Gegen das Nothilferegime als repressives «Instrument der Asylpolitik» führen Solidarité sans frontières und die Interessengemeinschaft Asyl SOS Racisme jetzt eine Kampagne. 17 abgewiesene AsylbewerberInnen schilderten geladenen JournalistInnen ihre desolate Situation. Die Reaktionen der bürgerlichen Medien waren bescheiden.
Viele können nicht zurückkehren, weil in ihrem Land weiter Krieg und/oder politische Verfolgung herrschen. Traumatisierte werden nicht unterstützt und behandelt, auch wenn der Psychiater schwere Störungen attestiert. Schlimm sei das ständige Warten und die ungewisse Zukunft, sagt eine junge Tibeterin, deren Gesuch um politisches Asyl abgelehnt wurde, viele litten an Migräne und Depressionen. Alleinstehende, auch Gehbehinderte, wohnen im dritten Stock ohne Lift. Kaum Privatsphäre, mehrere Familien leben in einer Wohnung, ein Schlafzimmer pro Familie, Küche und Bad werden geteilt. Die einzige Toilette ist im Bad, was zu Stress führt. So beschreiben Betroffene aus dem Zentrum Oberbuchsiten im Kanton Solothurn ihren Alltag. Die Wohnungen sind eng und schlecht erhalten, Fotos von BewohnerInnen zeigen auch den Schimmel in Badezimmer und Küche. «Wir wohnen zu fünft in einem Zimmer», so eine Roma und Mutter von drei Kindern. Es gebe oft Streit zwischen den BewohnerInnen. Nicht nur wegen der Toilettenbenützung: «Die Kinder wollen spielen und sind manchmal laut, andere wollen ihre Ruhe haben.» Ein Spielplatz oder ein Spielzimmer für die Kinder steht nicht zur Verfügung.
Schulden für Spitalbesuch
Das Taggeld für den Grundbedarf beträgt neun Franken für Alleinstehende und sieben für Familienmitglieder. Sieben Franken reiche nicht einmal für das Essen aus, stellt eine Studie der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (Skos) fest. Für Bus- und Bahnbillette, Kleider, Toilettenartikel, Windeln und Schulmaterial fehlt das Geld. Transportkosten für Arztbesuche werden zurückvergütet, müssen aber von den Asylsuchenden vorgeschossen werden. Das bedeutet, sie müssen zuerst das Geld für die Fahrt ins Spital oder zum Arzt zusammenbetteln und Schulden machen. Wenn sie überhaupt die Erlaubnis von den medizinisch nicht ausgebildeten Angestellten der Unterkunftbetreiberin ORS bekommen. «So hat etwa ein Angestellter die Symptome eines Schädelbruchs bei einem kleinen Jungen nicht erkannt», erzählt Amanda Joset von Solidarité sans frontières, «die Mutter musste ohne Erlaubnis das Spital aufsuchen, wo sie dafür gerügt wurde, nicht früher gekommen zu sein.»
Bund und Kanton weichen aus
BehördenvertreterInnen wollen die Vorwürfe nicht gelten lassen und verstecken sich hinter Gesetzen und offiziellen Papieren. Menschen mit negativem Asylentscheid sind laut Lukas Rieder vom Staatssekretariat für Migration in ihrem Heimatstaat nicht verfolgt: «Sie können gefahrlos nach Hause zurückkehren – weigern sich aber das zu tun und halten sich somit illegal in der Schweiz auf.» Das Nothilferegime entspreche geltenden Gesetzen. Er will nicht zugeben, dass die Tendenz steigt, Staaten möglichst schnell als sicher zu deklarieren, um Asylbegehren abzulehnen. Es geht auch darum, die von ganz Rechts bis zur politischen Mitte grassierende Fremdenfeindlichkeit zu besänftigen. Auch das Amt für soziale Sicherheit des Kantons Solothurn lässt die Kritik an den Lebensbedingungen im Zentrum Oberbuchsiten nicht gelten und beruft sich auf die Einhaltung der Empfehlungen der Konferenz der kantonalen SozialdirektorInnen.
Auch wenn diese Praxis rechtlich und institutionell gerechtfertigt wird, sie verstösst trotzdem gegen den UN-Sozialpakt, den UN-Zivilpakt und die Schweizerische Bundesverfassung. So verlangt Artikel 12, Recht auf Hilfe in Notlagen: «Wer in Not gerät und nicht in der Lage ist, für sich zu sorgen, hat Anspruch auf Hilfe und Betreuung und auf die Mittel, die für ein menschenwürdiges Dasein unerlässlich sind.» Anwalt Peter Frei weist darauf hin, die Abstufung der Entschädigungen nach Status («normale» Sozialhilfeempfänger/Aufgenommene/nicht Aufgenommene) verstosse auch gegen das Diskriminierungsverbot, Artikel 8 der Bundesverfassung.
Erniedrigende Behandlung
Der Fall des Zentrums Oberbuchsiten im Kanton Solothurn zeigt laut den beiden NGOs, dass die erniedrigende Behandlung der Asylsuchenden mit Nothilfe gegen Grundrechte und die Verfassung verstösst. Der Schaden für die Betroffenen ist erschreckend: Ins Elend getrieben vom Staat, bei dem sie Schutz gesucht haben, leben die Asylsuchenden mit Nothilfe in einem Niemandsland, einer Enklave, in denen die Prinzipien des Rechtsstaates für sie nicht mehr gelten. Dieses System, von den Behörden mit dem expliziten Ziel eingeführt, diesen Menschen das Leben so schwer zu machen, dass sie möglichst rasch wieder verschwinden, muss grundsätzlich in Frage gestellt werden. Deshalb verlangen IG Asyl SOS Racisme und Solidarité sans frontières die Abschaffung des Systems der Not, das die Betroffenen über Jahre hinweg in einer verzweifelten Lage hält – ohne konkrete Perspektive, aus ihr wieder herauszufinden. Weiter sammeln sie auch Unterschriften für die Petition, welche die parlamentarische Initiative «Solidarität nicht mehr kriminalisieren» unterstützt. Diese verlangt von Bundesbern die Anpassung von Art. 6 des Ausländer- und Integrationsgesetzes (AIG) und Schluss zu machen mit der Kriminalisierung von Menschen wie Lisa Bosia und Anni Lanz, die Flüchtenden in irregulärer Situation geholfen haben.
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