sit. Nach 17 Tagen auf offener See mit 42 Migrant*innen an Bord legte die Sea-Watch 3 trotz Verbot in Lampedusa an. Matteo Salvini, Innenminister Italiens und Führer der rassistischen Regierungspartei Lega, schäumte vor Wut und nannte das Vorgehen von Kapitänin Carola Rackete einen «kriminellern Kriegsakt» gegen Italien. Die Kapitänin wurde verhaftet, drei Tage später wieder freigelassen. Für die gesamte Crew drohen langjährige Strafen.
«Ich bin für die 42 auf dem Meer Geretteten verantwortlich, und die halten es nicht mehr aus. Ihr Leben kommt vor jedem politischem Spiel». Mit diesen Worten kündigte die 31-jährige Carola Rackete an, dass sie trotz Verbot der italienischen Behörden die Insel Lampedusa ansteuern würde, um den Menschen an Bord das Leben zu retten. Die Besatzung des Schiffs hatte am 12. Juni insgesamt 53 Menschen vor der Küste Libyens von einem Schlauchboot gerettet. 13 von ihnen – Frauen*, Kinder und Kranke – hatten das Schiff schon zuvor verlassen dürfen.
Ist Carola jetzt deswegen eine Heldin? Die Behauptung sei gewagt, dass sie sich selbst nicht als solche sieht und bezeichnet. Sie ist eine junge Frau, die mit Mut und Herz nach ihrem Gewissen sowie ihren Wertvorstellungen von Menschlichkeit gehandelt hat. Sie hat dabei schwerwiegende, persönliche Konsequenzen wie etwa eine längere Haftstrafe in Kauf genommen. Für all dies gebührt Carola Rackete grossen Respekt und Dank.
Vorfall mit einem Patrouillenboot
Kaum an Land wurde Carola von den Sicherheitskräften verhaftet. Die Sea-Watch 3 wurde beschlagnahmt. Kurz vor dem Andocken streifte das Schiff ein kleines Patrouillenboot der italienischen Küstenwache. Der Kapitänin wurde daher auch vorgeworfen, bewusst das Leben der Patrouille in Gefahr gebracht zu haben. Innenminister Matteo Salvini twitterte dazu: «Die Videos des Schiffes, das versucht, das Patrouillenboot zu zerquetschen, sind offensichtlich, niemand kann so tun, als sei nichts geschehen: Das sind Kriminelle. Es ist eine kriminelle Kriegshandlung gegen Italien». Und der Innenminister setze noch einen drauf: «Sie haben ihre Masken abgeworfen, sie sind Kriminelle genauso wie die Menschenhändler*innen, die mit diesem Geld Waffen und Drogen kaufen.» Er fügte hinzu: «Ich glaube an die Justiz und hoffe, dass die Richter beschliessen werden, Kommandantin Carola Rackete im Gefängnis zu lassen», sagte Salvini. Er kündigte an, Carola so rasch wie nur möglich ausschaffen zu wollen, denn sie sei «eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit» Italiens.
In Erfüllung der Pflicht gehandelt
Salvini wurde enttäuscht. Am 2.Juli, drei Tage nach ihrer Haft, wurde der Hausarrest gegen Carola Rackete von der zuständigen Justizbehörde in Agrigent aufgehoben. «Im Urteil der Richterin wird klar festgehalten, dass das Manöver durch die Erfüllung der Pflicht gerechtfertigt war, nämlich die Rettung der sich an Bord befindenden Personen», erklärt Giorgia Linardi, Sprecherin von Sea-Watch an der Pressekonferenz vom 3.Juli in Rom. Angesprochen auf das Manöver und dem Zwischenfall mit dem Patrouillenboot antwortete Linardi: «Es ist klar, dass die Kapitänin 1.5 Meter vor dem Andocken keine andere Wahl hatte, als das Manöver zu beenden». Sie erklärte weiter: «Kapitänin Rackete hatte sich zuvor schon dem Haltbefehl der italienischen Küstenwache widersetzt und somit eine Straftat begangen. Ich frage mich daher, welchen zwingenden Grund es gab, das Schiff wenige Meter vor dem Kai unbedingt stoppen zu wollen.» Linardi sagt somit, dass Carola auch ohne den Zwischenfall verhaftet worden wäre und stellt durch die Blume die berechtigte Frage, welchen Sinn und Zweck die Küstenwache verfolgte. Sie fügte dem starke Worte hinzu, die weitgehend die fremdenfeindliche gesellschaftliche Stimmung und Realität in Italien besonders gut auf den Punkt bringen: «Es gab bei weitem nicht den gleichen Einsatz der Sicherheitskräfte, um jene Menschen am Quai zu stoppen, die über lange Zeit Carola, die ganze Besatzung und die Passagiere auf bestialische Art beschimpften.»
Es wundert daher wenig, dass Rackete nach ihrer Freilassung von Freunden in Sicherheit gebracht wurde und untertauchte. «Es gab einige generelle Drohungen gegen Carola. Deshalb haben wir sie an einen geheimen Ort gebracht. Über ihre weiteren Reisepläne werden wir uns nicht äussern», erklärte die Hilfsorganisation über ihren Sprecher in Deutschland am 4.Juli.
Salvini schäumte vor Wut und tobte. Er nannte das Urteil der Richter*innen «eine Schande» und liess über einen Live-Video auf Facebook verlauten: «Der Platz dieses Fräuleins wäre an diesem Abend das Gefängnis gewesen. Ein Richter hat entscheiden, dass es nicht so ist. Wie dem auch sei, wir werden diese Justiz verändern. (…) Denn das ist kein Urteil, das Italien gut tut, es ist kein Urteil, das für Italien spricht». Nur Blinde können nicht sehen, was für ein Italien Salvini will: Ein Italien, in dem die Rettung von Menschen in Seenot zu einem der schlimmsten Verbrechen wird, das mit zehn Jahren Haft und horrenden Geldbussen bestraft wird.
Die Nase gestrichen voll
«Würden Sie Salvini an Bord einladen?», fragte ein Journalist die Sprecherin von Sea-Watch. Lombardis Antwort: «Ich will daran glauben, dass, wenn der Innenminister an Bord eines unserer Schiffe auf eine Notsituation treffen würde, er der erste wäre, der eine helfende Hand reicht. Wenn er es nicht tun würde, wäre er ein Monster. Warum? Weil es ein instinktiver Akt der Menschlichkeit ist. Es wäre sicher eine Erfahrung, die nützen könnte.» Lombardi beliess es nicht nur dabei: «Wir nehmen zur Kenntnis, dass es sich bei Salvini um eine Person handelt, die uns von morgens bis abends grundlos beleidigt, anstatt seinen Pflichten und Aufgaben nachzugehen. Wir haben davon die Nase gestrichen voll.» Und nach einer kurzen Pause fügte sie unmissverständlich hinzu: «Niemand darf sich erlauben, uns Kriminelle, Menschenhändler*innen, Taxifahrer*innen der Meere oder sonst wie zu nennen, ohne irgendwelche Beweise beizubringen – erst recht, wenn gar die Beschuldigungen von der Justiz widerlegt werden, wie dies jetzt der Fall ist. Ich halte auch fest, dass der Innenminister schweigt und nichts tut, wenn einer Frau die Vergewaltigung durch vier Männer* gewünscht wird.»
Lombardi setzte an ihrer Medienkonferenz in Rom zum Schluss einen richtigen Glanzpunkt. Sie schaute in die Runde der versammelten Journalist*innen und sagte ihnen: «Ich überlasse jedem einzelnen von Ihnen das Nachdenken darüber, dass dieses Land ein Boot mit 40 Flüchtlingen an Bord als grösste und akuteste Gefahr für die innere Sicherheit bezeichnet. Das ist für mich lächerlich, Italien macht sich lächerlich. Immerhin hat der Beschluss der Richterin ein klein wenig Ordnung in der Hierarchie der Normen, aber auch der Würde dieses Landes hergestellt.»
Ein Sieg der Solidarität, aber…
Die Kapitänin der Sea-Watch selbst hat sich erleichtert über ihre Freilassung geäussert. Die Entscheidung der italienischen Richterin sei «ein Sieg für die Solidarität mit allen Menschen auf der Flucht und gegen die Kriminalisierung von Helferinnen und Helfern in vielen Ländern Europas», erklärte die 31-jährige Deutsche in einer ersten Reaktion, die die Hilfsorganisation Sea-Watch per Twitter verbreitete.
Für Rackete und ihre Crew ist die ganze Sache noch lange nicht zu Ende. Kurz nach Redaktionsschluss, am Dienstag, 9.Juli, musste die Kapitänin erneut vor der Staatsanwaltschaft erscheinen. Sie kann weiterhin wegen «Beihilfe zu illegaler Migration», wegen des Touchierens des Patrouillenboots beim Anlegemanöver und wegen «Widerstand gegen ein Militärschiff und Vollstreckungsbeamte» angeklagt werden, was mit bis zu zehn Jahren Haft geahndet werden kann.
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