Die hohe finanzielle Belastung im Gesundheitsbereich steht weit oben auf dem Sorgenbarometer der Bevölkerung. Überrissene Medikamentenpreise verhindern in Entwicklungs- und Schwellenländern den Zugang zu lebensnotwendigen Therapien, immer häufiger geschieht dies auch in Hochpreisländern wie der Schweiz. Eine Public-Eye-Kampagne zeigt, was Abhilfe schaffen kann.
Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) steht unter Druck: Patienten möchten rasch Zugang zu den neusten Medikamenten, Krankenversicherer weigern sich, die immer höheren Medikamentenpreise zu zahlen, und Pharmafirmen fordern insbesondere für neue Therapien immense Summen. «Kostenbremse im Gesundheitswesen» heisst das Zauberwort, doch wo soll diese ansetzen? Die bisher vom Gesundheitsminister Berset und vom BAG präsentierten Massnahmen beziehen sich vor allem auf Generika und patentabgelaufene Medikamente. Regelmässige Überprüfungen und neue Tarifregelungen sollen zur Kostendämpfung beitragen. Solche Ansätze sind zwar gut, entfalten aber nur marginale Wirkung, denn dreiviertel der Medikamentenkosten via obligatorische Krankenversicherung betreffen patentgeschützte Medikamente, das sind jährlich fünf Milliarden Franken.
Zahnlose BAG-Verhandlungsmodelle
Preiskontrollinstrumente, wie sie vom Bund insbesondere für hochpreisige Medikamente angedacht wurden, funktionieren nicht, denn es stehen sich zwei sehr ungleiche Verhandlungspartner gegenüber: Das BAG will den «korrekten Preis» anhand von «Wirksamkeit», «Zweckmässigkeit» und «Wirtschaftlichkeit» ermitteln. Doch Pharmafirmen legen Forschungs- und Entwicklungskosten nicht offen. Für die Ermittlung der Wirtschaftlichkeit werden Therapiequer- und Auslandpreisvergleiche herangezogen, die jedoch auf künstlich hochgehaltenen «Schaufensterpreisen» und länderspezifischen, nicht transparenten Ra-battsystemen, basieren. Pharmafirmen sind im ent-scheidenden Verhandlungsvorteil und bestimmen den Preis. Angesichts der explodierenden Kosten werden gesellschaftliche Debatten laut rund um die Frage, wieviel ein Menschenleben kosten darf. Doch das ist die falsche Frage, denn exzessive Medikamentenpreise sind kein Naturgesetz, sondern die Folge eines Marktversagens.
Exzessive Gewinnmargen
Der Patentschutz wirkt als Monopolgarantie für deren Eigentümer*in und schliesst andere Marktteilnehmende – etwa Generikaunternehmen – aus. Das ist besonders problematisch bei lebensnotwendigen Produkten wie Medikamenten. Public Eye hat anhand vom Brustkrebsmedikament «Perjeta» detailliert aufgezeigt, wie Roche ihre hochprofitable Monopolstellung ausnutzt. Alleine 2018 hat der Konzern damit über 2,7 Milliarden Franken erwirtschaftet. «Perjeta» wird nur in Kombination mit dem Roche-Krebsmittel Herceptin eingesetzt. Das Westschweizer Fernsehen RTS hat berechnet, dass bei Herceptin nur gerade 15 Prozent des Preises auf die Entwicklungs- und Produktionskosten anfallen und 85 Prozent für Marketing und als Profit bleiben.
Der Pharmasektor macht Gewinnmargen von durchschnittlich 20–40 Prozent, der Nettogewinn von Roche lag 2018 bei 15,98 Milliarden Fr. (28,1 Prozent), derjenige von Novartis bei 12,61 Milliarden US$ (24,3 Prozent). Solche Gewinnmargen belegen: der ursprüngliche Grundsatz des Patentsystems, wonach Patente den Erfindern Exklusivrechte gewähren, diese aber gleichzeitig die Erfindung im öffentlichen Interesse zur Verfügung stellt, ist nicht mehr gegeben.
Wirkungsvolles Gegenmittel
Das internationale Patentrechtsystem (TRIPS-Abkommen) sieht verschiedene Möglichkeiten vor, mit denen in solchen Fällen die Balance zwischen privatem Profitstreben und öffentlichem Gesundheitsinteresse wiederhergestellt werden kann. Eines der Instrumente ist die Vergabe einer Zwangslizenz, die den Vertrieb von Generika trotz bestehendem Patentschutz erlaubt. In Pionierarbeit hat Public Eye Anfang Jahr für den zuständigen Bundesrat Berset eine Vorlage für die Vergabe einer solchen Zwangslizenzen auf «Perjeta» geschrieben. Bei einer Zwangslizenz geht es nicht um eine radikale Forderung, denn das Instrument ist im WTO-Handelsvertrag sowie im Schweizer Patentrechtsystem explizit vorgesehen. Die Zwangslizenz ist an ein Einzelprodukt und ein Land gebunden, und die Patentinhaberin wird nicht enteignet, kann das Patent in andern Ländern also weiternutzen und erhält sogar eine Entschädigung für das Anwendungsgebiet der Zwangslizenz. Nebst der Wirkung im Inland hätte es auch eine globale Signalwirkung, wenn das Pharmaland Schweiz das Instrument der Zwangslizenz nutzte. Andere Regierungen würden motivieren, dasselbe zu tun, und für Millionen von Menschen würde sich der Zugang zu lebensnotwendigen Medikamenten verbessern.
Und was macht Berset?
Wir finden: Heilungschance darf keine Geldfrage sein, weder bei uns noch anderswo: Zu diesem gesundheitspolitischen Grundsatz haben sich letzten September mit der Public Eye-Petition für bezahlbare Medikamente mehr als 33000 Menschen bekannt. Das Recht auf den höchstmöglichen Gesundheitsstandard ist Teil der fundamentalen Menschenrechte, dazu gehört auch das Recht auf Zugang zu lebenswichtigen Medikamenten. Exzessive Gewinnmargen und hohe Dividenden-Ausschüttung hingegen sind weder Menschen- noch Konzernrechte. Gesundheitsminister Alain Berset stellt sich bisher taub, will von Zwangslizenzen nichts wissen und stärkt anscheinend den Pharmafirmen lieber den Rücken, statt ihnen die Stirn zu bieten. Von einem sozialdemokratischen Gesundheitsminister hätten wir etwas mehr Weitsicht erwartet.
Christa Luginbühl ist Mitglied der Geschäftsleitung von Public Eye und hat die Fachleitung zu Gesundheit-Konsum–Landwirtschaft.
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