In der Stadt Zürich wurden Zahlen herausgegeben über die Anzahl Minderjähriger, die im Polizeigefängnis inhaftiert werden: Es sind 650 pro Jahr. Meistens sind sie für wenige Stunden eingesperrt. Aber 30 Prozent von ihnen bleiben über mehrere Tage im Knast unter schweren Haftbedingungen.
In den Polizeigefängnissen von Zürich stecken Kinder. Der Regierungsrat hat auf Anfrage der Alternativen Liste Zahlen herausgegeben, die bezeugen, dass zwischen 2013 und 2015 mehr als 2000 Minderjährige zwischen 11 und 17 Jahren im Notgefängnis untergebracht wurden. Die Geschichte wurde erstmals durch einen Bericht des «Tages-Anzeiger» im Dezember öffentlich bekannt. Aufgedeckt wurden die Fälle von der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF), die im Auftrag des Bundes die Verhältnisse in schweizerischen Gefängnissen überprüft. Bei einem Besuch im April 2014 stellte die NKVF fest, dass sich zwei Jugendliche im Polizeigefängnis befanden; auch im darauffolgenden Oktober fand die Kommission einen Minderjährigen vor.
Laut «Tages-Anzeiger» gilt das provisorischen Polizeigefängnis (Propog) als Zürcher Anstalt mit dem härtesten Haftregime. Die Platzverhältnisse sind eng, im Sommer stinkt es. Die Fenster sind zweifach vergittert und verunmöglichen eine Sicht nach aussen. Die Inhaftierten, auch die Kinder, «dürfen» pro Tag für eine Stunde nach draussen auf den übergitterten Spazierhof; in Handfesseln jeweils zu zweit aneinandergefesselt. Ins Propog kommen Festgenommene zu Beginn, bevor sie in andere Anstalten verlegt werden, bevor einE HaftrichterIn über die Untersuchungshaft entscheidet. Hier setzt der Haftschock ein: Viele haben Panikattacken oder Anfälle. Zuweilen kommt es zum Suizid.
Besonders problematisch ist laut NKVF, dass die Jugendlichen nicht von den Erwachsenen getrennt werden, was nach Jugendstrafgesetz rechtswidrig ist. Das hat sich seit dem Bericht nicht gebessert. Die Zürcher Polizei reagierte beschwichtigend auf die Enthüllung. Ab 2020 gäbe es im Polizei- und Justizzentrum (PJZ), im Volksmund Polizei-Palast genannt, mit 300 Haftplätzen genügend Raum. Nur: Im PJZ ist keine abgetrennte Abteilung für Jugendliche vorgesehen.
Gefängnisse als Machtmittel
Die Antwort des Regierungsrats hat gezeigt, dass jedes Jahr etwa 650 Jugendliche im Polizeigefängnis inhaftiert werden. Die Mehrheit davon ist über 15-jährig, aber zwischen 2013 und 2015 befanden sich auch insgesamt dreizehn 11-Jährige und fünfzehn 12-Jährige im Propog. Ein Polizeisprecher erklärte, ein Grossteil der Jugendlichen halte sich «nur wenige Stunden» in Polizeigewahrsam auf. Die Antwort des Regierungsrats zeigt nun, dass immerhin 30 Prozent der Jugendlichen mehr als eine Nacht in Untersuchungshaft gehalten werden.
Die Zürcher Justizdirektion und die Jugendanwaltschaft schreiben in einer Stellungnahme, dass man versuche, Minderjährige aus dem Propog möglichst schnell zu verlegen, unter anderem in die Jugendabteilung des Gefängnisses Limmattal. Das macht es nicht besser, denn Gefängnisse unterscheiden sich fundamental von anderen Einrichtungen, weil sie auf Sicherheit ausgerichtet sind und keinerlei pädagogische Begleitung ermöglichen.
Die Gemeinderatskandidatin der Zürcher PdA Nesrin Ulu ist über die Situation empört: «Kinder gehören auf keinen Fall ins Gefängnis. Unsere Partei steht dem Gefängnissystem sowieso kritisch gegenüber. Für die Mehrheit der Gefangenen sind Gitter und Mauern unnötig, meistens sogar kontraproduktiv. Die Inhaftierung von Minderjährigen gehört ganz sicher verboten, ebenso die Isolationshaft, die eine Form von Folter darstellt, sowie die sogenannte ausländerrechtliche Administrativhaft, bei der Menschen bis zu 18 Monaten inhaftiert werden können, ohne dass sie straffällig geworden wären. Statt auf Gefängnisse muss verstärkt auf offenen Vollzug und bessere soziale Integration gesetzt werden.» Die Juristin erklärt: «Gefängnisse sind ein Machtmittel der herrschenden Klasse gegenüber den Arbeitenden: Menschen aus ärmeren Verhältnissen werden häufiger ins Gefängnis gesteckt; Armutsdelikte werden stärker geahndet und härter bestraft.»