In Brasilien wird die Aufnahme von syrischen Flüchtlingen sistiert. Die PutschistInnen machen damit einen weiteren politischen Fortschritt der gestürzten Regierung rückgängig.
Mohammed Najjar schaut Nachrichten im Fernsehen in seiner neuen Wohnung in Rio de Janeiro. «Nicht viele Leute wissen das, aber der neue Präsident Michel Temer hat libanesische Wurzeln», sagt der Flüchtling aus der syrischen Provinz Latakia. Er schmunzelt. Der Libanon selber hat seit 2014 keinen Präsidenten, weil das Parlament heillos zerstritten ist.
Für die Mehrheit der BrasilianerInnen ist Temers Herkunft allerdings nicht von grossem Interesse. Temer hat sich im Mai parlamentarisch an die Macht geputscht mit einem Amtsenthebungsverfahren gegen die Präsidentin Dilma Rousseff .In Umfragen erreicht er Zustimmungswerte im einstelligen Bereich. Kein Wunder, er drückt eine heftige Sparpolitik durch. Und er ist gezwungen einen Minister – alles Männer – nach dem anderen auszuwechseln, weil sie in Skandale verwickelt sind. Das grösste Land Südamerikas steckt seit zwei Jahren in einer ökonomischen und politischen Krise, Hunderttausende haben ihre Arbeit verloren und Massendemonstrationen gehören zum Alltag.
Verhandlungen suspendiert
Gleichzeitig konnten einige Flüchtlinge, die dem syrischen Konflikt entfliehen, die einzigartige Politik der offenen Türe nutzen, die ihnen die gestürzte Regierung angeboten hat. Damit ist es vorbei. Die Putschregierung in Brasilien mit Michel Temer an der Spitze hat kürzlich alle Gespräche über die Aufnahme von syrischen Flüchtlingen mit der Europäischen Union sistiert. Damit wird die Politik der «offenen Arme für Flüchtlinge» der gestürzten Präsidentin Dilma Rousseff beendet, die 2013 begonnen wurde. Laut «BBC Brazil» sind die Verhandlungen vom neuen Justizminister Alexandre de Moraes suspendiert worden.
Die vorherige Regierung hat versucht, an internationale Hilfsmittel zu gelangen, um etwa 100 000 Menschen Unterkunft bereitzustellen, die aufgrund des Konflikts in Syrien auf der Flucht sind. Eine anonyme Quelle erklärte, dass die Entscheidung der Temer-Regierung Teil einer neuen «restriktiven» Politik sei, die im Namen der Grenzsicherung keine Flüchtlinge aufnehmen wird.
Die Regierung der suspendierten Präsidentin Rousseff wurde von internationalen Hilfswerken für ihre Bereitschaft gelobt, syrische Flüchtlinge aufzunehmen, die in Europa einer starken Welle von Fremdenhass und Rassismus ausgesetzt sind. Bis April hat Brasilien rund 2200 syrische Flüchtlinge aufgenommen. Mit einem Programm, das bis 2017 laufen sollte, haben Flüchtlinge aus dem Mittleren Osten spezielle Visa erhalten. Für das Leben in Brasilien erhalten sie finanzielle Unterstützung über das Sozialprogramm «Bolsa Família» mit etwa 50 Dollar pro Monat, die normalerweise an arme Familien verteilt werden.
Humanitäre Visa
Najjar beschloss, aus Syrien zu flüchten, nachdem er Anfang 2015 erlebte, wie eine Bombe nur wenige hundert Meter von ihm entfernt explodierte. Mit seiner Familie versuchte er, ein Land zu finden, dass ihn aufnehmen würde. «Es war eine Mission Impossible einen Platz zum Leben zu finden», sagt er. Dann hörte er von Brasilien, welches humanitäre Visen gewährte. Personen jeder Nationalität, die vom syrischen Bürgerkrieg betroffen waren, konnten Asyl beantragen. Ausserdem ist es auch möglich, mit einem ungültigen Pass ins Land zu reisen, solange man es deklariert und einen Flüchtlingsstatus beantragt; für viele, die dem syrischen Konflikt entfliehen, eine Notwendigkeit. Für zukünftige syrische Flüchtlinge sieht es in Brasilien unter der Regierung Temer schlecht aus. «Ich hatte gerade noch Glück», sagt Najjar.