Verfügung gestellt bekommen hatte, in andere Verlagsprojekte gesteckt, die allesamt Schiffbruch erlitten hatten. 1946 blieb ein Scherbenhaufen zurück. Spende und Spender waren fortan in aller Munde: die «Schauwecker-Million».
Die Meldung, wonach die PdA von einem Industriellen unterstützt werde, war nichts Neues. In der bürgerlichen und sozialdemokratischen Presse waren schon im März 45 Berichte veröffentlicht worden, welche einen heimlichen Geldgeber hinwiesen. Gleichzeitig hatte auch die Bupo «aus guter Quelle» von den Zuwendungen Schauweckers erfahren. Damit war das Thema lanciert, bevor der Vorwärts das erste Mal als Tageszeitung erschienen war: Die Frage, woher die PdA das Geld dazu habe, belastete in der Folge das Bild, das in der Öffentlichkeit über die Partei entworfen wurde. Zwischen der angelaufenen Pressekampagne und den Dementis der Parteispitze entwickelte sich eine Dynamik, welche sich ab Mitte 1946 mit voller Härte gegen die Partei wandte, nachdem das Finanzregiment Hofmaiers zusammengebrochen war und die Dementis sich als falsch erwiesen hatten. Die Hinweise an die bürgerliche und sozialdemokratische Presse waren mit grosser Wahrscheinlichkeit von Humbert-Droz ausgegangen, der nach seinem Ausschluss aus der KP in bitterer Feindschaft zu Hofmaier und zur PdA gestanden hatte.
Als der Vorwärts im Sommer 1946 zwischenzeitlich eingestellt werden musste, verlor die Partei nicht nur ihr Sprachrohr. Mitgliedschaften wurden gekündigt, in St. Gallen traten sogar zwei Sektionen geschlossen aus der PdAS aus. Vor allem aber stand die Partei von nun an unter Dauerbeschuss ihrer politischen Gegner: Im Zuge der Finanzaffäre hatte sich die Koalition gebildet, welche in den folgenden Jahren die Isolierung der PdA organisierte. Zweifellos war die Bildung dieser Koalition von SVP bis SP durch die sich verschlechternde politische Weltwetterlage begünstigt worden. Ein deutliches Zeichen, dass jene Kräfte, welche bis anhin wegen ihrer Politik während des 2. Weltkrieges in der Defensive gewesen waren, zur Gegenoffensive ansetzten, war die Verhaftung des Vorwärts-Redaktors Surava, des bekanntesten Kritikers des SVP-Bundesrates und EJPD-Vorstehers von Steiger.
Gute Russen, böse PdA
Der Bedrohungskonsens während des Kalten Kriegs bestand aus einem äusseren Feind und einem inneren. Im ersten Schritt war allerdings der innere Feind geortet worden.
Im Mai 1946 wurde der Vorwärts-Redaktor Peter Surava verhaftet, die fadenscheinigen Vorwürfe lauteten auf Veruntreuung und Urkundenfälschung. Es war wohl kaum zufällig, dass dies just in jenen Tagen geschah, als die PdA eine Petition mit über 133’000 Unterschriften einreichte, die in Armee und Behörden eine «Säuberung» von faschistischen Elementen verlangte. Ebenfalls in diesen Tagen unterzeichnete eine Schweizer Diplomatendelegation das Washingtoner Abkommen, mit dem sich die Schweiz von den alliierten Boykottmassnahmen loskaufte. Mit Surava wurde quasi die Symbolfigur der Kritik am Verhalten der Schweiz während des Zweiten Weltkrieges verhaftet, während mit der Unterzeichnung des Abkommens genau diese Kritik offiziellerseits bestätigt wurde. Für die PdA war jedenfalls klar, dass zwischen der Verhaftung des berühmten Vorwärts-Redaktors und dem Eingeständnis in Washington ein Zusammenhang bestand: «Was früher schon behauptet wurde, hat man in Washington mit aller Eindeutigkeit festgestellt: Die Schweizerische Nationalbank hat mit Unterstützung des Bundesrates Naziraubgut übernommen und damit die schweizerischen Kriegslieferanten bezahlt. Die Schweizerische Nationalbank hat mit Einverständnis des Bundesrates für Hitler Hehlerdienste geleistet,» schrieb die PdA im Flugblatt, das zur «Grosskundgebung» (mit über 1000 Teilnehmenden) gegen die Verhaftung Suravas aufrief. In Washington sei eine der «schlimmsten Eiterbeulen des Systems von Steiger» geplatzt, mit Suravas Verhaftung wolle man einzig von den «grossen eidgenössischen Skandalen» ablenken.
Die symbolträchtige Verhaftung markiert den Beginn des Rollbacks gegen die zur Bewegung avancierte PdA: Zwar griff die «Reaktion» nicht gerade zu «Goebbelsmethoden», wie das Flugblatt weiter meinte, doch lag die darin angezeigte Tendenz richtig. Konservative und Rechte aus den Vorläuferparteien von CVP und SVP waren aufgrund ihrer mehr oder weniger offenen Sympathien für die faschistischen Achsenmächte nach Kriegsende unter Beschuss geraten. Bekanntlich waren es antikommunistische Beweggründe, welche die Katholisch-Konservativen und grosse Teile der Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (heute SVP) Hitler in seinem Feldzug gegen Osten unterstützen liessen. Zu neuem Halt kamen diese Kräfte durch die westliche Abschottung von der Sowjetunion, die sich bereits 1946 abzeichnete. Und als dann wenig später der Ost-West-Gegensatz zu eskalieren drohte, war für die konservative Rechte die Erlösung perfekt. Das alte Feindbild war wiederauferstanden, die Bedrohung, welche man im Osten ortete, überstieg dabei jene, welche man nachträglich von der faschistischen zeichnete. Hatte man die Neutralität kurz zuvor noch zur obersten Staatsmaxime erklärt, kannten dieselben Kräfte keine neutralitätspolitischen Hemmungen, als es 1947 um die Beteiligung der Schweiz beim Marshallplan ging. Es war die Strategie zur «Eindämmung des Kommunismus», welche an diesem Aufbauplan begeisterte. Vom katholisch-konservativen Zentralorgan «Vaterland» wurde dies auch offen propagiert: «Der wirtschaftliche, politische und militärische Aufbau eines freien und gleichberechtigten Deutschlands im Rahmen einer europäischen Föderation und im Rahmen eines Bündnissystems mit Amerika und dem Britischen Weltreich ist das einzig wirkliche Bollwerk gegen die Überflutung Europas durch die Rote Armee und den von ihr verbreiteten und beschützten Kommunismus!» (8.10.48) Gleichzeitig setzte sich das «Vaterland» – vergeblich – für den Einbezug der autoritär regierten Staaten Spanien und Portugal in das antikommunistische Bündnis des Westens ein. Die wiederauferstandene, auf die Sowjetunion fokussierte Bedrohungskonstruktion wurde auch vom Freisinn, und ab 1948 auch von der Sozialdemokratie mitgetragen. Allerdings war die Festigung des äusseren Bedrohungsbildes nur der zweite Schritt. In einem ersten hatte man den inneren Feind geortet.
Als wenige Wochen nach der Verhaftung Suravas der Skandal um die «Schauwecker-Million» (siehe letzte Ausgabe) platzte, war das für die Bürgerlichen natürlich ein gefundenes Fressen. An der Hetzkampagne beteiligte sich auch die Sozialdemokratie. Der Konsens gegen die PdA, gegen den gemeinsamen inneren Feind, war damit gefunden. Auch wenn die Gründe der SP ganz andere waren als jene der Bürgerlichen. Sie entstammten einer Konkurrenzsituation. Die Gründung der PdA, die fulminanten Erfolge sowie die hart ausgetragene Auseinandersetzung um die Spaltung der ArbeiterInnenbewegung hatten der SP zugesetzt. Umso härter fiel dann die Revanche aus. Sie beschuldigte die PdA, sie habe sich von einem «Ausbeuter der Arbeiterklasse» finanzieren und ihre Politik von diesem diktieren lassen, sie sei ausserdem keine demokratische Partei. Im Auftrag der sozialdemokratischen Parteileitung verfasste Jules Humbert-Droz 1947 ein Pamphlet, das der PdA die Existenzberechtigung absprach: «Sie ist eine Partei, welche von grosskapitalistischen Kreisen finanziert und aufgezogen wurde, um die Arbeiterbewegung der Schweiz zu schwächen und zu schädigen», hiess es darin unter anderem. Hartes Geschütz, das bei SP-Mitgliedschaft offenbar gut ankam. Die Schrift war schnell vergriffen und musste nachgedruckt werden.
Dass der gemeinsame innere Feind vor dem äusseren gefunden war, zeigt sich gerade an der Haltung der Sozialdemokratie. Aussenpolitisch vertrat sie bis zu ihrem positiven Entscheid zum Marshallplan Ende 1947 eine antiimperialistische Politik, welche gegen die westliche Blockbildung und den «Dollarimperialismus» gerichtet war. Innenpolitisch war die Konkurrenz auf der Linken aber schon ab 1946 zum Abschuss freigegeben. Noch am 30. Juli 1947 konnte man in der sozialdemokratischen «Berner Tagwacht» eine Stellungsnahme lesen, die aus heutiger Sicht erstaunen dürfte: «Wir machen das internationale Kesseltreiben gegen die Russen und die Balkanstaaten nicht mit, aus gesunden proletarischen Instinkten wollen unsere Arbeiter das auch nicht.» Andererseits war das Kesseltreiben gegen die PdA aber gut und recht, denn: «Das sind die Parteispalter.»
Von der Umsturzpartei zum Verschwörerzirkel
Nachdem aufgezeigt wurde, dass die staatstragenden Parteien zuerst zum Konsens über den inneren Feind gefunden hatten, wird nachfolgend das sich verändernde Bedrohungsbild PdA beleuchtet. Die Sicht der Bupo wird dabei als Konzentrat eines Antikommunismus eingestuft, welcher einer allgemeinen öffentlichen Tendenz entsprach.
Gilt die Periode von 1946/47 bis 1948/49 allgemein als Formierungsphase des Kalten Kriegs, so lässt sich dies auch für die Bundespolizei im Speziellen sagen. Interessant ist dabei der Wandel ihres Bildes über die PdA. Wegleitend in den Jahren 1944 bis 1946 war die Hypothese, d.h. die nicht bewiesene Annahme, die Partei versuche den Umsturz, sie suche die offene Konfrontation mit dem Staat und bereite sich auf Sabotageakte und Barrikadenkämpfe vor. Die Beziehung der PdA zur Sowjetunion spielte nur eine Nebenrolle. Als bedrohlich wahrgenommen wurden vielmehr die Attacken der Parteiexponenten auf den Bundesrat, sowie der Zulauf, den die Partei verzeichnete.
In der Formierungsphase wurde das Bedrohungsbild dann zunehmend geprägt durch eine Verschwörungshypothese. Aus der gefährlichen Umsturzpartei wurde in der Sicht der Bupo allmählich eine Partei, deren Mitglieder «infiltrieren» und «zersetzen» wollten, eine gefährliche Keimzelle des internationalen, aber gleichwohl aus Moskau gesteuerten Kommunismus, welche sich auf Schweizer Boden eingenistet hatte, kurzum ein Fremdkörper. Diese Verschwörungshypothese hat seit den ausgehenden 40er Jahre für Jahrzehnte jegliche Tätigkeit der Bundespolizei gegen die PdA sowohl motiviert wie auch legitimiert. Die Bupo stand mit ihrer Bedrohungskonstruktion natürlich nicht alleine da, sondern sie zog damit eigentlich nur die Konsequenz aus einer allgemeinen, die ganze helvetische Gesellschaft durchdringenden Tendenz. In Medien und Politik wurde der Kommunismus metaphorisch als virusartigen Krankheitserreger oder gar als Seuche dargestellt, den schweizerischen Organismus bedrohend. Als Antibiotikum diente naheliegenderweise die rigorose Isolation der PdA. Die Verschwörungshypothese wurde zum bestimmenden Merkmal der Ende 40er Jahre wiederauferstehenden und in den 50er Jahren mächtig aufblühenden Geistigen Landesverteidigung. Und es sind – nebenbei bemerkt – nicht wenige, die noch heute an deren Richtigkeit glauben; man könnte sogar behaupten: Auch heute besteht noch ein weitgehender Konsens darüber, dass damals die Hetze gegen den «inneren Feind» richtig war; das Ausbleiben einer Debatte, die sich dem Thema annehmen würde, ist jedenfalls ein deutliches Indiz dafür.
Vielleicht entwickelte sich die Verschwörungshypothese in den 50er Jahren gerade deshalb zu einem parareligiösen Glaubenssatz, mit dem jeder leise Nachfragende als «Kryptokommunist» abgekanzelt werden konnte, weil es keine Beweise dafür gab. Diese blieb auch die Bundespolizei während ihrem gesamten Wirken schuldig. Und womöglich besteht ein Zusammenhang zwischen der Beweisleere und der zunehmenden Verschärfung der Repression: Wo die Verschwörung nicht aufgedeckt werden kann, da müssen bereits solche Handlungen kriminalisiert werden, die auf eine Verschwörung hindeuten könnten – und sei es nur ganz entfernt.
Jedenfalls deuten die beiden aufsehenerregenden Urteile gegen Pierre Nicole und Emil Arnold darauf hin. Der erstere, Sohn von Léon Nicole und Journalist beim westschweizer PdA-Organ «voix ouvrière», wurde am 1. Dezember 1951 vom Bundesgericht wegen Hochverrats und Verleumdung der sieben Bundesräte zu 15 Monaten Gefängnis unbedingt verurteilt. Nicole hatte in verschiedenen Artikeln geschrieben, der Bundesrat manövriere das Land allmählich in das imperialistische Lager, um zu erreichen, dass es heimlich der Nato beitrete; mit der Neutralität gehe die Regierung heuchlerisch um. Jüngste politologische Studien zu den 50er Jahren bestätigen Nicole’s Aussage weitgehend. Damals aber genügte dies als Beweis einer «Vorbereitungshandlung zur Gefährdung der Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft». Nationalrat und Vorwärts-Redaktor Arnold wiederum kassierte am 28. April 1953 8 Monate unbedingt. Er hatte zwei Jahre zuvor an einer JournalistInnentagung in Budapest die eingeschränkte schweizerische Pressefreiheit sowie die proamerikanische Propaganda der hiesigen Presse kritisiert. Das Bundesgericht sah es als erwiesen an, dass Arnold mit seiner Rede ausländische, gegen die Sicherheit der Schweiz gerichtete Bestrebungen unterstützt habe. Die Anklage führte in beiden Fällen die Bundesanwaltschaft.
Letztlich hatten die beiden Verurteilten nur das auf die Probe gestellt, was laut Selbstdarstellung die Schweiz der 50er Jahre von den Staaten ennet dem «eisernen Vorhang» hätte unterscheiden sollen: Das Recht auf freie Meinungsäusserung.
Totalitäres Staatsschutzgesetz
Die Anzahl Akten, welche die Bundespolizei in der Zeitperiode 1947 bis 1949 über die Partei der Arbeit und den Vorwärts zusammengetragen bzw. erstellt hat, ist im Vergleich zu den vorangegangenen und den darauf folgenden Jahren eher gering. Das hat womöglich mit dem Übergangscharakter dieser Jahre zu tun. Die Kriegs- und unmittelbare Nachkriegszeit war abgeschlossen und die PdA geriet nach der turbulenten Gründungszeit in eine stagnative Phase. Aussenpolitisch stand die erste Eskalation des Kalten Kriegs, der Ausbruch des Koreakriegs im Juni 1950, noch bevor.
Erstaunlich ist die relative Aktendünne jedoch vor dem Hintergrund, dass die Staatsschutzbestimmungen 1948 deutlich verschärft worden waren. Mit dem Hinweis auf den kommunistischen Umsturz in Prag erweiterte der Bundesrat am 12. November mit einem Vollmachtenbeschluss den bestehenden Staatsschutzerlass. Neu konnte nun sogenannte «Propaganda» gegen die verfassungsmässige Ordnung der Eidgenossenschaft oder der Kantone mit Gefängnis bestraft werden. Das gleiche galt für Personen, die die politischen Einrichtungen der Schweiz verächtlich machten. Ausserdem konnten praktisch alle Kontakte von Schweizern mit Oststaaten unter Strafe gestellt werden. Am 20. Juni 1949 unterbreitete der Bundesrat dem Parlament eine Botschaft, mit der er die Verschärfung begründete: Eine moderne Revolution, so die Botschaft, werde nicht mehr durch einen Barrikadenkampf und gewaltsame Vertreibung der Regierung oder des Parlaments eingeleitet, sondern nach einem sorgfältigen Plan – gegebenenfalls unter ausländischer Leitung – vorbereitet. Dies erfolge insbesondere durch die Unterbringung von Gesinnungsgenossen in die wirtschaftlichen und politischen Schlüsselstellungen, durch Zersetzung des Staates mit Angriffen auf die Regierung, Polizei und Militär, durch Propaganda, Schulung von Eliten, Schaffung von Betriebsausschüssen, Aktionskomitees und der Bewaffnung einzelner Gruppen.
1950 wurde das Staatsschutzgesetz vom Parlament in ordentliches Recht übergeführt.
Wie Ernst Windler die PdA liquidieren wollte
Was das ehemalige PdA-Mitglied im August 1947 der Bupo erzählte, musste Balsam für die Schnüfflerseele gewesen sein: Die Verschwörungstheorie wurde von kompetenter Seite genährt.
Ernst Windler war Mitglied der ersten Vorwärts-Redaktion nach dem 2. Weltkrieg. Vor dem Krieg hatte er bei der Basler AZ gearbeitet. Der journalistischen Karriere entsprach auch sein politischer Werdegang: Er stiess von der SP zur PdA. Der Übertritt hatte sich Ende der 30er Jahre abgezeichnet, als Windler nach eigenen Angaben in die KPS eintrat, seine SP-Mitgliedschaft aber bis zur Gründung der PdA aufrecht erhielt. Als dann im Sommer 1946 mit der eintretenden Finanzkrise die Herausgabe des Vorwärts für vier Monate eingestellt werden musste, ist Windler nicht nur seine Redaktionsstelle los; er bekundet auch zunehmend Mühe mit der PdA. Persönliche Streitigkeiten tragen das ihre dazu bei, dass er im März 1947 in einem Brief an den Basler ChemiearbeiterInnen-Gewerkschaftschef Leo Löw schreibt, die PdA müsse «zerschmettert» und «liquidiert» werden. Löw, selber Mitglied der Partei, unterrichtet weitere GenossInnen über den Inhalt des Briefs. Damit ist klar: Windler ist für die Partei nicht mehr tragbar. Praktisch gleichzeitig mit Karl Hofmaier wird er im Sommer 1947 aus der PdA ausgeschlossen.
Nur wenig später war Windler wieder Mitglied der SP. Das war ein logischer Schritt: Noch als Mitglied der PdA hatte er bei der sozialdemokratischen Parteispitze gegen die PdA intrigiert. Und bei der SP blieb er dann auch: Seinen Lebensabend verbrachte Windler in der kleinen Tessiner Gemeinde Gerra Gambarogno, hier war er für einige Jahre sogar Gemeindepräsident. Soweit seine bis anhin bekannte, nicht sonderlich aussergewöhnliche Biographie.
«Geheim – SECRET»
In den Akten der Bundespolizei befindet sich ein Dokument, das eine unbekannte Seite des Mannes beleuchtet: Ernst Windler war ein Denunziant. Im August 1947, kaum ein Monat nach seinem Parteiausschluss, stand er drei Bundespolizisten Rede und Antwort. «Geheim – SECRET» steht auf dem 23seitigen Bericht, der aufgrund des ausführlichen, vielleicht mehrere Tage dauernden Gesprächs erstellt worden ist. Diese aussergewöhnliche Klassifizierung des Dokuments, in dem auch der Name des Denunzianten nicht erwähnt wird, geht wahrscheinlich auf eine Vereinbarung zwischen der Bundesanwaltschaft und Windler zurück: Es sollte unter keinen Umständen bekannt werden, dass Windler als Bupo-Informant gewirkt hat. Die Fichenaffäre machte diesem Ansinnen einen späten Strich durch die Rechnung.
Was aber sagte der ehemalige Vorwärts-Redaktor der Bupo, und welche Schlüsse zog diese daraus? Zum einen breitete Windler alte Komintern-Geschichten aus, die auf die 30er und frühen 40er Jahren zurückgehen. Agenten-Stories werden vermischt mit der persönlichen Biographie. Windlers Selbstbeschreibung ist jene eines unentbehrlichen Mannes, der immer im Zentrum gestanden ist. Kaum sei er in die KP eingetreten, sei er bereits zu einer der wichtigsten Figuren avanciert, nach dem Parteiverbot habe er die illegale Presse aufgebaut. Die Biographie ist offenbar zurechtgestutzt: Der langjährige Vorwärts-Redaktor Karl Odermatt, der den «Bericht» gelesen hat, spricht von einer Selbstüberschätzung Windlers. Dessen Denunziation überrascht ihn keineswegs. Er habe Windler als Prahler und Intrigant kennengelernt, der gegen alle Seiten, auch gegen die SP, intrigiert habe, erinnert sich Odermatt.
Während die Aussagen zur Komintern-Zeit für die Arbeit der Bupo kaum gewinnbringend waren, so dürften die Aussagen zur PdA mit grösserem Interesse registriert worden sein. Bei diesen Verlautbarungen wird aber auch klar, dass hier einer spricht, der sich rächen will – der umsetzen will, was er im Brief an Löw angedeutet hat. Dass dabei der Wahrheitsgehalt der Aussagen beeinträchtigt wird, liegt vielleicht in der Natur der Sache. So behauptete er, die 1943 aufgelöste Komintern existiere im Geheimen noch immer fort. Zudem habe Hofmaier mit seinen Geldern einen internationalen Spionagedienst aufgebaut, quasi eine England-Frankreich-Schweiz-Connection, in die in einem zweiten Schritt auch die Russen eingebunden worden seien.
Giftpfeile gegen Woog
Folgenschwer dürften die Aussagen zum zukünftigen PdAS-Sekretär Edgar Woog gewesen sein: «Woog ist einer, der alles für die Sowjetunion oder für Tito tut; alles ist ihm näher als die Schweiz», wird Windler im Bericht zitiert. Und weiter: «Woog ist ein Phantast und zur Zeit der willigste Komintern-Mann in der Schweiz. (…) Er betrachtet sich als Wegbereiter für einen allfälligen Einmarsch der Russen und als zukünftiger `Tito` der Schweiz.» Woog war zu dieser Zeit Vizepräsident der PdAS und Stadtrat in Zürich. Im Oktober 1947, zwei Monate nach Windlers Denunziation, wurde er verhaftet. Zwar hielt man ihm Windlers Aussage nicht offen vor, doch dürfte sie hintergründig auch ihren Teil zum Vorgehen gegen Woog beigetragen haben (siehe Vorwärts vom 8. Oktober). Bekanntermassen leitete die Verhaftung die Absetzung des Stadtrates Woog ein.
Ob die haltlosen Diffamierungen gegen Woog mitunter einen antisemitischen Hintergrund hatten, kann nicht eindeutig festgestellt werden. Auffallend ist jedoch, dass sich Windler über kein anderes Parteimitglied in ähnlicher Weise geäussert hat. Obwohl seine Ausführungen noch manch anderen Genossen betreffen: Woog – und nur Woog – ist in Windlers Darstellung ein gefährlicher Landesverräter. Und fest steht, dass ihm die jüdische Herkunft einer Person erwähnenswert schien: An anderer Stelle charakterisierte er einen Komintern-Funktionär als «deutschen Juden».
Fest steht ebenfalls: Ernst Windler nährte mit seinen Ausführungen das Bedrohungsbild der Bupo, das die PdA im einsetzenden Kalten Krieg immer mehr als moskaugesteuerten Verschwörerzirkel zeichnete. Seine falschen Behauptungen, die Komintern existiere weiter und die PdA sei willige Befehlsempfängerin derselben, waren wohl Balsam für die Seele der wenig erfolgsverwöhnten Bundespolizisten. Und das Spionagekonstrukt dürfte für die Schnüffler erst recht ein Honigschlecken gewesen sein. Ernst Windler sagte das, was die Bundespolizisten hören wollten. Die Idee, dass die Bestätigung der Bedrohungskonstruktion in Wahrheit nur eine von Rachemotiven geleitete Anbiederung war, lag ausserhalb des Vorstellungshorizonts der Bundespolizisten.
Spionage, Infiltrierung, Unterhöhlung
Ein rumänischer «Ex-Agent» packt aus. Und die Bupo packts. Auch wenns die diffuseste Verschwörungsgeschichte ist.
Januar 1949. Der symbolträchtige Streit der beiden Grossmächte um die Währungszugehörigkeit Westberlins dauert seit nunmehr sieben Monaten an. Während die eine Seite sämtliche Land- und Wasserwege zwischen Westdeutschland und Berlin unterbricht, besteht die Waffe der westlichen Gegner in der husarenstreichartigen Überbrückung der Blockade. «Berlin-Blockade» versus «Luftbrücke»: Welche Seite wird sich durchsetzen? Wird es zu einer militärischen Eskalation kommen, steht der 3. Weltkrieg bevor?
Die Welt im Atemstillstand. Es ist nicht ganz der erste, aber der bisher intensivste, und schon gar nicht der letzte des Kalten Kriegs. Die Auseinandersetzung um Westberlin prägt den Winter 48/49. Es ist ein Schwellenereignis zwischen kaltem und dem akut drohenden heissen Krieg, eines jener Momente, die der Öffentlichkeit die unversöhnlich auseinandergerissene Welt eindrücklich vor Augen führt. Freund und Feind, Gut und Böse regieren die Welt. Der Kampf gegen das Böse wird zur heiligen Doktrin.
Und das Böse lauert überall. Deshalb verhilft die Bundespolizei in diesen Wochen dem rumänischen Journalisten Vasile Goldberger zum Bleiberecht in der Schweiz. Der Mann hat der Bupo glaubhaft machen können, dass er im Auftrag des rumänischen und letztlich des sowjetischen Geheimdienstes gearbeitet hatte und aussteigen, die Seite wechseln wollte. Vor allem aber pries er sich an als exklusiven Kenner der Machenschaften und Strategien der PdA. Seine Antworten auf die bis anhin ungeklärten Fragen der Bupo sind der Preis, den er für die Aufnahme in die helvetische Gemeinschaft zu zahlen hat. Geklärt wird allerdings nichts: Goldberger ist ein Hochstapler, dessen Phantasie die Bupo eigentlich hätte stutzig machen sollen.
Vom 28. Januar bis zum 5. Februar 1949 wird er in Zürich einvernommen, der «Abhörungsbericht» umfasst schliesslich mehr als 60 Seiten. Vasile Goldberger weiss, wie er die Emotionen der Schweizer Staatsschützer fesseln kann. «Die PdAS», sagt er gleich zu Beginn der Befragung, «ist eine kommunistische Partei, die ihre Weisungen, Richtlinien und Geldbeträge direkt oder indirekt von Moskau bekommt.» Aus der Schweiz solle ein «Vasalle Russlands» werden und zur Erreichung dieses Ziels seien die KommunistInnen auf allen Ebenen aktiv. Dazu gehöre die vielfältige Propaganda, die man in Partei- und Gewerkschaftsorganen entweder direkt, oder aber in bürgerlichen Organen indirekt verbreite. Im weiteren betreibe die PdA die Unterhöhlung der Armee, kommunistische Zellen zersetzten die Wehrbereitschaft der Soldaten und propagierten den uneingeschränkten Einsatz für Russland. Auf politischer und gesellschaftlicher Ebene wolle die Partei jedwelche Spannungen schüren, nicht nur zwischen den Klassen, auch zwischen Sprachgebieten und Religionen. Herzstück der feindlichen Arbeit sei jedoch der Spionagedienst: «Jeder Kommunist ist an sich verpflichtet, sich in den Dienst der Information und Spionage zu stellen», wird Goldberger zitiert. «Das eigentliche Vaterland ist Russland», laute die Parole.
Damit ist das Konstrukt lanciert, das gut zum Konzept der Bupo passt. Auch in ihrer Wahrnehmung ist der Schweizer Kommunist inzwischen zu einem fanatischen Blindgläubigen, zu einem Agenten schlechthin geworden.
Goldberger leistet diesem Muster Vorschub. Er nährt die Verschwörungshypothese (siehe Vorwärts vom 5. November), seine Version ist indessen noch diffuser als alles bisher gehörte. Die «gefährliche Propaganda-, Spionage-, Infiltrierungs und Unterhöhlungsarbeit» werde von einer kleinen Gruppe innerhalb der Partei geleitet. Die Mitglieder dieser Gruppe, die Goldberger als «Nachrichtenmänner» bezeichnet, haben sich demnach gegen die eigene Parteibasis verschworen. Die nichtsahnenden Parteimitglieder würden angehalten, Informationen zu sammeln, welche dann wiederum von den «Nachrichtenmännern» ausgewertet und dem sowjetischen Geheimdienst weitergereicht würden. Letztlich sind aber auch die «Nachrichtenmänner» blinde Befehlsempfänger des sowjetischen Geheimdienstes sowie von Kominform-Agenten, sind sie willenslose Geschöpfe. Andererseits – und das ist nicht der einzige Widerspruch in Goldbergers Phantasterei – sind es just wieder dieselben Köpfe der Partei, welche in der Sowjetunion gezielt eine schweizfeindliche Stimmung provozieren wollen.
Damit die Verschwörung perfekt ist, darf sie nicht genau lokalisiert werden können. Deshalb grassierte in jenen Jahren die Angst vor «Kryptokommunisten», vor Personen, die ein gutbürgerliches Leben führen, im Verdeckten aber «kommunistische Ziele» verfolgen. Im Frühling 1949 war die Verschwörungshypothese zentraler Bestandteil von Bundesrat Feldmanns Argumentation zum neuen Staatsschutzgesetz: «Unter der Flagge der Kultur und Wissenschaft arbeitet ein kleiner Trupp, der die Unterhöhlung anstrebt», sagte er dem Ständerat. Diesen «Kryptokommunisten» sei ein «besonderes Augenmerk zu schenken.»
Auch Goldberger äusserte sich zum Thema: Aufnahmegesuche von jungen, «innerlich 100prozentigen Kommunisten» würden von der Partei in der Regel abgelehnt. Allen voran jene von Intellektuellen. Diese würden anschliessend angehalten, gleich in den Nachrichtendienst einzusteigen oder aber in eine bürgerliche Partei einzutreten. Dort hätten sie führende Postitionen zu erringen, Parlamentssitze zu belegen. Einer habe es bis zum Nationalrat geschafft – den Namen kenne er aber leider nicht.
Goldberger traf mit seinen diffusen Ausführungen durchaus den Diskurs jener Zeit. Das erklärt, weshalb die Bupo offenbar bedingungslos geglaubt hat: ein Jahr später durfte der rumänische Hochstapler ein weiteres Mal aussagen – quasi als Kronzeuge in einem gerichtlichen Verfahren.
Wie lange braucht man, um alle Chinesen zu erschiessen?
1950 eskaliert der Koreakrieg zu einem brutalen internationalen Interventionskrieg. Das weltpolitische Klima ist auf einem Tiefpunkt, die politische Kultur in der Schweiz auch.
Am 23. Mai 1949, kaum 2 Wochen nach Beilegung der «Berlinkrise», wurde das Bonner Grundgesetz in Kraft gesetzt, womit die Bundesrepublik gegründet und die Teilung Deutschlands praktisch besiegelt war. Die Gründung der DDR am 7. Oktober war die logische Reaktion darauf. Mit diesem Vorgang war der Öffentlichkeit die unwiderrufbare Aufteilung der Welt in West und Ost vor Augen geführt worden.
Die im selben Jahr siegreiche Chinesische Revolution, welche am 1. Oktober in der Gründung der Volksrepublik mündete, wurde im Westen gemäss dieser Logik als «Verlust Chinas» empfunden. China war auch damals das bevölkerungsreichste Land der Erde. Sie, die knapp 450 Millionen ChinesInnen, waren nun auf einen Schlag «rot» – ein Schock für den Westen. Asien, so eine weitere Deutung, war nun kommunistisch dominiert. Umgekehrt konnte der Kommunismus immer mehr mit der – negativ stereotypisierten – asiatischen Kultur verknüpft werden: «Mit Leuten, die bereit sind, ihr Vaterland je früher je lieber dem asiatischen Kommunismus auszuliefern, haben wir nichts gemein», schrieb das katholisch-konservative «Vaterland» im September 1950. Mit diesen «Leuten» gemeint waren natürlich die Mitglieder der PdA.
Der Brennpunkt der Aufmerksamkeit verschob sich 1950 eindeutig nach Asien: Während des Sommers eskalierte der Bürgerkrieg im geteilten Korea zum internationalen Interventionskrieg, der mit unglaublicher Brutalität geführt wurde und im Laufe dessen von den USA beinahe ein weiteres Mal Atombomben eingesetzt wurden. Chinesische Verbände kämpften auf Seiten Nordkoreas, US-amerikanische auf Seiten des Südens: Der Kalte Krieg wird für die koreanische Bevölkerung zum schrecklichen Fiasko. Von 1950 bis 1953 werden zwischen 2 und 3 Millionen Menschen getötet, schätzungsweise 2 Millionen werden alleine durch eine flächendeckende Bombenkampagne der US-Flugwaffe umgebracht. Hierzulande herrscht über die erfolgreiche westliche Intervention «Erleichterung». Trotz der vielen Toten. Es sind ja nur AsiatInnen, «Schlitzaugen».
Antikommunismus wird mit Rassismus getränkt. Was für faschistische Gedankenspiele in diesem Diskurs Platz hatten, zeigt ein Beitrag in der gutbürgerlichen Ringier-Illustrierten «Sie + Er» vom 8. Dezember 1950. Unter einer Fotografie der chinesischen Volksversammlung liess ein Redaktor seinen Holocaustphantasien freien Lauf: «Man stelle sich die 450 Millionen Chinesen in Viererkolonnen aufgestellt vor. Dann stelle man sich vor, dass die vordersten vier erschossen würden, dann die nächsten vier usw. Pro Minute würden auf diese Weise etwa 20 Menschen erschossen. In der Stunde könnten 1200 Menschen ‹erledigt› werden, im Tag 28’800, im Jahr 10’512’000, in zehn Jahren 105’120’000. Um sämtliche Chinesen auf diese Weise zu erschiessen, brauchte es rund 43 Jahre. Im Verlaufe dieser 43 Jahre wäre aber bereits eine neue Generation Chinesen herangewachsen, und man käme mit Erschiessen überhaupt nie an ein Ende.»
Solche Äusserungen waren die Speerspitze der antikommunistischen Hetze und suggerierten eine immense Gefahr aus Moskau und Peking, die es zu vernichten gelte, die aber fast nicht auszurotten sei. Invasionsängste, Überfremdungsszenarien und abendländische Untergangsphobien stimulierten sich gegenseitig. Je mehr sich dieser Bedrohungsdiskurs verschärfte, desto verhärteter wurde der Kampf gegen die hiesigen «Agenten» des Ostens, gegen die «Partei des Auslandes». Wie es in den USA nicht Senator McCarthy war, der die antikommunistische Hetze initiierte, sondern es umgekehrt ein antikommunistisches Klima war, das einen McCarthy hervorbrachte, so lief die Hetze in der (Deutsch-) Schweiz fast genauso geschmiert, ohne dass eine Person an deren Spitze kolpotiert wurde.
Im Herbst 1950 ist die Hetze allgegenwärtig und trifft die Partei hart. Am 5. September erlässt der Bundesrat Weisungen gegen «vertrauensunwürdige Beamte», mit der PdA-Mitglieder aus dem Bundesdienst entlassen werden. Zur selben Zeit beschliessen verschiedene Vereine, darunter die sozialdemokratischen «Naturfreunde», sogenannte Unvereinbarkeitsklauseln, mit denen kommunistische Mitgliedschaften untersagt werden. Ein Organisationenkonglomerat, das vom «Trumpf Buur» bis zur SP reicht, propagiert den Inserateboykott gegen den Vorwärts: mit Erfolg. Unter dem gewaltigen Druck und aus Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren, erodiert die Parteimitgliedschaft, Vorwärts-Abos werden gekündigt.
Die Aufzählung PdA-feindlicher Aktivitäten könnte fast beliebig fortgesetzt werden. Wichtiger als dies ist der Hinweis auf den nationalen Konsens, der dabei herrschte. Das im Vorwärts vom 26. November 1999 abgebildete Inserat, dessen «Hände weg!» stark an das nationalsozialistische «Kauft nicht bei Juden!» erinnert, datiert vom 7. Oktober 1950 und wurde im «Baslerstab» platziert. Alle gegen den einen Feind: SVP, CVP und FDP mit ihren damaligen Bezeichnungen, die SP und sämtliche anderen «nichtkommunistischen» Parteien, die damals im Raum Basel existierten. Es war kein Geheimnis, dass das Friedenskomitee, das in jenen Tagen Unterschriften sammelte, aus dem Kreis der PdA gegründet worden war. Es war ebenfalls kein Geheimnis, dass die PdA die einzige Partei war, die sich damals gegen Atomwaffen und auch gegen die Atombewaffnung der Schweiz ausgesprochen hatte.
«Hände weg!» wurde übrigens nicht nur propagiert sondern behördlicherseits auch umgesetzt. Ein in diesen Tagen stattfindender Friedenskongress musste kurzfristig ins Volkshaus verlegt werden, weil der PdA per Regierungsratsbeschluss fortan keine staatlichen Räumlichkeiten mehr zur Verfügung standen.
SAD und Konsorten: Staatlich unterstützter Privatunterricht für das Volk
Die öffentliche Propaganda war in der realexistierenden freien Schweiz des Kalten Kriegs eine Sache der Privaten. Das hiess aber nicht, dass man von der Bupo nichts wissen wollte.
SAD, NIZ, Trumpf Buur, SPK, Aktion Frei Sein und wie sie alle hiessen. Private Institutionen, deren einziger Existenzgrund darin bestand, den Absolutheitsanspruch der antikommunistischen Ideologie in den ausgehenden 40er Jahren und während den 50er Jahren durchzusetzen. Sie verstanden sich als Frontorganisationen der nationalistischen Mobilisierung. Die Erfahrung des 2. Weltkrieges hatte die meisten Hintermänner dieser Institutionen geprägt – die einen waren auf der faschistischen Seite gestanden, die andern waren tragende Kräfte der Geistigen Landesverteidigung gewesen.
Obwohl die Frontorganisationen sich zum Teil in einem Konkurrenzverhältnis zueinander wähnten, persönliche Verflechtungen nicht ausschlaggebend waren und eine Dachorganisation fehlte, hatten sie alle viel Gemeinsames: Das ideologisches Fundament bestand bei allen sowohl im Antikommunismus wie auch im Nationalismus. Darauf bauten sie in corpore eine propagandistische Festung namens «Wehrwillen» und schliesslich integrierten sie in diese ein dreikomponentiges Verteidigungssystem, das sich mit den Begriffen Wachsamkeit, Nachrichtenbeschaffung und nationale Erziehung entschlüsseln lässt. Bezeichnend sind denn auch die ambivalenten Bezeichnungen der zwei wichtigsten Institutionen. Der Schweizerische Aufklärungs-Dienst (SAD) wollte aufklären: sowohl im pädagogischen Sinne als auch im nachrichtendienstlichen. Zahllose Vorträge vor militärischem und wirtschaftlichem Kader trugen zur ideologischen Festigung der nationalen Elite bei. Andererseits war das ganze Land mit einem eigenen Spitzelnetz überzogen, eigene Personen- und Organisationenkarteien wurden geführt, quasi als private Parallelorganisation zur Bupo und den kantonalen politischen Polizeiabteilungen.
Auch das Nationale Informationszentrum (NIZ) – auch bekannt unter der Bezeichnung «Aktion freier Staatsbürger» – beschaffte sich mit eigenen Denunzianten Informationen und wollte informieren: zum einen Unternehmer über kommunistische Angestellte, andererseits wurde die Presse mit einem regelmässigen Bulletin bedient.
Bemerkenswert ist die Aufgabenteilung, mit der die verschiedenen antikommunistischen Institutionen ihren Schwerpunkten nachgingen. Die erste schulte die nationale Elite, die zweite veranstaltete eine öffentliche Hatz auf Inserenten im Vorwärts, die dritte schaltete demagogische Inserate in der Presse, die vierte versorgte die Presse mit «Agenturmeldungen» und wieder eine andere stellte einzelne PdA-Mitglieder an den öffentlichen Pranger. Fügt man hierbei noch die Tätigkeit der polizeilichen, juristischen und militärischen Stellen sowie den antikommunistischen Konsens der Medien hinzu, entsteht unweigerlich das Bild eines totalitären Systems.
Totalitär nicht in dem Sinne, dass die Aktivitäten von einer zentralen Stelle gelenkt worden wären, sondern dass sie aus einem gesellschaftlichen Klima heraus (das allerdings sehr wohl von einem komplizierten Machtkonglomerat geschürt worden ist) entstanden sind, das in seiner Ein- und Ausgrenzungsdynamik den totalitären Kern bereits in sich trug.
Im Bewusstsein der SchweizerInnen sind jedoch einzig die ehemaligen Systeme im «Ostblock» totalitär gewesen: Dort lenkte eine Staatspartei die Wirtschaft, gestattete den Menschen das Recht auf freie Meinungsäusserung nur in einem prosozialistischen Rahmen, kontrollierte sie und untermauerte dies alles mit einem geschliffenen Propagandaapparat. Stimmt man der Einschätzung zu, dass das Recht auf freie Meinungsäusserung in der Schweiz nur innerhalb eines prokapitalistischen Rahmens bestand und dass entsprechende Gesinnungskontrolle herrschte, so ergibt sich nur ein essenzieller Unterschied zwischen dem Bild, das die SchweizerInnen vom ehemaligen «totalitären Ostblock» haben und der realexistierenden freien Schweiz des Kalten Krieges: der Unterschied zwischen staatlicher und teilprivater Organisation des Repressionsmechanismus. Und der wiederum hat seine Ursache in den unterschiedlichen Eigentumsverhältnissen. Es ist kein Zufall, dass die privaten Frontorganisationen mit Geldern aus der Privatwirtschaft gespiesen wurden und nur dank diesen überhaupt existieren konnten.
Betrachtet man die Aufgabenteilung zwischen staatlichen Stellen und den Frontorganisationen, fällt auf, dass letztere praktisch den ganzen Bereich der öffentlichen Propaganda abdeckten. Diese musste im Selbstverständnis der Schweiz konsequenterweise von Privaten erfolgen. Das wusste der Staatsrechtsprofessor Gustav Egli sehr genau, wie aus einem Brief zu entnehmen ist, den er 1950 in seiner Funktion als SAD-Vizepräsident dem Bundesanwalt geschrieben hat: «Nach den Ausführungen von Herrn Bundesrat Etter uns gegenüber ist die Landesexekutive von der Notwendigkeit unserer Aufklärungsarbeit überzeugt; gleichzeitig billigt sie die Form der privaten Organisation in der wohl kaum bestrittenen Überzeugung, dass jede Offizialität im Besucher unserer Veranstaltungen das echt schweizerische, gesunde Misstrauen gegen eine staatlich kommandierte politische Weltanschauung augenblicklich wachrufen müsste.»
Die privat kommandierte politische Weltanschauung sollte allerdings nicht auf die Früchte der staatlichen Beschnüffelung verzichten müssen, fand der SAD, fand auch Bundesrat Etter. Und beide fanden, dass dies ein heikler Punkt sei: «Genau in dieser Überlegung hat Herr Bundesrat Etter von einer notwendigen Tarnung unserer Beziehungen zum Bundeshaus gesprochen», schrieb der Staatsrechtsprofessor weiter.
Um diese Beziehungen ging es dem SAD-Vizepräsidenten in dem Brief denn auch. Ein vorangegangenes Gespräch mit dem Bundesanwalt war offenbar nicht wunschgemäss verlaufen, sodass sich Egli gezwungen sah, seine Wünsche an die Bundesanwaltschaft schriftlich vorzutragen. Darunter waren Forderungen nach «Aushändigung der Stahlbandaufnahme» eines Parteikongresses sowie einer Namensliste von «bürgerlichen Finanzierern der PdA» und der Überprüfung der «politischen Zuverlässigkeit» verschiedener Professoren. Hatte der Bundesanwalt 1950 noch Bedenken gegenüber einer derart engen Zusammenarbeit, änderte sich dies in der Folge rasch – womöglich auf Druck des Bundesrates. Wie aus den Bupo-Fichen hervorgeht, konnte der SAD seine Berichte spätestens ab 1953 aufgrund von direkten Informationen aus der Bupo und dank entsprechender Akteneinsicht verfassen. Die Zusammenarbeit ging sogar soweit, dass der SAD seine Berichte, bevor sie vervielfältigt und an die 800 Mitglieder verschickt wurden, von der politischen Polizei auf die «Richtigkeit» des Inhaltes überprüfen liess.
Eine solch aktive Zusammenarbeit mit anderen Frontorganisationen lässt sich zumindest nicht belegen. Beim NIZ oder beim Trumpf Buur etwa verlief der Infoverkehr nur in einer Richtung: die Bupo ging hier ´lediglich› als dankbare Empfängerin von Denunziationen in Stellung. Die Vorzugsbehandlung des SAD hatte handfeste Gründe: Unter seinen Mitgliedern befanden sich hochrangige Politiker von rechts bis zur SP, Chefredaktoren, Arbeitgeberpräsidenten und mit dem SMUV und dem SEV zwei Gewerkschaften in corpore.
Ziel der Entlassungen war, die Existenzgrundlage zu entziehen
Bruno Margadant, im vergangenen Jahr 70 geworden, hat 1998 eine späte Ehrung erfahren. Seine umfangreiche Plakatsammlung zur internationalen ArbeiterInnenbewegung wurde von Stadt und Kanton Zürich angekauft und im Museum für Gestaltung ausgestellt und es gab kaum ein nationales Medium, das nicht darüber berichtete. Vor 15 Jahren wäre dies kaum vorstellbar gewesen, geschweige denn in den Fünfzigerjahren, als er wegen seiner politischen Einstellung immer wieder vor die Tür gesetzt wurde. Im Gespräch mit dem «Vorwärts» blickt Bruno Margadant auf diese schwierige Zeit zurück.
Erinnerung ist eine selektive Angelegenheit. Im Gedächtnis der schweizerischen Öffentlichkeit ist der Kalte Krieg als latente Bedrohung aus dem Osten präsent. Damit wird weiterhin die Unterdrückung der innenpolitischen Opposition gerechtfertigt. Was setzst du als Betroffener des Antikommunismus diesem nachhaltigen Bild entgegen?
Bruno Margadant: Der Kalte Krieg beherrschte das Bewusstsein der Leute während Jahrzehnten und hatte eine Erstarrung der politischen Fronten zur Folge. Für mich ist klar, dass der Kalte Krieg eine Reaktion des Kapitals auf die Stimmung war, die ab 1943 weite Teile der Bevölkerung von Europa und Nordamerika beherrschte. Der Kapitalismus war am Ende des Zweiten Weltkrieges diskreditiert. Dessen Verstrickung mit faschistischen Regierungen war den Leuten gegenwärtig. Nur eine antikapitalistische Zukunft versprach, dass sich eine solche Tragödie nicht wiederholen könnte. Es herrschte eine Aufbruchstimmung, die man sich heute kaum mehr vorstellen kann. Sogar das «Ahlener Programm» der CDU richtete sich 1947 gegen das «kapitalistische Wirtschaftssystem».
Die Aufbruchsstimmung wurde damals von bürgerlichen Politikern als «Ostwind» denunziert. Tatsächlich fiel sie zusammen mit der Wende in Stalingrad und den grossen militärischen Erfolgen der Sowjetunion gegen Nazideutschland. Wie stark spielte der Hoffnungsfaktor Sowjetunion?
Zur Aufbruchsstimmung gehörte die Begeisterung für die Russen, die bis in bürgerliche Kreise hinein reichte. Man muss sich vor Augen halten, dass Europa 1942 von Griechenland bis nach Norwegen von den Deutschen besetzt und unterdrückt war. Es schien, die deutsche Kriegsmaschinerie sei unbesiegbar. Und dann im Winter 42/43 ihre vernichtende Niederlage in Stalingrad! Das anschliessende Vorrücken der Russen, das sich immer mehr beschleunigte, machte natürlich gewaltigen Eindruck. In der Folge veränderte sich die politische Landkarte Europas und die Sowjetunion wurde zu einer Weltmacht. Ihre bedingungslose Unterstützung blieb aber der Prüfstein, an dem die Zuverlässigkeit der KommunistInnen gemessen wurde. Sie war Segen und Fluch zugleich. Segen, weil sie Unterstützung bot; Fluch, weil sie Unterordnung auch dort verlangte, wo ihre Grossmachtpolitik nicht mit den Interessen der nationalen Kommunistischen Parteien übereinstimmte.
Mit dem einsetzenden Rollback und der Isolierung der PdA wurden die Befreiungskämpfe in der Dritten Welt immer bedeutender. Waren China, Kuba, Vietnam und die afrikanischen Kolonialkämpfe ein Ersatz für die abgewürgte Perspektive im eigenen Land?
Ja. Auch für die Kämpfe in der sogenannten Dritten Welt war die Sowjetunion Segen und Fluch in einem. Viele Führer der Befreiungsbewegungen hatten in der Sowjetunion studiert, die Bewegungen wurden von der Sowjetunion unterstützt. Andererseits hatten sich Länder wie Kuba unter das sowjetische Dach zu begeben, und das hiess, das sowjetische Modell zu übernehmen. Linke Regierungen, die einen unabhängigen Weg gehen wollten, hatten von vornherein keine Chance. Meistens war es dort jeweils das Militär, das die alten Verhältnisse wieder herputschte – mit gütlicher Unterstützung aus den USA.
Nun zur politischen Überwachung in der Schweiz zu sprechen. Dass Akten angelegt wurden, musste man annehmen. Seit wann verfügtest du über konkrete Hinweise auf die Fichen?
Die Hinweise wurden bereits konkret, als ich 1949 die Rekrutenschule absolvierte. Die kantonalen Polizeidienste und die Bupo überboten sich regelrecht damit, den Kompaniekommandanten darauf hinzuweisen, dass ein Kommunist unter den Rekruten sei. Die RS ist nie ein Honigschlecken. Wenn man sie als politisch Stigmatisierter absolvieren muss, ist sie ein Graus. Ein Beispiel: Einmal wurde der ganzen Kompanie der Ausgang untersagt. Beim abendlichen Hauptverlesen begründete dies der Kommandant damit, dass es in der Truppe ein Element gebe, das den Korpsgeist zerstöre. Man solle sich für den verbotenen Ausgang bei diesem bedanken. Aber je mehr sie mich schickanierten, desto mehr wehrte ich mich auf meine Art.
Du bist mehrere Male aus politischen Gründen entlassen worden. Wie lief das jeweils?
Das Gemeinsame an allen Entlassungen ist, dass dem Oppositionellen damit die Existenzgrundlage entzogen wurde bzw. entzogen werden sollte. Man musste schliesslich immer schauen, dass man keine Einkommenslücken hatte. Dies glückte mir jeweils mehr oder weniger gut.
Ich beginne mit der letzten Entlassung. Im Dezember 1960 wurde ich beim «Blick» entlassen, der erst seit einem Jahr erschien. Ich war als Redaktionsgrafiker von Anfang an dabei, war erstmals im Monatslohn angestellt und verdiente 1000 Franken, einiges mehr als ein Schriftsetzer damals im Wochenlohn. Ich wurde fristlos vor die Türe gesetzt; Werner Schollenberger, der dafür verantwortlich war, hatte in einem militärischen Kaderkurs erfahren, dass ich ein Kommunist sei.
Es war mir unmöglich, in Zürich Arbeit zu finden. Deshalb war ich froh, als ich im Januar 1961 in der Buchdruckerei Flawil wieder als Schriftsetzer arbeiten konnte. Ich glaubte zudem, in diesem verschlafenen Ort von der Politischen Polizei endlich in Frieden gelassen zu werden. Als ich in den Neunzigerjahren meine Fichen bekam, erfuhr ich, dass der Flawiler Ortspolizist schon im Februar einen Bericht – angefordert von der Kantonspolizei St. Gallen – über mich verfasst hatte. Den Direktor der Firma hatte er auch schon kontaktiert. (Siehe Fichenausschnitt zu diesem Beitrag)
Wann wurdest Du das erste Mal entlassen?
Im Spätherbst 1948. Ich kam aus Bulgarien zurück, wo wir im Sommer in einer Arbeitsbrigade gearbeitet hatten. Herr Bruggmann, der Direktor, sagte mir, wenn ich für die Firma so viel arbeitete wie für die Partei, sei ich in zehn Jahren selber Direktor. Zum Glück habe ich diesen und spätere ähnliche Ratschläge nie befolgt. Damals liess sich Herr Bruggmann von mir überreden, mit der Kündigung bis zur RS zu warten.
Nach der Rekrutenschule arbeitete ich in der Akzidenzabteilung der «Neuen Zürcher Zeitung». Hier war ich an der Kündigung indirekt vielleicht selber schuld, weil ich der Redaktion meine schönen Fotos vom Budapester Weltjugendfestival 1949 angeboten hatte. Ähnlich wie beim ersten Festival 1947, als die «Neue Bündner Zeitung» zwei grosse Beiträge von mir brachte, wollte ich in der NZZ wenigstens einige Fotos von mir sehen. Dabei landeten die Bilder beim Osteuropa-Verantwortlichen. Dieser zitierte mich auf sein Büro und konfrontierte mich mit einem Stapel Fotos, auf denen die Schweizer Delegation bei ihrer Abreise in Zürich zu sehen war. Es waren Fotos, die die Politische Polizei geschossen hatte, und die sie der NZZ auf deren Ersuchen hin überlassen hatte. So direkt war die Zusammenarbeit zwischen Politischer Polizei und NZZ. Im Büro standen übrigens die gebundenen Ausgaben der grossformatigen Kominform-Zeitung mit dem ellenlangen Titel «Für dauerhaften Frieden – Für eine Demokratie des Volkes». Auf einen Abdruck meiner Fotos wurde verzichtet, wie auch auf meine weitere Arbeit als Schriftsetzer.
Und am nächsten Arbeitsort folgte schon bald die nächste Entlassung?
Nach der Kündigung bei der NZZ fand ich Arbeit in der Buchdruckerei Stampfenbach im Seefeld, einer Bude, in die ich unter normalen Umständen nie eingetreten wäre. Hier wurde ich schon nach einigen Monaten wieder entlassen, weil sie «keine Kommunisten in ihrem Betrieb dulden» würden. Das Interessante bei dieser Entlassung war allerdings, dass das Politische nur vorgeschoben war. Während der Kündigungsfrist erzählte mir ein Arbeitskollege, dass ich von Anfang an nur befristet eingestellt worden sei, weil ein langjähriger Arbeiter längere Zeit krankheitsbedingt ausgefallen war. Dies zeigt, dass es 1950 ein selbstverständlicher Vorgang war, einen Kommunisten wegen seiner politischen Einstellung zu entlassen, dass dies sogar als Alibi-Begründung dienen konnte.
Ging das immer so weiter?
Ich war zum Glück ein gut qualifizierter Schriftsetzer. Sonst hätte ich mir meine politische Überzeugung kaum in dieser Offenheit leisten können. Das nächste Entlassung erfolgte 1954, weil mein Name auf der PdA-Gemeinderatsliste stand. Der Chef der Buchdruckerei Müller-Werder hatte anscheinend die Gewohnheit, das «Tagblatt der Stadt Zürich» zu konsultieren. An jenem Tag, an dem die Zeitung die Kandidatenlisten für die Gemeinderatswahlen abdruckte, musste ich bereits um 8 Uhr ins Büro, wo mir der Chef sofort kündigte. Diese Entlassung hatte mehrere Nachspiele.
Was für Nachspiele waren das?
Ich fand noch während der Kündigungsfrist wieder eine Stelle, die überdies viel besser war als die alte. Ich verdiente nun 150 Franken in der Woche. Das waren 25 Franken mehr als bei Müller-Werder, der ausserdem – wie ich während der Kündigungsfrist feststellte – seinen Arbeitern nicht so viel Ferien gab, wie er laut GAV musste. Dies und mein künftiger Lohn machten unter den Arbeitern in der Setzerei und Druckerei schnell die Runde und verursachten eine grössere Unruhe im Betrieb. Das war das positive Nachspiel.
Eher für fragwürdig betrachte ich heute die damalige Reaktion der Partei. Kurz nach meiner Entlassung schaltete sie in der Presse ein Inserat, das meinen Fall thematisierte. Ich selber wusste nichts davon. Später machte ein PdA-Kantonsrat einen parlamentarischen Vorstoss und beanstandete, dass freie Wahlen nicht mehr gewährleistet seien. Als Begründung bezog er sich auf meine Entlassung. Und dies geschah auch wieder, ohne dass ich zuvor kontaktiert worden wäre. Ich hatte ja handfeste Nachteile aus diesem Vorgehen der Partei, da die Arbeitssuche noch schwieriger wurde.
Fühltest du dich von der Partei instrumentalisiert?
Damals empfand ich es als normal, bemühte ich mich doch, getreu nach Brecht, jenes Blatt zu sein, auf das die Partei ihre Anweisungen schreibt. Rückblickend staune ich schon ein bisschen über dieses Vorgehen. Es passt aber zu der damals herrschenden Mentalität, die das Persönliche innerhalb der politischen Arbeit praktisch ausklammerte. Es galt als suspekt, den Zielen nicht dienlich.
War dies der Grund, weshalb du 1967 aus der PdA ausgetreten bist?
Nein. Ich trat aus einer gewissen Müdigkeit aus und wollte ein wenig Ruhe haben. Das Rebellische in mir liess es aber nicht dazu kommen. Ich verfolgte das nationale und internationale Geschehen weiterhin mit dem Bewusstsein eines Mitgliedes. Ich schrieb viel für den «Vorwärts»; vielleicht hatte ich ein schlechtes Gewissen.
Du warst in den 50er Jahren Präsident einer Stadtzürcher Parteisektion. Wie hast du das Parteileben in dieser schwierigen Zeit organisiert?
Die PdA des Kreises 1 war interessant zusammengesetzt: Die etwa 25 Mitglieder waren zur Hälfte Arbeiter und Angestellte, die andern Freischaffende und Intellektuelle. Vor mir war auch Toni Drittenbass als Aktuarin im Vorstand dieses Kreises; sie wurde später in einem Budapester Gefängnis getötet.
Als Präsident sah ich meine Aufgabe darin, die Partei zusammenzuhalten und die Leute mit interessanten Themen an die Monatsversammlungen zu bewegen. Das Parteileben musste ja normal weitergehen. Wir veranstalteten beispielsweise bereits 1954 einen Abend, an dem ein der Anti-Apartheid-Tonfilm «Strasse ohne Ende» mit «Geheimaufnahmen aus den Negervorstädten» gezeigt worden ist. Wenn Mandela in seinen Memoiren schreibt, es hätten sich viele gegen die Apartheid engagiert, die Kommunisten aber etwas konsequenter als die anderen, so stimmt das natürlich.
Immer schwieriger und manchmal fast abenteuerlich wurde die Saalsuche. Einigermassen sicher waren uns nur die kleinen Säle in den Restaurants «Olivenbaum» und «Karl der Grosse». Da diese aber alkoholfrei geführt waren, hatten wir in diese Lokalen weniger Versammlungsteilnehmer.
Neben den Parteiveranstaltungen galt es zu agitieren. Dazu wurde in den ArbeiterInnenbeizen der «Vorwärts» verkauft und Tür-zu-Tür-Propaganda betrieben.
Das heisst, man ging von Haus zu Haus und sprach mit den Leuten. Woran erinnert man sich dabei? Vor allem an die unangenehmen Erlebnisse?
Ich erinnere mich daran, dass die unangenehmen Begegnungen manchmal auch erfreuliche Nebenschauplätze provozierten. Das heisst beispielsweise, dass man an der einen Türe lautstark mit allen Verwünschungen eingedeckt wurde und danach vom Nachbarn im unteren Stock aufmunternde Worten hörte.
Spurensuche im Schattenloch: «Partei der Amerikaner» versus «Partei des Auslandes»
Die doktrinäre Betonung des Schweizerischen gehört zu den Merkmalen der fünfziger Jahre. Ein Diskurs, dem sich auch die KommunistInnen nicht verschlossen – mit antiimperialistischen Motiven und bizarren Folgen.
In Studien zur Schweiz im Kalten Krieg findet sich immer wieder die These, im dominanten Antikommunismus der fünfziger Jahre habe die Geistige Landesverteidigung der Kriegsjahre eine Renaissance erlebt, allerdings mit einer Akzentverschiebung. Während sich das Original (1935-43) in erster Linie gegen die nationalsozialistische Bedrohung gewandt habe, habe sich die zweite Fassung durch die vermeintliche kommunistische Bedrohung aus Moskau legitimiert. Dass tatsächlich Parallelen existieren, wurde in der «Geschichtsfiche» auch schon dargestellt, und es wurde aus dieser Sicht die These einer zweiten Geistigen Landesverteidigung übernommen. Dies deshalb, weil einige zentrale Merkmale des Originals tatsächlich in den fünfziger Jahren wieder dominant werden. Zu nennen sind die enge Verbrüderung aller politischen und ökonomischen Verbände gegen den einen (inneren) Feind, die doktrinäre Betonung des Schweizerischen und nicht zuletzt auch persönliche und organisatorische Kontinuitäten. Dazu passt auch, dass die KommunistInnen kurzerhand den Nazis gleichgesetzt wurden.
Nur: Geistige Landesverteidigung impliziert nationale Eigenständigkeit, und genau diese war im Kalten Krieg keineswegs mehr existent. Die Schweiz hatte spätestens mit dem Eintritt zum Marshallplan 1948 klar gemacht, auf wessen Seite sie in der sich abzeichnenden Blockkonfrontation steht. Der Beitritt der Schweiz zum KoKom, welches die wirtschaftlichen Embargomassnahmen der Nato-Länder koordinierte, wurde zwar lange geheim behalten, offenbart aber umso mehr die Einbindung der Schweiz in den Westblock. Die Schweiz war im Selbstverständnis viel neutraler und souveräner, als sie es tatsächlich war. Ihre proklamierte Neutralität war im Kalten Krieg nurmehr eine Farce, und dasselbe gilt für die Wiederholung der Geistigen Landesverteidigung. Die Logik des Kalten Kriegs liess auch gar nichts anderes zu: Der West-Ost-Gegensatz – der ganze politische Diskurs und die durch ihn bedingten Denkhorizonte – zwang jede Regierung und jede Partei, sich für das eine oder andere Lager zu entscheiden. Es ist daher wenig erspriesslich, der PdA ihre in den fünfziger Jahren noch wenig kritische Solidarität zu den sozialistischen Staaten anzukreiden. Ebenso erscheint es absurd, von heutiger Warte aus die Aufgabe der schweizerischen Neutralität zu kritisieren und das Mittun der hiesigen Bourgeoisie im Westblock zu bemängeln: Was anderes hätte man von ihr erwarten können in einer Welt, die nur noch das Entweder und das Oder kannte?
Vor diesem Hintergrund ist es jedoch interessant zu sehen, wie das, was nicht mehr existieren konnte, als Instrument in der politischen Auseinandersetzung eingesetzt wurde: Nämlich die Neutralität und die schweizerische Eigenständigkeit.
Ein schönes Beispiel ist der Schlagabtausch zwischen Gottlieb Duttweiler und dem Vorwärts, der im März 1948 begann, ganze vier Monaten dauerte und schliesslich in einer erfolglosen Ehrverletzungsklage Duttweilers kulminierte. Auftakt dazu war ein Artikel in der Landesring-Postille «Die Tat», in dem Duttweiler an die Adresse der PdA-Anhängerschaft schrieb, es dürfe «wahrhaftig nicht rentabel sein, auf den Untergang des Vaterlandes zu spekulieren! Sie [die PdA-Parlamentarier] sollen als das gebrandmarkt werden, was sie sind: Verräter am geistigen Vaterland und Fünfte Kolonne im Dienste des Auslandes.» Unter dem Eindruck der kommunistischen Machtübernahme in Prag bezeichnete er die PdA-Parlamentarier als «Hyänen von links» und «Moskau-Nazi». In ähnlicher Manier bezeichnete er die PdA-Mitglieder zwei Wochen später im «Brückenbauer» als «rote Nazi» und wollte sie abermals «als Verräter am Schweizertum und als Mitglieder der neuen Fünften Kolonne gebrandmarkt» sehen. Als ob es gälte, wie im Verkaufsregal der Migros so auch in der Politik allmählich die Preise zu erhöhen, etikettierte Duttweiler die PdA alsbald mit der «sechsten Kolonne».
Der Duttweiler, ein Aufrechter des Schweizertums? Falsch, befand seinerseits der Vorwärts und ordnete «Herrn Duttweiler und sein Konzern» der «Partei der Amerikaner» zu, um ihn wenig später sogar an deren Spitze zu hieven. Fortan war im Vorwärts vom «Führer der Partei der Amerikaner» die Rede und vom «schmutzigen Verleumder und wirklichen Verräter»; die «Tat» wurde vom Vorwärts als «Lautsprecher der USA-Trustmagnaten» enttarnt. Dass der Erfolg der Migros zu grossen Teilen dem Import von US-amerikanischen Rationalisierungsrezepten zu verdanken war, brachte der Vorwärts ebenso zur Sprache wie die Tatsache, dass der LdU in den dreissiger Jahren ein Sammelbecken für enttäuschte Fröntler gewesen war. Der Bezeichnung «Duttweilers Neufröntlertum» stand damit nichts mehr im Wege, unterstrichen mit der Bemerkung, der «Landesring-Häuptling» habe doch einst das Dritte Reich gelobt: «Heute gehört dieser Duttweiler zu der Partei der Amerikaner. Sie sind heute die Kriegshetzer in der Welt.»
Je grösser die Diskrepanz zwischen der proklamierten schweizerischen Eigenständigkeit und der tatsächlichen politischen und ideologischen Integration der Schweiz in den Westblock wurde, desto vehementer skandalisierte der Vorwärts diese Entwicklung. Dies konnte bisweilen bizarre Züge annehmen, die nur dadurch erklärt werden können, dass man die omnipräsenten «Landesverrats»-Vorwürfe mit eigenen Gegen-«Verrats»-Vorwürfen abzuwehren suchte, also die Doppelbödigkeit des doktrinären Schweizertums entlarven wollte – allerdings mit dem Risiko, selber in einem nationalistischen Diskurs hängen zu bleiben. Einer dieser Artikel, den man bestimmt nicht dem Vorwärts zuschreiben würde, wüsste man nicht, dass er in ebendieser Zeitung erschienen ist und zwar im Mai 1951, polemisierte gegen Zeitungsinserate für «Baumwoll-Waschkleider in verschiedenen entzückenden Pastelltönen». «Vor Wolkenkratzern werden amerikanische Girls in diesen Kleidern präsentiert. (Schweizerinnen eigneten sich nicht dazu)» empörte sich der Vorwärts über den in den Inseraten symbolisierten, wohl als kulturimperialistisch empfundenen American way of life. Der Vorwärts sorgte sich im weiteren darüber, dass durch solche «Angebote das Schweizer Wirtschaftsleben beeinträchtigt» würde, kam jedoch auch noch darauf zu sprechen, um was es eigentlich ging: «Die Tatsache, dass die grossen Zeitungen von Basel und Zürich diese indirekt von Amerika bezahlte Reklame willig aufnehme, gehört zur ´Vaterlandsliebe› ihrer Art.» Das Organ der zur «Partei der Auslandes» geschleiften PdA empfahl deshalb ein anderes Rezept: «Die Frauen, die Schweizer Konfektion und damit Schweizer Arbeit berücksichtigen, handeln jedenfalls patriotischer und dienen damit dem Lande.» Was nationalistisch daherkam, war durchaus antiimperialistisch gedacht – und in der Tat die Verschmelzung von beidem.
Der Nazi, der sich bestätigt sah
«In dieser Erwartung verbleibe ich mit grösster Hochachtung!» So endet ein Brief eines Schweizer Nazis an Bundesrat Feldmann, in dem er 1952 seine Rehabilitation und das Verbot der PdA forderte. Zumindest im zweiten Punkt ging der SVP-Bundesrat mit ihm einig.
Mit einer Reihe von Landesverräterprozessen gegen Schweizer, welche im Dienste Hitlers gearbeitet oder in der Waffen-SS gekämpft hatten, hatte man 1947 gehofft, die Debatte um die Rolle der Schweiz während des 2. Weltkrieges endlich überwinden zu können. Fortan sollte der Blick wieder nach vorne gerichtet werden können. Umso mehr bemühten sich die staatstragenden Kräfte, im sich abzeichnenden West-Ost-Gegensatz die Rolle eines – wie heute festgestellt wird: «Musterknaben» zu spielen. Und das hiess, eifrig antikommunistisch die Bewährung anzutreten.
Einer dieser Landesverräterprozesse fand in Zug statt und richtete sich gegen 37 Mitglieder des «Bundes der Schweizer in Grossdeutschland», einer Vereinigung von Schweizern, die in Hitlerdeutschland gelebt und mit den Nazis sympathisiert hatten. Sie hatten an regelmässigen SS-Schulungskursen teilgenommen und legten dabei jeweils den Eid abgelegt, Hitler als Führer anzuerkennen. In Erscheinung getreten war die Organisation hauptsächlich als Verlegerin von Propagandaschriften, welche in der Schweiz das Verständnis für das Naziregime fördern sollten. Am 4. Juni 1947 befand das Bundesstrafgericht, dass die Angeklagten des politischen und zum Teil auch des militärischen Landesverrats schuldig seien.
Verurteilt zu einer Gefängnisstrafe wurde dabei auch Robert Bossuge. Er war ein Anhänger eines faschistischen Neuen Europas. Vor allem aber galt sein Herzblut dem deutschen Russlandfeldzug, dem Kampf gegen den «Bolschewismus». Das hatte nicht nur ideologische Gründe: Bossuge erhoffte sich in einem «Russland unter deutscher Verwaltung» wirtschaftliche Entfaltungsmöglichkeiten für seine Firma. Daraus wurde nichts, dafür durfte er im April 1945, einen Monat vor der deutschen Kapitulation, in die Wehrmacht einrücken. Sein Verhalten, Nazideutschland auch in der aussichtslosesten Situation treu zu bleiben, nannte er selber «mannhaft».
Fünf Jahre nach seiner Verurteilung verstand Robert Bossuge die Welt nicht mehr: Er, der schuldig gesprochen worden war, weil er Hitler in seinem Krieg gegen den Kommunismus unterstützt hatte, sah, dass seine einstigen Motive von der antikommunistischen Doktrin der Gegenwart gänzlich gestützt wurden. Die Lage, die Bedrohung aus dem Osten, schien sich sogar noch zugespitzt zu haben. Weshalb also war er verurteilt worden? Bewies der einhellige antikommunistische Tenor in Politik und Medien nicht, dass dies völlig zu unrecht geschehen war?
Deshalb schickte Bossuge am 28. September 1952 dem SVP-Bundesrat Markus Feldmann einen Brief: Es sei nun genügend Zeit verflossen, seinen Fall und seine Motive, Hitler zu unterstützen, «leidenschaftslos» nochmals zu bewerten, forderte er den Justizminister auf. Es schrieb hier nicht einer, der Reue zeigen wollte. Rehabilitation war das Ziel. Denn die «Marschrichtung» des «Bundes der Schweizer in Grossdeutschland» sei doch klar und eindeutig gewesen: «Sie bestand im Kampf gegen den Bolschewismus. Die gut ausgebaute und durchorganisierte Propaganda war unmissverständlich auf diese Linie verpflichtet.» Ausserdem hätten die Satzungen der Organisation deren Mitglieder darauf verpflichtet, für die Unabhängigkeit der Schweiz einzutreten. Landesverrat? Von wegen, sie hätten doch für die richtige Sache gekämpft: «Ich war der absoluten Überzeugung, dass der Bolschewismus unbedingt bekämpft werden muss, und dass dieser für unseren Kontinent ein Unglück ist. Sahen wir zu schwarz? Die heutigen Verhältnisse haben unsere Auffassung bestätigt.»
Die PdA verbieten?
Robert Bossuge’s Intention beschränkte sich nicht nur auf eine Rehabilitation, er forderte auch noch etwas anderes: Das Verbot der PdA und eine sofortige Anklage gegen die gesamte Partei. «Wir alle», schrieb er dem Bundesrat, «sind uns doch klar darüber», dass die PdA die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft gefährde.
Bundesrat Feldmann nahm das Begehren zur Kenntnis, markierte die Sätze, die ihm relevant schienen, und übergab das Schreiben später der Bundespolizei, damit sie es in ihrem Dossier über die PdAS archiviere. Was der Bundesrat seinem Bittsteller zur Antwort gab, wissen wir nicht. Immerhin ist ersichtlich, dass Feldmann auch die Verbotsforderung markiert hat.
Nicht von ungefähr: Es ist bekannt, dass Feldmann ein Verbot der Partei favorisierte und 1957 – nachdem in der Bundesrepublik die KPD verboten worden war – einen konkreten Anlauf dazu unternahm. Dass die PdA in der Folge nicht verboten wurde, ist dem abschlägigen Ratschlag aus der Bundesanwaltschaft zu verdanken. In seiner Stellungsnahme argumentierte der Bundesanwalt freilich nicht mit demokratiepolitischen Überlegungen, er machte vielmehr geltend, dass der Kampf gegen die Partei einfacher sei, wenn sie legal bliebe. Ein Verbot, so der Bundesanwalt, würde «die konspirative Tätigkeit» und «die innere Geschlossenheit» der Partei stärken. Und das passte nicht zum Ziel, die Partei zu schwächen.
Der Nazi und der Justizminister waren sich in der Verbotsfrage also einig. Wichtiger als dies ist die lapidare Feststellung, dass die antikommunistische Mobilisierung der fünfziger Jahre dem entsprochen hat, was den Fröntler in den beiden vorangegangenen Jahrzehnten motiviert hatte. Dementsprechend bezeichnete damals die PdA das politische und gesellschaftliche Klima auch als «kalten Faschismus» – ein Begriff, der auf den fanatischen Antikommunismus bezogen gewiss seine Berechtigung hatte und der gerade auch im Brief Bossuge’s zu wirken beginnt.
Jedoch sollten Kapitalismus und Faschismus nicht einfach gleichgesetzt werden. So schwang in der Propaganda der bürgerlichen Kalten Krieger eine antifaschistische Note mit, welche in der absurden Gleichsetzung von KommunistInnen und Nazis zum Ausdruck kam. Untermauert wurde dies etwa mit dem Verweis auf den Hitler-Stalin-Pakt, der in den Schweizer Schulbüchern noch lange als «Beweis» für die Gleichsetzung dienen sollte, während das Münchener-Abkommen und die anderen Gefälligkeiten der Westmächte gegenüber Hitler – wenn überhaupt – nur untergeordnet Erwähnung fanden und finden. Auch wenn die Gleichung rot=braun letztlich dazu diente, die KommunistInnen vollends in Misskredit zu bringen, so bedeutete dies umgekehrt auch eine – oft auch nachträgliche – klare Distanzierung von Faschismus und Nationalsozialismus.
Und trotzdem: Gewisse Verwandtschaften zwischen Bourgeoisie und Faschisten lassen sich nicht von der Hand weisen, wie auch das Beispiel von Robert Bussoge zeigt. Dieser trat gegenüber einem bürgerlichen Regime als Bittsteller auf, und das nicht ohne Grund.
Wie der Vorwärts die Bupo austrickste
Dumme Bundespolizisten, der Bundesanwalt in Erklärungsnot und ein rasender SVP-Bundesrat. Wenn der Vorwärts die Machenschaften der Staatsschützer aufdeckte, fing die Krise erst richtig an.
Die Konjuktur der Schnüffeltätigkeit korrespondierte erwartungsgemäss mit dem Hitzegrad der jeweiligen Phase des Kalten Kriegs. In den frühen fünfziger Jahren war es der Koreakrieg, der die internationalen Spannungen schier ins Unerträgliche steigern liess. Auch für die Bupo, deren Fleiss immer hitziger wurde und schliesslich in einem einzigartigen Hyperventilieren eskalierte. Die Dossiers zur PdA verzeichneten in diesen Jahren ihr mit Abstand stärkstes Wachstum, die angeordneten Post- und Telefonkontrollen waren wahrscheinlich selbst für die Bupo-Beamten kaum noch zu überschauen.
Es macht den Anschein, dass die Kontrolle zunehmend ausser Kontrolle geriet. Jedenfalls häuften sich die Fehler. Doch nur vereinzelt waren sie so drastisch, dass die Beschnüffelten davon Wind bekamen. Ein Brief, der am 21. Dezember 1952 aufgegeben wurde und eine halbe Ewigkeit brauchte, bis er im Postfach der Redaktion landete, war ein Fall solcher Offensichtlichkeit. Dass der Brief zudem auf dilettantische Art geöffnet und neu zugeklebt worden war, räumte die letzten Zweifel an der vollbrachten Verletzung des Postgeheimnisses aus dem Weg. Es war an der Zeit, jenen die Meinung zu sagen. Und das ging, wie erwähnt, am besten mit einem Artikel im Vorwärts. Der dann am 24. Dezember erschien, mit einer Feststellung, die überhaupt nicht polemisch verstanden werden muss: «Die Feldmannschen Machthaber haben aus der bürgerlichen Demokratie einen Polizeistaat gemacht. Die Grundrechte, die die Verfassung den Bürgern bietet, werden ausser Kraft gesetzt. So weit sind wir gekommen.» Zusätzliche Aussagekraft erhalten diese Zeilen durch den kürzlich erbrachten Beweis, dass SVP-Bundesrat und EJPD-Vorsteher Feldmann die PdA hatte verbieten lassen wollen (Siehe Vorwärts vom 28. Januar 2000).
Doch das wusste man damals noch nicht. Deshalb begnügte sich die Redaktion damit, das zu sagen, was man sicher wusste: Selbstverständlich wisse man, dass die politische Polizei jede Korrespondenz an die Redaktion der Kontrolle unterwerfe. Dies solle bitteschön etwas überlegter geschehen: «Wenn die verfassungswidrige Polizeikontrolle an sich schon ein Skandal ist, so ist die Art, wie die Polizei die Verfassung jeden Morgen und auch tagsüber verletzt, noch strohdumm.» Und weil Dummheit relativ ist und sich erst in der Schläue der Gegenseite offenbart, teilte der Vorwärts auch gleich mit, wie er die verdunkelte Tätigkeit der Staatschützer schon früher hinters Licht geführt hatte. Ein einfacher Trick hatte den Beweis erbracht: «Es kommt vor, dass Briefe, die wir abends absichtlich im Fach lassen, zu einer gewissen Zeit am folgenden Tag sich nicht mehr im Fach befinden. Erst auf die Zeit der Bürostunden beliebt die Polizei, diese Korrespondenz ins Fach zurückzulegen.» Dass auf der Bupo beim angeführten Zitat ausgerechnet die beiden Begriffe «absichtlich» und «erst» unterstrichen wurden, verweist wohl auf die emotionalen Wechselbäder, die sich beim Lesen dieser Zeilen notgedrungen einstellten. Ausgetrickst zu werden ist nie schön, für eine Staatsschutzzentrale ist es eine Katastrophe. Und das ausgerechnet während den Festtagen.
Beweis für Personendossier
14 Monate später sorgte dann ein anderer Fall von eigener Dummheit für emotionale Ausschläge. Diesmal hatte man das Jahresende gut überstanden. Lange Zeit für eitle Freude blieb jedoch nicht, denn schon am 13. Februar 1954 sahen sich der Vorwärts sowie dessen Schwesterzeitungen in der Romandie und dem Tessin veranlasst, «die Methoden der Bundesanwaltschaft wieder einmal zu beleuchten.» Gelegenheit dazu bot der Irrweg eines Gesuchs zur Wiederaufnahme in das Schweizer Bürgerrecht, das von einer Frau stammte, welche 1929 gemäss damaligem Eherecht durch die Heirat mit einem Deutschen ihre eidgenössische Staatsbürgerschaft verloren hatte. Das Gesuch landete, nachdem es von der Bupo mit dem Vermerk «Bei der Bewerberin und dem Ehemann handelt es sich um Linksextremisten» versehen worden war, wieder bei der Gesuchsstellerin. Es war klar, dass man diesen Vermerk aus Informationen zusammengereimt hat, welche von angelegten Akten stammten. Der Beweis für die Existenz von Personendossiers war damit erbracht, der Vorwärts enttarnte den Fichenstaat bereits 1954. «Un documento del maccarthysmo alla bernese», titelte daraufhin der «Lavoratore». Die «Voix ouvrière» reagierte mit einem verdutzten «Ceci est arrivé» und der Vorwärts kommentierte, die Frau habe mit der Kennzeichnung als «Linksextremistin» keine Aussicht, ihr früheres Schweizerbürgerrecht wieder zu erhalten. In Ahnung dessen, was 35 Jahre später mit dem Fichenskandal platzen sollte, bilanzierte er damals: «In Hunderten von Fällen werden solche Werturteile in den Polizeidossiers stehen, ohne dass die so verleumderisch beurteilten Personen auch nur die geringste Ahnung von dieser Charakterisierung haben.»
Im Justizdepartement und in den Hinterzimmern der Bundespolizei sorgte die Veröffentlichung verständlicherweise für Nervosität. Wie konnte das passieren? Der Bundesrat verlangte vom Bundesanwalt eine Erklärung, der Bundesanwalt verlangte vom Chef der Bundespolizei eine Erklärung, der Chef der Bundespolizei verlangte vom zuständigen Beamten eine Erklärung. Sämtliche Erklärungen wurden noch gleichentags abgegeben. Die Stellungsnahme, die der Bundesanwalt dem Bundesrat schliesslich hat zukommen lassen, ist denn auch von der vertrakten Erklärungshierarchie geprägt. Der Bundesanwalt zitiert den Chef der Bundespolizei, und der zitiert seinen Beamten. Doch die eigentliche Antwort, nämlich die, wie das Formular von der Bundespolizei zur Tessiner Kantonspolizei und von dort zur Gesuchsstellerin gelangen konnte, blieb aus. Die Möglichkeit eines Übersetzungsproblems wurde nicht einmal in Betracht gezogen.
Dafür gewinnt der Bundesanwalt der Sache einen positiven Nebeneffekt ab. Als «Linksextremisten» hatte man das Ehepaar nämlich deshalb apostrophiert, weil man glaubte, dass die Frau 1951 Unterschriften für den Stockholmer Friedensappell gesammelt hatte und der Mann den «Vorwärts» las und sonst «viel marxistische Literatur». Dass die Frau mit dem unverhofft heimgekehrten Formular zu jener Redaktion ging, welche damals als einzige Gegenöffentlichkeit schuf, war – so der Bundesanwalt – letztlich nur eine Bestätigung: «Übrigens ist die heutige Veröffentlichung im Vorwärts ein beachtliches Indiz für die Verbindung des Ehepaars zu linksextremistischen Kreisen», schrieb er dem Bundesrat. Ob Feldmanns Ärger damit etwas gestillt werden konnte, ist in den Bupo-Fichen nicht festgehalten.
Italienische Kommunisten: Gemäss Art. 70 der Bundesverfassung ausgewiesen
1955 soll die Federazione, die Vereinigung der Italienischsprechenden in der PdA, zerschlagen werden. Auf Razzien und Verhaftungen folgen 150 Ausweisungen. Antikommunismus und repressive MigrantInnenpolitik gehen Hand in Hand.
«Beim grössten Teil der italienischen Fremdarbeiter, die der Federazione beigetreten sind, besteht eine panische Furcht, ausgewiesen zu werden. Für solche Leute bedeutet dies der Verlust einer gut bezahlten Arbeitsgelegenheit und die in Italien darauf folgende lange Arbeitslosigkeit.» Es ist Juli 1955, als diese Zeilen geschrieben werden. Nicht aus Solidarität mit den Betroffenen. Der, der das schreibt, ist ein Beamter des Nachrichtendienstes der Kantonspolizei Zürich. Er tippt die Zeilen in einen Bericht, den er zuhanden der Bundespolizei verfasst. Sie sollen die Schlagkräftigkeit der Waffe «Ausweisung und Einreisesperre», die seit 1949 gegen italienische Kommunisten immer wieder angewendet wird, veranschaulichen. Das tun sie. Und zusammen mit der Bedrohungslage, die der 46 Seiten starke Bericht zeichnet, führen sie zur Ausweisung von 130 ItalienerInnen. Mit den GenossInnen, die man schon im Juni ausgewiesen hat, sind es in diesem Jahr 150 ItalienerInnen, die des Landes verwiesen werden. Etliche werden verhaftet und regelrecht ausgeschafft. Alleine 70 von ihnen leben und arbeiten in Winterthur. Mit der Aktion soll die «Federazione di lingua italiana del Partito Svizzero del Lavoro» zerschlagen werden, die «Föderation italienischer Sprache der PdA». Nicht zufällig trifft es die GenossInnen, die in der Federazione die wichtigen Aufgaben übernommen haben. Die Schnüffler haben ganze Arbeit geleistet.
In der Federazione hatten sich seit 1949 die italienisch sprechenden Mitglieder der PdA zusammengeschlossen. Tessiner, vor allem aber italienische ArbeiterInnen fanden in ihr eine politische Heimat. Die Federazione war der eindrückliche (vielleicht der eindrücklichste) Versuch, die Spaltung im schweizerischen Proletariat zu überwinden. Dies schien vor allem in den Zentren der Maschinenindustrie wie Winterthur, Baden und Zürich auch immer besser zu gelingen. Deshalb die Ausweisungwelle von 1955.
Gegen aussen liess man verlauten, die Betroffenen hätten «Wirtschaftsspionage» betrieben, man müsse vom Artikel 70 der Bundesverfassung Gebrauch machen, wonach «Fremde, welche die innere oder äussere Sicherheit der Eidgenossenschaft gefährden,» ausgewiesen würden.
Im internen Bericht wird indes konsequent politisch argumentiert: «In der Methodik und im Endziel des Weltkommunismus ist diese von der Federazione der italienischen Fremdarbeiter der PdAS ausgeübte Tätigkeit gegen die demokratischen Grundlagen unseres Landes gerichtet.» Die Voraussetzung zur Ausweisung sei damit erfüllt, heissts im Bupo-Bericht.
Die Aktion war von langer Hand vorbereitet worden. Bereits im Januar war der Chef des Zürcher Nachrichtendienstes von seinen Winterthurer Beamten alarmiert worden. Der durch die Hochkonjuktur anhaltende Hunger nach Arbeitskräften führe dazu, dass «aus unserem südlichen Nachbarlande ständig neue Fremdarbeiter nach der Schweiz geholt» würden und man müsse in diesem Zusammenhang eine «ständig zunehmende Aktivität der in Winterthur als Fremdarbeiter tätigen italienischen Kommunisten» feststellen, schrieben sie. Die Fakten, die das «Problem» belegten, hatten sie sich zuvor in einer Nacht und Nebel Aktion aus den notdürftigen Wohnbaracken der Arbeiter beschafft, wahrscheinlich über die Festtage, als die Arbeiter bei ihren Familien in Italien verweilten. Dabei hatten die Staatsschützer höchst Beunruhigendes festgestellt: Die Mitgliederzahl der Winterthurer Federazione-Sektion hatte sich seit 1952 auf hundert verdoppelt, in den Sulzer- und BBC-Werken waren Betriebszellen gebildet worden, Schulungskurse fanden statt. Und es war nicht zu übersehen, dass der Einfluss der KommunistInnen in der überparteilichen MigrantInnenorganisation Colonia libera italiana immer dominierender wurde.
Winterthur sei das «Stalingrad der italienischen Kommunisten in der Schweiz», schrieben die Schnüffler in den Bericht an ihren Zürcher Chef. Ein merkwürdiger Vergleich, symbolisiert doch Stalingrad die Wende im 2. Weltkrieg, den Anfang vom Ende der nationalsozialistischen Herrschaft. Vielleicht ist der Vergleich auch nur entlarvend.
Jedenfalls deutete man damit an, dass das «Problem der italienischen Kommunisten» in Winterthur besonders akut sei. Dass man handeln müsse. Was man dann, nach fünfmonatiger minuziöser Vorarbeit, auch tat. In der Nacht vom 1. auf den 2. Juni setzte man zur grossen Razzia an. Landesweit wurden 24 Genossen verhaftet, verhört, ihre Wohnungen durchsucht, politisches Material beschlagnahmt. Wer nicht Tessiner war, wurde nach dem Verhör angewiesen, binnen 36 Stunden die Schweiz zu verlassen. 20 Arbeiter waren davon betroffen, 13 stammten alleine aus Winterthur. Sie bildeten den Kern der dortigen Federazione-Sektion. Doch damit nicht genug. Durch das beschlagnahmte Material war es möglich geworden, die Strukturen der Federazione offenzulegen. Adresslisten, Korrespondenzen und Sitzungsprotokolle bildeten die Quellen für den eingangs zitierten 46-seitigen Bericht – und für die Ausweisung weiterer 130 GenossInnen. Dabei arbeitete die Politische Polizei eng mit den Konzerndirektionen und der italienischen Botschaft zusammen. Mehr dazu im nächsten Vorwärts.
Im Interesse von Staat und Konzern
«Moskau einfach!» und «Partei des Auslandes» hiess es in den Fünfziger allenthalben. Nichts war naheliegender, als mit den italienischen KommunistInnen so zu verfahren, wie man dies mit den schweizerischen gern getan hätte, und sie – zumindest ihre AnführerInnen – aus dem Land zu werfen. Dennoch lassen sich die Ausweisungen von italienischen KommunistInnen nicht nur mit dem Diskurs, der KommunistInnen generell ins Ausland verwünschte, erklären.
Es scheint, dass in den fünfziger Jahren ein altes Feindbild in die Mühlen der «inneren Bedrohung» geriet. Der «Fremdarbeiter» aus dem südlichen Nachbarlande galt schon seit langem als besonders aufrührerisch. Wer einen flüchtigen Blick in die Polizeiprotokolle wirft, die zu den vielen lokalen Streiks in den Jahren vor und nach 1900 verfasst worden waren, begegnet immer wieder der Darstellung, «italienische Anarchisten» hätten zur Arbeitsniederlegung angestachelt. Auch in den Polizeiakten des zweiten und dritten Jahrzehnts, die von einzelnen Kantonen noch vor der Schaffung der Bupo angelegt wurden, taucht das besondere Augenmerk für die italienischen ArbeiterInnen wieder auf. Als in den dreissiger Jahren emigrierte ItalienerInnen vermehrt in die KPS eintraten, interessierte sich auch die neu geschaffene Bundespolizei im besonderen Masse für diese GenossInnen. Und die Bupo blieb sich mindestens ein halbes Jahrhundert lang treu: Die Verfasser des Buches «Staatsschutz in der Schweiz» schätzen, dass rund die Hälfte aller Fichen, die über AusländerInnen erstellt wurden, ItalienerInnen betreffen.
Es erstaunt daher kaum, dass auch die Gründung der überparteilichen, jedoch pointiert antifaschistischen Colonia libera italiana im Jahre 1943 von seiten der Staatsschützer mit Argusaugen verfolgt worden ist. Gleiches gilt für die im September 1944 in Zürich konstituierte «Tessiner-Sektion der PdAS», aus der später die Federazione entstanden ist. 1946 bildete sich dann in Basel eine «grupo di lingua italiana del Partito Svizzero del Lavoro», was den Basler Beamten natürlich nicht entging: «Dieser neugegründeten Gruppe innerhalb der PdA werden wohl auch Italiener beitreten, die der Colonia libera italiana angehören.» Deshalb solle die Bundesanwaltschaft unterrichtet werden, befand der Abteilungschef der Basler Politpolizei umgehend. Sobald ItalienerInnen und ihre grösste Organisation, die Colonia, mit der PdA in Verbindung kamen, war also Meldung angezeigt.
Ab 1947/48, als der wirtschaftliche Boom einsetzte und italienische Arbeitskräfte in bisher unbekanntem Ausmass in die Schweiz geholt wurden, läuteten bei der Bupo erst recht die Alarmglocken. Man bedauerte, dass sich der Zuzug «von Arbeitskräften aus Deutschland und Österreich aus bekannten Gründen» ausschloss und stattdessen in Italien rekrutiert wurde. Zumal es ja eine «Tatsache ist, dass an den Schwerpunkten der italienischen Industrie die Arbeiterschaft straff organisiert und durch die KPI und dem allmächtigen Gewerkschaftsbund zusammengefasst ist.»
Im November 1949, als mit der Federazione eine Unterorganisation der Italienischsprechenden in der PdA mit Sektionen in der ganzen Schweiz geschaffen wurde, intervenierte die Bupo dann auf skandalträchtige Weise das erste Mal. Am 28. November, zwei Tage nach der konstituierenden Sitzung der Federazione, wurde in Zürich Cesare Roda verhaftet. Roda war PCI-Funktionär und hatte an der Federazione-Gründung teilgenommen. Er wurde in Isolationshaft gesetzt und schliesslich am 24. Dezember ausgeschafft. Seine Angehörigen wurden erst nach vier Wochen informiert, wo der inzwischen für vermisst gemeldete Italiener in Haft gehalten wurde. Es ist wahrscheinlich, dass das italienische Aussenministerium das Vorgehen der Schweizer Behörden gebilligt hat.
Für die Ausweisungswelle von 1955 ist die Zusammenarbeit von italienischer Botschaft und schweizerischer Bundespolizei erwiesen: «Verschiedentlich sprachen Vertreter der italienischen Botschaft in Bern bei uns vor», teilte der Bundesanwalt knapp aber deutlich Bundesrat Feldmann mit, nachdem die meisten Ausweisungen bereits vollzogen waren. Während die Schweizer Behörden in den italienischen EmigrantInnen zunehmend eine innere Bedrohung sahen, bildeten sie offenbar gleichzeitig eine äussere Gefahr für das italienische Aussenministerium. Dass die italienischen ArbeiterInnen begannen, Betriebszellen zu bilden, wurde wiederum den Konzerndirektoren zu gefährlich. Deshalb teilte Herr Comtesse von der Sulzer-Direktion der Bupo im Januar 1955 mit, im Betrieb seien «kommunistische Zellen» gebildet worden. Seine Mitteilung war eines der Fanale zur Ausweisungswelle, die im Juni mit einer Nacht und Nebel Aktion ihren Lauf nahm. Allerdings musste man nach einem unerwartet negativen Presseecho auf diese Aktion kurzfristig eine kleine Änderung in der Methode vornehmen. Alle weiteren Ausweisungen wurden nicht mehr auf direktem, also behördlichem Wege umgesetzt, sondern über den Umweg von «normalen» blauen Briefen. Nach erfolgter Kündigung konnte den Betroffenen die Aufenthaltsbewilligung entzogen werden, ohne dass dies in der bürgerlichen Presse für viel Aufsehen gesorgt hat. Es versteht sich, dass dafür genaue Absprachen zwischen Konzernleitung und Staatsschutz notwendig waren. Im erwähnten Schreiben an Bundesrat Feldmann nennt der Bundesanwalt das Beispiel Winterthur. Man sei so vorgegangen, «dass die Polizeidirektion des Kantons Zürich mit den Personalchefs der in Frage stehenden Firmen über das Vorgehen gegen weitere italienische Kommunisten konferierte.» Nachdem die Kündigungen ausgesprochen wurden, habe die Fremdenpolizei sogleich die Aufenthaltsbewilligung entzogen und von den eidgenössischen Stellen eine Einreisesperre verlangt.
Ausweisungen während drei Jahrzehnten
Am 1. März 1990 hat der Vorwärts ein eindrückliches Interview mit Sandro Rodoni, dem ehemaligen Sekretär der Federazione, veröffentlicht. Rodoni gehörte Anfangs Juni 1955 zu den 24 Verhafteten (Vorwärts, 11.2.); hätte er nicht die schweizerische Staatsbürgerschaft bessesen, wäre er damals aus dem Land geworfen worden. Rodoni hat 1990 dem Vorwärts erzählt, dass die Federazione 1955 gegen 2000 Mitglieder gezählt habe. Die Repressionswelle mit 150 Ausweisungen sei ein schwerer Schlag gewesen, doch habe die Federazione nicht zerschlagen werden können. 1959 wurde die Federazione aufgelöst und an deren Stelle die PCI Schweiz aufgebaut. Weder Federazione noch PCI Schweiz sind verboten worden, wohl aus ähnlichen Überlegungen, weshalb auch die PdA nicht verboten wurde: Illegale Parteistrukturen wären für die Bupo schwieriger zu überwachen gewesen als legale.
Auch in den sechziger und siebziger Jahren ging die Repression weiter – und stets hatte die Bupo in der Metallergewerkschaft SMUV einen willigen Unterstützer. Ein neuer Höhepunkt bildete dabei das Jahr 1963, als in Italien Wahlen anstanden und die PCI Schweiz unter den italienischen EmigrantInnen mit grossem Erfolg mobilisierte. 10 Genossen aus der Leitung der PCI Schweiz wurden daraufhin ausgewiesen. Zudem verfügte der Bundesrat eine Einreisesperre gegen sämtliche kommunistischen Abgeordneten und Senatoren Italiens.