Zehn Tage verbrachten Mitglieder der Kommunistischen Jugend Schweiz in Russland, um an den 19. Weltfestspielen der Jugend und Studierenden teilzunehmen. Das antiimperialistische Festival war von der Regierung in eine Karrieremesse verwandelt worden. Trotzdem trafen sich hier auch linke Jugendgruppen aus der ganzen Welt. Ein Bericht.
Als wir erfahren haben, dass die Weltfestspiele der Jugend und Studierenden im Jubiläumsjahr der Grossen Sozialistischen Oktoberrevolution in Russland stattfinden würden, waren wir begeistert. Für uns stand fest: wir mussten hin. Wir, das waren damals die Mitglieder der Kommunistischen Jugend (KJ) Zürich, die Jugendgruppe der entsprechenden Sektion der Partei der Arbeit (PdA), starteten im Februar einen Aufruf, um eine Delegation aus der Schweiz für die Weltfestspiele zu bilden. Wir waren bereits spät dran mit der Vorbereitung eines «Nationalen Komitees», aber da die KJ (noch) nicht Mitglied des Weltbundes der Demokratischen Jugend (WBDJ) ist, hatten wir keine Einladung für das Festival erhalten und wurden erst durch die Medien darauf aufmerksam gemacht. Die Informationslage zu den Weltfestspielen war schlecht, die ganze Organisierung des Festivals blieb lange unklar: Wie würden wir nach Russland reisen, wo werden wir untergebracht? Von Anfang an gab es ein grosses Problem mit den XIX. Weltjugendfestspielen: Sie würden in Sotschi stattfinden. Sotschi liegt in Südrussland am Schwarzen Meer, fernab von den zentralen Stätten der Oktoberrevolution, die wir gerne besuchen wollten.
Unter Regierungskontrolle
Warum fanden die Weltfestspiele überhaupt in Sotschi statt? In der Vorbereitungsphase beharrte die russische Regierung darauf, das Festival in Sotschi zu veranstalten, während der WBDJ Moskau favorisierte. Das Gastgeberland obsiegte augenscheinlich. «Die russische Regierung versucht, das Festival unter ihre Kontrolle zu bringen und seinen Charakter zu verändern», berichtete damals ein deutscher Vertreter in der kommunistischen Wochenzeitung «Unsere Zeit». Der Charakter des Festivals war seit der Gründung antiimperialistisch und antimilitaristisch gewesen. «Seit 1947 sind die Weltfestspiele ein grosses Treffen der antiimperialistischen und demokratischen Jugend der Welt. Hier treffen sich junge Kommunistinnen und Kommunisten, Linke, GewerkschafterInnen und Aktive von nationalen Befreiungsbewegungen, um sich über die Kämpfe in ihren Ländern auszutauschen und um miteinander zu feiern, um gegen den Imperialismus zu demonstrieren und um Kraft und Selbstvertrauen mit nach Hause zu bringen», schrieben wir in unserem Aufruf. Das diesjährige Festival war dem 100. Jahrestag der Oktoberrevolution gewidmet sowie den allerersten Weltfestspielen. 2017 jährt sich nämlich auch zum 70. Mal die Austragung des ersten internationalen Jugendfestivals, das 1947 in Prag stattfand. Damals kamen 17 000 Delegierte aus 72 Ländern unter der Losung «Jugend, vereinige dich für dauerhaften Frieden» zusammen.
Verlockendes Angebot
An unser Vorbereitungstreffen im März kamen vor allem Leute aus dem Umfeld der KJ und PdA, aber auch ein Grüppchen Bekannter aus anderen Organisationen meldete Interesse. Wir skizzierten eine Reiseroute Moskau-Sotschi-St. Petersburg, damit wir etwas mehr von Russland sehen konnten, und beschlossen, als Delegation mit den OrganisatorInnen des Festivals Kontakt aufzunehmen. Der WBDJ meldete sich nicht zurück. Die russische Seite schon. Endlich bekamen wir genauere Informationen zum Ablauf des Festivals. Die Leistungen bei einer Teilnahme, wie sie uns von den russischen OrganisatorInnen geschildert wurden, waren äusserst verlockend (zu verlockend): Essen, Unterkunft und Partizipation am Festival sind gratis. Es wird uns ein Visum vom 14. bis 22. Oktober ausgestellt. Es sind kostenlose Reisen in verschiedene russische Städte möglich, die von ihrer Seite organisiert würden. Und man würde uns einen direkten Charterflug nach Sotschi organisieren. Der einzige Kostenpunkt wäre dann dieser Flug nach Sotschi. Zur Anmeldung setzte man uns eine Deadline bis Mitte Mai, wobei man einen gültigen Pass brauchte. Wir begannen also, alle Interessierten zu hetzen, sich so bald wie möglich anzumelden. Insgesamt waren es etwas mehr als ein Dutzend Leute aus unserem Umfeld, die sich schliesslich registrieren liessen. Die Hektik war aber unnötig gewesen; die russischen OrganisatorInnen verlängerten die Deadline bis in den Juni und später noch einmal.
Probleme bei der Vorbereitung
Nach der Anmeldung hörten wir lange Zeit nichts mehr von den Verantwortlichen des Festivals. Der Sommer verging und langsam rückte das Datum der Weltfestspiele in greifbare Nähe. Wir wurden nervös. Es waren noch keine konkreten Details zum Transport und der Unterkunft in Sotschi bekannt. Endlich, in den letzten Augusttagen, wurde uns mitgeteilt, dass wir die Flüge nach Sotschi selber organisieren müssen und dass wir weniger als eine Woche dafür Zeit hätten (was sich wieder als Falschinformation herausstellte). Einzig, wenn man am Regionalprogramm teilnehmen würde, müsse man bloss nach Moskau anreisen. Von dort aus könne man dann kostenlos eine Stadt in Russland besuchen. Der Haken dabei war, dass nur eine begrenzte Zahl Personen teilnehmen konnte und die Städtereisen komplett unpolitisch waren. Unsere Delegation entschied sich mit ein paar Ausnahmen, unsere Reise durch Russland auf eigene Faust zu planen. Wir holten unseren ursprünglichen Reiseplan aus der Schublade und buchten unsere Flüge schnellstmöglich. Die Kosten waren inzwischen um fast das Doppelte gestiegen, für die Nichtverdienenden in unserer Gruppe ein grosses Problem! Auch die Beschaffung der Visa stellte sich als kostspielig heraus, auch wenn die Konsulatgebühren für Teilnehmende des Jugendfestivals nicht erhoben wurden.
Gigantische Wohnblocks
Am 14. Oktober flogen wir nach Moskau. Bei der Ankunft am Flughafen Domodedovo, der gut eine Stunde ausserhalb der Innenstadt von Moskau lag, trafen wir bei der Passkontrolle auf die vietnamesische Delegation, die uns zahlenmässig weit übertraf. Sie hatten alle bereits ihre eigenen Uniformen an, später in Sotschi waren sie damit gut unterscheidbar von den restlichen TeilnehmerInnen in Grellgelb. Am Flughafen gab es einen Stand der Weltfestspiele, wo uns die ersten motivierten «Volunteers» in Empfang nahmen und uns das Taxi zur Unterkunft organisierten. Draussen war es kalt, kälter als in der Schweiz, allerdings lagen die Temperaturen noch oberhalb des Gefrierpunkts. Im grossen Taxi, in dem wir alle Platz fanden, wurden sozialistische Lieder angestimmt, während draussen im Dunkeln die gigantischen Wohnblocks von Moskau aus der Sowjetzeit vorbeizogen. «So löst man das Wohnungsproblem», merkte jemand an.
Wir fuhren in den Westen des inneren Moskaus zu einem gepflegten Apartment in einem weniger gepflegten Gebäude, wo der Grossteil der Delegation die zwei Nächte in Moskau verbringen würde. Die Vermieterin des Apartments sprach kein Wort Englisch; sie zückte allerdings ihr Handy und mithilfe einer Übersetzer-App klappte die Verständigung einigermassen. Das Apartment befand sich in der Nähe eines der Strassenringe, die die Grossstadt strukturieren. Mehrere ringförmige Schnellstrassen umgeben, angeordnet wie breite Jahresringe bei Bäumen, das Zentrum Moskaus bis zum äusseren Rand. Gleich an der Ecke erblickten wir einen «Бургер Кинг», einen Burger King. Wir hatten zwar Hunger, wollten aber nicht unbedingt als Erstes in einem US-Fastfoodrestaurant speisen. Auf der anderen Seite der Strasse befand sich ein Einkaufszentrum. Der Prunk, die internationalen Luxusmarken, die kapitalistische Einöde machten hier noch einmal deutlich, dass der Sozialismus aus Russland verschwunden war. Wir fanden einen Supermarkt, wo wir Vorräte kauften und erste Erfahrungen mit der russischen Währung machten.
Auf dem Roten Platz
Am Sonntagmorgen versammelte sich unsere Gruppe vor dem Lenin-Mausoleum auf dem Roten Platz. Es befindet sich an der Kremlmauer, an der eine Vielzahl von sozialistischen Persönlichkeiten begraben liegt, darunter Clara Zetkin, John Reed und auch Stalin. Bevor wir ihnen unseren Respekt zollten, mussten wir aber ein drängendes Problem lösen: Viele von uns hatten noch keine Rubel dabei. Wir machten uns deshalb auf die Suche nach einer Wechselstube. Dabei machten wir die Entdeckung, dass direkt am Roten Platz auch ein Geschäft von Louis Vuitton stand. Ein Sakrileg! Bevor wir Geld wechseln gingen, machten wir noch Halt in einem der unzähligen Cafés. Bei der Rückkehr zum Roten Platz trafen wir Lenin und Stalin höchstpersönlich an, die gerne mit uns ein Foto machen wollten – gegen Bezahlung, versteht sich. Wir wimmelten die Imitatoren ab und reihten uns in die schier endlose Schlange vor der Nekropole an der Kremlmauer ein. An den Denkmälern und Grabplatten standen Namen auf Namen, die meisten für uns nicht identifizierbar, da nur auf Kyrillisch. Schliesslich das Mausoleum: Lenin lag klein und unecht als Ausstellungsstück in seinem gläsernen Sarg. «Kleiner als gedacht» und «entwürdigend» wurde in unserer Gruppe gemurmelt. Zum Ende noch die Büsten der Staatsoberhäupter der Sowjetunion. Sich grinsend mit erhobener Faust neben der Stalin-Büste ablichten zu lassen, war dabei ein beliebtes Fotosujet.
Sozialistische Kunst
Mit der berühmten Moskauer Metro ging’s weiter Richtung Neue Tretjakow-Galerie. «Alle meine Erwartungen sind übertroffen worden. Funktional und simpel und trotzdem schön geschmückt und prachtvoll», meinte ein junger Genosse später in Bezug auf die Metro. In der Galerie konnten wir sowjetische Kunst bewundern: Uns beeindruckte die abstrakte, kubistische Malerei der Avantgarde eines Malewitsch, Rodtschenko, einer Popowa. Die gewaltigen, detailreichen Werke von Chagall, der in den 20er Jahren in der Sowjetunion wirkte, entzückten. Strenger die Bilder des Sozialistischen Realismus; ein Höhepunkt dabei war der übergrosse «Lenin im Smolny» von Isaac Brodski. Gleich bei der Galerie befindet sich der Skulpturenpark, auf dem die ausrangierten Statuen und Denkmäler der Sowjetzeit ihre Rente fristen. Später, als wir noch das Zentralmuseum der russischen Streitkräfte besuchen wollten, mussten wir feststellen, dass es gerade geschlossen wurde. Pech gehabt! Ein paar Leute aus der Gruppe kletterten aber noch am Panzer vor dem Museum herum und zumindest konnten wir einige Militärgeräte der Roten Armee, die im Hinterhof des Museum ausgestellt waren, aus der Ferne betrachten. Den Abend liessen wir in einem echt sowjetischen Restaurant, in dem niemand ein Wort Englisch sprach, bei Borschtsch und Schaschlik ausklingen.
Endlich: Weltfestspiele
Am nächsten Tag ging es weiter nach Sotschi. Endlich würden auch für uns die Weltfestspiele beginnen. Bei der Landung wurden wir ziemlich durchgeschüttelt, da ein starker (und kalter) Wind blies, der einige Tage anhielt. Sotschi hat eigentlich ein subtropisches Klima, das Palmen und viele mediterrane Pflanzen wachsen lässt; durch den Wind war davon nichts zu spüren. Wir kamen in Sotschi an, als das Festival bereits am Laufen war. Der Startschuss für die 19. Weltfestspiele war bereits am Samstag in Moskau, vor unserer Ankunft in Russland, mit einer bunten Karnevalparade gegeben worden. Die offizielle Show zur Eröffnung des Festivals hatte am Sonntag im Olympiastadion stattgefunden. Das Gastgeberland hatte sich dabei mit einer farbenprächtigen Show präsentiert, die Bezug nahm auf Wissenschaft, Technik und Sport. Auch ein Rückblick auf die Geschichte der Festivals fehlte nicht. So wurde daran erinnert, dass Tamara Bunke 1957 an den Weltfestspielen in Moskau teilgenommen hatte. In seiner Ansprache hob der Präsident des WBDJ, Nicolas Papademitriou, die Bedeutung des diesjährigen Festivals hervor. Es finde statt in dem Land, dessen Menschen mit der Oktoberrevolution «vor 100 Jahren die Geschichte der Welt verändert und im Zweiten Weltkrieg den Faschismus besiegt» hätten. Später eröffnete der russische Präsident Wladimir Putin dann offiziell das Festival und rief die Jugend dazu auf, die Welt zum Besseren zu verändern. Politisch blieb er zurückhaltend. Schon hier hatte sich gezeigt, dass, wie die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) treffend bemerkte, in Sotschi zwei Festivals stattfinden würde. Ein internationales Treffen für die kommunistischen und antiimperialistischen Jugendorganisationen und ein kommerzielles Festival für den übergrossen Rest der TeilnehmerInnen. Diese waren auch die Zielgruppe der Eröffnungsfeier und des von staatsnahen Unternehmen wie der Sberbank gesponserten Programms.
«Participants» und «Volunteers»
Aber auch unsere Delegation kam in den Genuss gewisser Annehmlichkeiten, die Russland den Gästen in Sotschi unter Aufwendung vieler Ressourcen bereitstellte. Vom Adler-Flughafen wurden wir mit einem Shuttle-Bus zu unserer Unterkunft im riesigen Hotelkomplex Barkhatnyye Sezony direkt an der Küste des Schwarzen Meers gebracht. Dass der Komplex für die Olympischen Winterspiele 2014 aufgebaut wurde, liess sich an der Bauqualität erahnen. Vieles sah noch jetzt unfertig aus und wird es wohl bleiben. Aber darüber wollten wir uns nicht beschweren, schliesslich waren wir hier kostenlos untergebracht. Uns standen kleine Apartments zur Verfügung mit eigener Küche, die wir zu dritt oder zu viert belegten. Alle Schweizer Teilnehmenden waren in einem Gebäude untergebracht. Uns wurde eine Freiwillige zugeteilt, die uns am ersten Tag bis in den Olympischen Park begleitete. Von ihr erfuhren wir, dass insgesamt 38 Personen aus der Schweiz am Festival teilnehmen würden. Unsere Delegation bestand aus genau einem Dutzend Leute, die in Sotschi endlich alle vereint waren. Wir wunderten uns natürlich, wer diese vielen uns unbekannten Leute waren. Einen Teil davon, wir hatten schon vor dem Festival Kontakt aufgenommen, bildeten die Mitglieder des Tessiner Partito Comunista, darunter auch ihr Chef Max Ay. Beim grossen Rest stellte sich heraus, dass es vor allem unpolitische StudentInnen aus der ganzen Schweiz waren, unter anderem solche, die Osteuropastudien absolvierten.
Vom Hotel aus fuhren regelmässig Busse zum Olympischen Park. Nach dem Check-In im Hotel ging es direkt raus zum Festival. Die Dimensionen waren beeindruckend. Nun wurde uns auch endlich bewusst, wie viele Menschen an den Weltfestspielen teilnahmen.
Die Uniformen wurden mehrheitlich in einem kreischenden Gelb kombiniert mit Lila gehalten. Insgesamt waren sie schön unförmig und genderneutral, damit alle, unabhängig von Geschlecht und Religion, etwas damit anfangen konnten. Die Masse teilte sich auf in die gelben «Participants» und die blau gekleideten «Volunteers», die an jeder Ecke und überall lächelnd herumstanden und versuchten, die TeilnehmerInnen zu animieren. Von den Freiwilligen gab es vermutlich fast so viele, wie es Teilnehmende gab.
Die «Rote Zone»
Der zentrale Treffpunkt für die politisch interessierten FestivalteilnehmerInnen wurde die «Rote Zone» im ersten Stockwerk des Medienzentrums, eines der vier für die Olympischen Winterspiele 2014 erbauten Gebäude. Dutzende Veranstaltungen fanden während dem Festival dort statt. Die Themen reichten von «Prekarisierung und Arbeitslosigkeit der Jugend und wie diese bekämpft werden können» über «Solidarität mit der Kubanischen Revolution und der Widerstand gegen die Wirtschaftsblockade» bis hin zu «Die Rolle der Sowjetunion bei der Bekämpfung des Nazifaschismus». Bei dieser Diskussion waren sich die ZuhörerInnen und RednerInnen einig, dass der sozialistische Staat zum einen Hauptziel der deutschen Aggression, zum anderen aber auch massgebliche Kraft bei der Zerschlagung des Hitler-Faschismus war. Doch die Geschichte werde umgeschrieben und die historische Bedeutung der Sowjetunion in bürgerlichen Ländern revidiert. Dazu werde diese im Sinne der Totalitarismustheorie auf eine Stufe mit Nazideutschland gestellt. Hauptmotiv dafür sei Antikommunismus, denn der erste Staat unter Kontrolle der arbeitenden Klasse solle gerade wegen seines anderen Charakters aus den Geschichtsbüchern getilgt werden. Widerspruch dagegen sei nötig, unterstrich ein Mitglied des russischen Komsomol aus Nowosibirsk, der sich zu Wort meldete. Der Kampf um die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg sei auch darum weltweit eine wichtige Aufgabe der Jugend.
Kritik am Festival
Progressive Kräfte sind jedoch auch damit konfrontiert, dass vielen Menschen Bildung entweder vorenthalten oder der Zugang dazu immer mehr eingeschränkt wird, wie bei der Diskussion «Die Rolle der Jugend im Kampf für Frieden und internationale Solidarität» deutlich wurde. Ein Vertreter der Kommunistischen Jugend Portugals zeigte auf, dass das Schul- und Universitätssystem in seinem Land in einer tiefen Krise steckt: Die Gebäude verfielen und es gebe kaum LehrerInnen. Auch der sogenannte Bologna-Prozess, mit dem europaweit unter anderem die Abschlüsse Bachelor und Master durchgesetzt wurden, diene vor allem den Besitzenden dazu, Wissen zu einer Ware zu machen, um daraus Profit zu schlagen. Der Kampf für gute Bildung sei deswegen auch gegen den Imperialismus gerichtet.
Das Festival gab selber auch Anlass zu Diskussionen unter den JungkommunistInnen und AntiimperialistInnen. Alexander Batow, Mitglied des Revolutionären Komsomol aus Russland, erklärte: «Es wird zwar damit geworben, dass das Festival vom WBDJ ausgerichtet wird, doch tatsächlich ist diese Veranstaltung prorussisch, proimperialistisch und ganz im Sinne der russischen Regierung. Man versucht, dem einen progressiven Anschein zu geben, doch alles hier wird von der russischen Regierung und ihren FunktionärInnen kontrolliert.» Der Unmut über das Festival als Ganzes war auch in unserer Gruppe zu spüren (siehe «In den Händen des Klassenfeindes» auf Seite 9). Zu Recht, neben der Kommerzialisierung und Militarisierung waren die politischen AktivistInnen auch Schikanen durch die Behörden ausgesetzt. Bei der Kontrolle am Eingang wurden persönliche Gegenstände, aber auch harmloses Propagandamaterial konfisziert. Österreichische GenossInnen wurden auf dem Festivalgelände festgehalten, ihre Pässe wurden fotografiert und an unbekannte Stellen weitergeleitet. Grund seien zum einen Sticker der KJ Österreichs mit der Aufschrift «Eat the Rich» inklusive Hammer und Sichel gewesen, zum anderen Flugblätter, auf denen – weniger provokativ – eine Umverteilung des Reichtums gefordert wurde. Auch unsere Delegation war von Konfiskationen betroffen.
Schikane und Reaktionäre
Der schlimmste Vorfall stiess einem Mitglied der Kommunistischen Jugend Serbiens zu. Als er am Flughafen eintraf, wurde er von russischen Beamten abgefangen. Sie zwangen ihn, ein Papier zu unterzeichnen, mit dem er bekundet, Russland gar nicht besuchen zu wollen. Danach drängten sie ihn gewaltsam in eine Maschine nach Belgrad. Ein weiterer Fall ist die Delegation der Sahrauis aus Algerien. Das Flugzeug, mit dem sie anreiste, erhielt keine Landeerlaubnis. Also musste es über Sotschi abdrehen und nach Algerien zurückkehren.
Die Schikanen begannen teils schon mit der Anmeldung zum Festival. Der russische Revolutionäre Komsomol konnte nur 15 Delegierte nach Sotschi schicken. Zwei Wochen vor Beginn der Festspiele wurde ein Grossteil der Interessierten von der Teilnahme ausgeschlossen, in den meisten Fällen grundlos. Es werden politische Motive vermutet. Von der deutschen SDAJ hatten sich 30 Leute angemeldet, am Schluss waren es 13.
Der WBDJ kritisierte selber, dass «reaktionäre Elemente» durch die Anmeldung übers Internet an den Weltfestspielen teilnehmen konnten. Bestätigt war die Anwesenheit von Mitgliedern der israelischen Likud-Partei, der türkischen AKP und Vatan Partisi, der österreichischen FPÖ, Einzelpersonen der «Identitären Bewegung». Der ehemalige Aussenminister im Kabinett von Berlusconi konnte über «Gesellschaft und Weltpolitik» diskutieren. Der russische Faschist Wladimir Schirinowski konnte eine Hetzrede halten, bis er von GenossInnen aus Lateinamerika aus dem Saal vertrieben wurde.
Protest organisiert
Mitte der Woche fand ein erster Höhepunkt für unsere Gruppe statt. 36 kommunistische Jugendgruppen organisierten zusammen eine Veranstaltung, an der die Oktoberrevolution vor hundert Jahren geehrt wurde. Jeannot Leisi, der für die Kommunistische Jugend Schweiz sprach, nutzte die Gelegenheit, um auch zu einer Demo am Freitag aufzurufen. Mit den GenossInnen des Norwegischen Kommunistischen Jugendverbands planten wir einen Protest, der die Entwicklung der Weltfestspiele zu einem Event anprangerte, der von KapitalistInnen und UnterdrückerInnen angeführt wird. «Zum ersten Mal sponsern grosse Banken Bildungsveranstaltungen; organisieren Rüstungskonzerne und multinationale Unternehmen Veranstaltungen, um die Jugend von morgen in die Irre zu führen; nehmen faschistische Organisationen offen an den Weltfestspielen teil und verbreiten ihre gefährliche Ideologie», heisst es im Flugblatt, das am Freitag auf einer Demo durch das Medienzentrum verteilt wurde. In den Tagen davor hatten einige Mitglieder unserer Delegation unermüdlich alle Stände der politischen Organisationen abgeklappert, um sie für die Demo zu mobilisieren. Zu Anfang war das Interesse gross, doch anscheinend setzte der WBDJ bei seinen Mitgliedsorganisationen die Meinung durch, dass wir die Einheit der progressiven Jugend gefährden würden. Wir führten die Demo trotzdem durch. Wir konnten zusätzlich zahlreiche Leute von der türkischen StudentInnenorganisation DÖB, dem Revolutionären Komsomol sowie Gruppen aus Indien und Venezuela zum Mitmachen animieren und zogen mit etwa 50 Leuten durch das Medienzentrum.
Am Samstag flogen wir mit gemischten Gefühlen ab und blieben für eine Nacht in St. Petersburg. Während unserem kurzen Aufenthalt sahen wir den Winterpalast, schlenderten durch den Newski-Prospekt und standen vor dem Panzerkreuzer Aurora, das sich bis heute am Ufer der Newa befindet. Auf dem Weg zum Flughafen fanden wir noch eine riesige Statue von Lenin, das unserer Reise einen würdigen Abschluss verlieh. Alles in Allem wird unser Abenteuer in Russland für uns unvergesslich bleiben.