Am 12. September gab es in Bern die Gelegenheit, sich aus erster Hand über Venezuela zu informieren. Zu Gast war Carolus Wimmer, Leitungsmitglied und «Aussenminister» der Kommunistischen Partei Venezuelas (PCV).
Fast täglich hören oder lesen wir in den bürgerlichen Medien, wie «heruntergewirtschaftet» Venezuela sei, von einer «Migrationskrise», dass Präsident Maduro ein Diktator sei und sein gewaltsamer Sturz nicht ausgeschlossen wird. Die Szenarien ähneln sich: In Chile wurde mit ausländischer Hilfe, vor allem der CIA, die sozialistische Regierung Salvador Allendes destabilisiert, bis hin zu Strassenschlachten und am 11. September 1973 dem Putsch Pinochets, der, egal wie viele Menschen danach ermordet wurden, die Unterstützung der USA genoss.
Militärische Option?
In Venezuela ist es nach den Strassenschlachten im letzten Jahr ruhiger geworden. Doch neben einer von den imperialistischen Staaten initiierten Blockade, wird auch die Frage des Putschs gegen die gewählte Regierung Maduro immer wieder diskutiert; 2017 wurde von US-Präsident Trump die «militärische Option» zur Entfernung Maduros «ins Spiel gebracht»; Anfang September berichtete die «New York Times» von entsprechenden Gesprächen zwischen einzelnen venezolanischen Militärs und VertreterInnen der US-Regierung; am 14. September drohte der Chef der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) mit einer Militärintervention. Für Carolus Wimmer ist das «normaler Klassenkampf»: «Würde uns die Bourgeoisie loben, hätten wir etwas falsch gemacht.»
Aber die Benennung der existierenden Probleme und Selbstkritik sind nötig, sagt der deutschstämmige Venezolaner, gerade auch damit die Unterstützung in der Bevölkerung erhalten bleibt. Nach Einschätzung der PCV ist Venezuela ein kapitalistisches Land mit einer «guten sozialdemokratischen Regierung», der hoch anzurechnen ist, dass sie ihre Politik für die Mehrheit der Bevölkerung trotz des enormen Drucks weiterführt. «Aber die lange Liste von Erfolgen im Gesundheitswesen, bei der Bildung, im Wohnungsbau usw. reicht nicht», sagt Carolus Wimmer. «Solange die wirtschaftliche Macht in den Händen des Privatkapitals bleibt, werden sie versuchen, den politischen Prozess niederzuschlagen.»
Was muss geschehen?
«Die Regale sind wieder voll», sagt Carolus Wimmer, «die Regierung hat eine erfolgreiche Antwort gefunden, vorerst.» Die Wirtschaft muss seiner Meinung nach unabhängiger werden vom Erdöl; dieser Prozess wird aber derzeitig zusätzlich gebremst, weil durch die imperialistische Blockade z.B. Ersatzteile nicht ins Land kommen. Auch wenn die Zahl der Flüchtlinge niedriger ist, als von den bürgerlichen Medien berichtet, die Abwanderung qualifizierter Fachkräfte, der «Braindrain» ist ein Problem, das die Situation weiter verschärft.
In der Landwirtschaft verstärkt sich der Einfluss internationaler Monopole und von GrossgrundbesitzerInnen, anstatt dass die KleinbäuerInnen Land bekommen und bearbeiten können. Noch dazu fehlen den BäuerInnen Saatgut und Zugangsmöglichkeiten zum Markt. Es regt sich Widerstand, die Betroffenen müssen ihre Forderungen selber stellen und die Regierung muss darauf reagieren, fordert der Vertreter der PCV. Seine Partei unterstützt die Bevölkerung in solchen Prozessen. «Das Kapital entmachten ist nötig, z.B. im Finanzsektor.» Banküberweisungen mit dem kapitalistischen Ausland sind derzeit infolge der Blockade schwierig bis unmöglich. «Deswegen sterben Menschen, aber dem Kapitalismus ist das egal.» So wurden beispielsweise sieben Millionen Impfdosen für Kinder bestellt, aber die Bezahlung war nicht möglich und somit auch nicht die Lieferung. Erfahrungen, die aus Kuba bekannt sind. Aber der Aufbau einer eigenen Pharmaindustrie, u.a. mit indischer Hilfe, geht nicht so schnell.
«Als ich diese Reise begonnen habe, gab es Probleme mit dem Transport.» Durch die Angriffe der Konterrevolution letztes Jahr ist viel öffentliches Eigentum zerstört worden, auch Busse. «Und selbst wenn wir die in China neu kaufen können, so schnell werden sie auch nicht geliefert. In erster Linie funktioniert noch der private Busverkehr, unzureichend; es ist nie klar, wann der nächste Bus kommt.» «Wenn die Regierung verkündet, dass sie mit den Eierproduzenten einen Höchstpreis ausgehandelt hat, gibt es am nächsten Tag keine Eier mehr – ein Legestreik der Hennen?», schildert er den Alltag. Der Verlust an Lebensqualität zermürbt. Umso erstaunlicher findet es Carolus Wimmer, dass die Unterstützung des politischen Prozesses in der Bevölkerung anhält, dass es ein solch hohes Bewusstsein gibt. Die Einbeziehung der etwa sechs Millionen VenezolanerInnen, die diese Regierung trotz aller Schwierigkeiten immer wieder wählen, «ist ein entscheidender Punkt für langfristige Lösungen».
Massenorganisationen nötig
Die PCV hat vor den letzten Wahlen im Mai 2018 ein Abkommen mit der regierenden Partei, der PSUV, geschlossen. 18 Vereinbarungen vor allem zu sozialen Fragen waren darin enthalten. In die Regierung sind sie aber nicht eingetreten und bedauern, dass diese zu wenig den Austausch mit ihren Bündnispartnern sucht. Zur Erinnerung, Chávez hatte zu Beginn des Prozesses weder eine Partei noch Massenorganisationen hinter sich; es gab sie entweder nicht, oder es waren «gelbe Gewerkschaften». Mittlerweile wurde die PSUV gegründet und auch unabhängige Gewerkschaften entstehen. «Wir brauchen starke Massenorganisationen, die sich am Kampf beteiligen. Unsere Probleme können wir nur lösen, wenn die imperialistische Einmischung beendet wird.» Gegen die Bedrohung durch USA und OAS muss der Friedenskampf verstärkt werden, sagt Carolus Wimmer. «In allen Bundesstaaten Venezuelas sollten sich Gruppen des COSI bilden und die Bevölkerung muss aktiv werden». Das Komitee für internationale Solidarität und Friedenskampf (COSI) ist Mitglied des Weltfriedensrats. «Venezuela sollte, wie jedes Land, die Möglichkeit haben, seinen Weg selbst zu wählen, das geht nur im Frieden.»
«Die Wahrheit wird verzerrt dargestellt; alternative Medien sind wichtig, werden aber zu wenig gelesen. Die Möglichkeit, euch unsere Lage zu erklären, eure Solidarität, stärkt uns», bedankt sich der Referent. «Bereits im Dezember 1998», ruft er in Erinnerung, «hat die damalige US-Aussenministerin Madeleine Albright verkündet: ‹Wir werden nicht zulassen, dass Chávez die Wahlen gewinnt.› Sie konnten es nicht verhindern. Und es ist ihnen seit 20 Jahren nicht gelungen, daher können wir optimistisch sein».