Michael Wögerer. In Österreich wurde die Wahl eines rechtsradikalen Burschenschafter als Staatsoberhaupt «arschknapp» verhindert. Der Grüne Van der Bellen wird mit 50,3 Prozent neuer Bundespräsident.
Die Wahlen zum Bundespräsidenten in Österreich waren seit jeher eine «gmahte Wiesen» für die etablierten Volksparteien – sozusagen ein Heimspiel für Sozialdemokraten (SPÖ) und Konservative (ÖVP). Bei den diesjährigen Wahlen wurde jedoch schon nach dem ersten Durchgang am 24. April klar, dass im Jahr 2016 alles anders sein wird.
Norbert Hofer von den rechtsextremen Freiheitlichen (FPÖ) hatte sich mit 35 Prozent deutlich vor dem von den Grünen nominierten Alexander Van der Bellen (21 Prozent) für die Stichwahl qualifiziert. Das Ergebnis war ein Schock für das politische Establishment, zugleich aber auch der Startschuss für eine sensationelle Aufholjagd.
In den vier Wochen bis zu den Präsidentschaftswahlen am 22. Mai war in Österreich innenpolitisch der Bär los: Mitte Mai kam es kurzerhand zu einem Wechsel im Bundeskanzleramt. Der bisherige Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) nahm am 9. Mai seinen Hut, nachdem er gänzlich an Rückhalt verloren hatte. So wurde er etwa bei der 1.-Mai-Demonstration in Wien von seinen eigenen GenossInnen ausgepfiffen und zum Rücktritt aufgefordert. Hintergrund dafür war vor allem seine «situationselastische» Positionierung in der Flüchtlingspolitik. Faymanns Schwenk von der «Willkommenskultur» zur «Abschottungspolitik» wurde von den verbleibenden Linken in der SPÖ stark kritisiert. Die Stimmung in der Regierung war auf dem Tiefpunkt, was dem oppositionellen Kandidaten für die anstehenden Präsidentschaftswahlen, Norbert Hofer, weiter Auftrieb gab.
Roter Gegenwind
Als Nachfolger von Feymann wurde am 17. Mai der Manager der staatlichen Bahngesellschaft Christian Kern als neuer Kanzler angelobt. Der smarte SPÖler schaffte es, in kürzester Zeit wieder Optimismus in den eigenen Reihen zu verbreiten.
Nach der Kabinettsumbildung konzentrierte sich wieder alles auf die Präsidentschaftswahl. Kerns deutliche Positionierung für Van der Bellen schaffte zusätzlichen Gegenwind für Hofer. Obwohl kurz vor der entscheidenden Stichwahl keine Umfragen mehr veröffentlicht wurden, deutete alles auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen hin, was es schliesslich auch wurde.
Ein österreichischer Bundespräsident mit deutschnationaler Gesinnung oder einer, der fest im bürgerlich-grünen Establishment verankert ist – vor dieser Entscheidung standen die Menschen im Land vom Boden- bis zum Neusiedlersee. Der 45-jährige Ingenieur Norbert Hofer gegen den 72-jährigen Wirtschaftswissenschafter Alexander Van der Bellen.
Braune Kornblume und grüne Schickeria
Hofer ist stellvertretender Vorsitzender der FPÖ und Ehrenmitglied der deutschnationalen Burschenschaft «Marko-Germania zu Pinkafeld», die sich in ihren Grundsätzen zur «deutschen Kulturgemeinschaft» bekennt und die Existenz einer eigenständigen österreichischen Nation in Zweifel zieht. Hofer selbst stellte in der Vergangenheit mehrmals das Verbotsgesetz infrage, welches in Österreich jede Betätigung im Sinne des Nationalsozialismus verbietet. Bei Angelobungen des Nationalrats trugen er und seine freiheitlichen Kollegen die blaue Kornblume, ein Symbol, das ab 1933 Erkennungszeichen der illegalen Nazis war.
Van der Bellen hingegen war jahrelanger Bundessprecher der Grünen, gilt als wirtschaftsliberal und ist ein brennender Befürworter der Europäischen Union. «Er ist mit seiner Abgehobenheit und Ignoranz gegenüber den realen Lebensverhältnissen der arbeitenden Menschen und der ärmeren Gesellschaftsschichten gerade jener Politikertypus, der für diejenigen Menschen, die wenige soziale Perspektiven sehen beziehungsweise vom weiteren Abstieg bedroht sind, kein Ansprechpartner ist», schrieb die österreichische Partei der Arbeit (PdA) in ihrer Stellungnahme zur Stichwahl.
Viele ÖsterreicherInnen, die nicht in die dunkle Vergangenheit des Faschismus zurückfallen wollten, hatten allerdings am 22. Mai keine andere Wahl: Sowohl bürgerlich-konservative als auch linke Gruppierungen riefen dazu auf, das «kleinere Übel» zu wählen, um einen rechtsextremem Präsidenten zu verhindern. Nachwahlbefragungen belegen dies deutlich: 52 Prozent haben Van der Bellen gewählt, um Hofer zu verhindern und nicht deshalb, weil sie der grüne Professor persönlich überzeugt hätte.
Schliesslich gelang es Alexander Van der Bellen, getragen von einer breiten Kampagne und unterstützt von Prominenten aus Kunst, Politik und Wirtschaft, das Ruder herumzureissen und bei der Stichwahl «arschknapp» (Van der Bellen) mit 31 026 Stimmen die Nase vorn zu haben. Er wird am 8. Juli als 9. Bundespräsident der Zweiten Republik vereidigt.
Sind 49,7 Prozent rechts?
Nur 0,6 Prozent trennten die beiden Präsidentschaftskandidaten nach Auszählung der Briefwahlstimmen am Montag nach der entscheidenden Stichwahl. Österreich sei tief gespalten, hiess es in zahlreichen Kommentaren. 49,7 Prozent wollten einen Rechtsextremen in der Hofburg, während nur wenige mehr einen Politiker wählten, der zumindest in der Flüchtlingsfrage eine humanistische Linie vertritt. Doch die Analyse einer Links-Rechts-Spaltung in Österreich greift zu kurz. Es handelt sich vielmehr um eine «Oben-unten-Spaltung», betonte der renommierte Politikwissenschaftler Hubert Sickinger in einem Interview mit der «Süddeutschen Zeitung». Laut einer detaillierten Wahlanalyse seiner Kollegen Fritz Plasser und Franz Sommer befürchten 42 Prozent der Bevölkerung in den nächsten Jahren immer mehr Abstriche von ihrem Lebensstandard machen zu müssen. Davon haben zwei Drittel Hofer und ein Drittel Van der Bellen gewählt.
Es mag viele schockieren, dass die Mehrheit der ArbeiterInnen und grosse Teile der sozial schwachen Bevölkerung lieber einen Rechtsextremen als Präsident haben wollten. Die Wurzeln dieses Wahlverhaltens liegen aber grossteils in der Ablehnung einer Politik, die die tatsächlichen Sorgen und Ängste der Menschen ausser Acht gelassen hat. Die Demagogie der Freiheitlichen funktioniert deshalb so gut, weil die anderen Parteien die soziale Frage nicht mehr stellen und keine konkreten Lösungen für die Probleme der einfachen Bevölkerung haben.