Wegen grosser Nachfrage gibt es bis Ende September einen «Sommerzyklus» des queer-feministischen Pornographie-Festivals «Schamlos!» in Bern. Geneva Moser war eine der Teilnehmer*innen bei Diskussionen am Festival. Die Autorin und Journalistin doktoriert an der Universität Basel im Bereich Gender Studies und geht im Gespräch mit dem vorwärts auf die Frage von Pornographie und Feminismus ein.
Mainstream-Pornographie hinterfragen und gleichzeitig das queere, politische und subversive Potential dieser Art der Erzählung zu Sexualität und Intimität erforschen, das will das feministische Pornographie-Festival «Schamlos!». Neben Filmen gab es auch Performances, Vorträge, Workshops und Diskussionen. Das Festival «Schamlos!» dauerte vom 30. Januar bis zum 2. Februar 2019 und fand auch in den Räumlichkeiten der Reitschule Bern statt. Wegen grosser Nachfrage gibt es nun auch einen Sommerzyklus, der vom Mai bis in den September hinein dauert und wie bereits im Winter ein abwechslungsreiches Programm in den Sparten Film und Literatur bietet. Veranstaltungsorte sind diesmal oft Open Airs, wo Pornofilme beispielsweise auf dem Gelände eines Wagenplatzes gezeigt werden. «Mit dem Festival möchten wir Mainstream-Pornographie hinterfragen und darüber hinaus das queere, politische und subversive Potential von Pornographie erforschen und uns diese als feministische Praxis zu Nutze machen», so schreiben die Veranstalter*innen.
Kein Zufall
Das Festival soll queer-feministischer Pornographie Raum geben, die eine Vielzahl von Geschlechtsidentitäten, Körperlichkeiten und sexuellen Orientierungen sichtbar macht und dabei neue Formen von Lust, Begehren und Intimität erkundet und lebt.
Die Organisator*innen nutzen Potentiale: «Wir wollen Pornographie, die zum Denken anregt und Empowerment fördert. Wir wollen über Pornographie, Körper, Geschlecht(er), Sexualität(en) diskutieren, uns damit auseinandersetzen, diese Begriffe neu denken, vielfältiger denken, queer denken». Im einführenden Text steht, dass Mainstream-Pornographie abgelehnt wird, weil diese der patriarchalen und kapitalistischen Logik folgt. «Für uns ist Pornographie mehr als ein Mann und eine Frau, die miteinander Sex haben; mehr als die Körper, die wir als schön und normal vorgeschrieben bekommen. Für uns gibt es unzählige Geschlechter, die in unzähligen Körpern auf unzählige Weise miteinander Sex haben und Intimität austauschen können.» Dass gerade heute im Frauen*streikjahr und mit dem Erstarken der Frauen*bewegung solche Themen wieder breiter besprochen werden, ist kein Zufall.
Dass ich gerne dominant bin, ist nicht unfeministisch…
Geneva Moser war eine der Teilnehmer*innen bei Diskussionen am Festival «Schamlos!». Die Autorin und Journalistin doktoriert an der Universität Basel im Bereich Gender Studies. Sie arbeitet als freie Kulturjournalistin, ist Teil der FAMA-Redaktion und Macherin des queer_feministischen Radiomagazins lila_blue(s). Seit September 2018 arbeitet Geneva Moser in der Redaktion der Zeitschrift Neue Wege, die sich mit Entwicklungen in Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kirche kritisch auseinandersetzt. Im Interview mit dem vorwärts geht sie unter anderem ein auf das Verhältnis von Pornographie und Feminismus.
Pornographie wertet die Frau. Es gibt Gruppen in der feministischen Bewegung aus deren Perspektive das Medium Porno per se sexistisch ist. Das Argument: egal wer Pornographie fabriziert, es werden Machtverhältnisse abgebildet. Was denkst du dazu?
Gesellschaftliche Machtverhältnisse wiederspiegeln sich auf mehreren Ebenen. Auf der Ebene der Produktion bedeutet das beispielsweise, dass die etwa drei Milliarden Dollar, die die Pornoindustrie jährlich abwirft, sich auf wenige privilegierte Schultern verteilt. Darsteller*innen arbeiten dagegen häufig unter prekären Bedingungen, setzen sich körperlichen Risiken aus und erleben gesellschaftliche Stigmatisierung. Auf der Ebene der Darstellung sind Narrative, Ästhetik und Figuren häufig sexistisch und rassistisch und nicht selten gewaltvoll: Die Kamera folgt einem männlich-weiss-heterosexuellen Blick, nur bestimmte Körper werden gezeigt – alle anderen sind ein Fetisch … Im Zentrum steht die Lust des Mannes, der Höhepunkt der Szenen ist der Cum-Shot, also die männliche Ejakulation, mit der ein Orgasmus bewiesen werden soll (Oh du fröhliches Joghurtgemisch …). Frauen sind Objekte, die diesem Ziel dienen. Ihre Einwilligung in das Geschehen, geschweige denn ihre Lust ist zweitrangig, oftmals sogar unerwünscht. Und ich spreche hier jetzt nur von jenen Produktionen, die sich im Rahmen der Legalität bewegen… Mainstream Pornos bilden Strukturen ab, die in der Gesellschaft tief sitzen und sich auch in Zeitungsschlagzeilen, Werbeplakaten oder vermeintlich seriöser wissenschaftlicher Forschung finden. Und wie alle kulturellen Produkte produzieren Pornos damit Machtverhältnisse: Sie repräsentieren und konstruieren verkörperte, unbewusste, tief sitzende Fantasien, Vorstellungen und Wünsche. Und das ist genau das spannende: Wenn wir als Menschen mit emanzipatorischen Anliegen, dieses Feld dem hegemonialen Mainstream überlassen, dann gibt es auch keine lustvollen Gegenentwürfe. Pornos, die auf den oben genannten Ebenen von Produktion und Darstellung emanzipatorisch gestaltet werden, können eine aufklärende und empowernde Funktion haben. Pornos zu produzieren, heisst auch, Fantasien zu produzieren. Wenn eine Person mit Vulva in einem Film ejakuliert, dann lerne ich als Zuschauende vielleicht: Vulvas/Vaginas können ejakulieren, Ejakulieren ist okay und vielleicht lustvoll. Wenn zwei oder mehrere Personen im Film eine Praxis von Konsens vorleben, dann lerne ich als Zuschauende vielleicht zu fragen: «Darf ich dich lecken?» Dies stört nicht den Flow, sondern kann sexy sein. Wenn im Film Menschen lustvoll BDSM praktizieren, dann lerne ich als Zuschauende vielleicht: Sex muss nicht genital sein, dass ich Schmerz als lustvoll empfinde, ist nicht verwerflich, dass ich gerne dominant bin, ist nicht unfeministisch…
In der Geschichte der Frauen*bewegung gab es viele pro- und antipornographische Momente. Ende der 1980er Jahre begannen Feminist*innen in der Schweiz, «nicht sexistische Pornographie» selbst herzustellen. Bist du mit diesem Resultat zufrieden, wenn ja warum und wenn nein, warum nicht?
Es ist mir ein grosses Anliegen, die feministischen Vorkämpfer*innen zu feiern. Im gegenwärtigen Aufschwung von Feminismus geht oft vergessen, dass all das nur auf dem Boden möglich ist, den sie bereitet haben – unter wohl viel feindlicherem Gegenwind als heute. Die Kontinuitäten zu betonen, macht auch politisch Sinn: Die Hegemonie profitiert davon, dass Errungenschaften vergessen gehen und jede Generation wieder das Gefühl hat, sie müsste alles neu erfinden. Daher: Sexpositive Salons, queer-pervers-kinky Sexparties, erotische Zines, Porno-Festivals und alternative Pornografie gab es schon, und das ist toll. Und toll ist auch, dass es Aktivist*innen gab, die militant gegen Porno-Kinos protestierten oder sich feministisch mit der Gesetzeslage auseinandersetzten. Auch wenn «wir» heute manches anders machen und sich im neoliberalen Kapitalismus nochmals andere Fragen stellen oder beispielsweise Impulse der Cripple-Bewegung stärker werden – knüpfen «wir» doch an diese Prozesse an.
Das auszuleben, was Lust macht, kann eine feministische Forderung sein. Aber Dinge tun, die Spass machen, ist noch keine feministische Haltung, sondern eine sexuelle Vorliebe. Wo liegt die Grenze zwischen feministischer Botschaft und sexueller Vorliebe oder anders: es gibt auch herkömmliche Pornos mit lesbischen Frauen oder Trans*Menschen als Schauspieler*innen. Es gibt auch zärtliche Szenen in Mainstream-Pornos… aber sie bleiben trotzdem Mainstream-Pornos. Was denkst du dazu?
Diese Grenze zwischen individueller Lust und feministischer Forderung, sollte es sie geben, ist gegenwärtig eine zentrale, scheint mir – und das nicht nur bezüglich Pornos oder Sexualität. Ich sehe sie im Zusammenhang mit der alten feministischen Bestrebung, das Private zu politisieren. Im gesellschaftlichen Kontext patriarchaler Strukturen, die Frauen keine Subjektivität, keine eigene Lust, keine Aktivität, kein Begehren und auch keine Grenzen zugestanden haben (und zugestehen), ist die Forderung nach Selbstbestimmung emanzipatorisch. Das Geschehen in den eigenen vier Wänden, in den Ehebetten des vergangenen Jahrhunderts galt als unpolitisch. Darüber wurde nicht gesprochen, der Staat mischte sich nicht ein, das heterosexuelle häusliche Heim war Herrschaftsgebiet des männlichen Familienoberhauptes. Bei Frauen*, die aus diesem geregelten Rahmen des ehelichen Heims herausfielen, versucht der Staat umso heftiger, die Herrschaft zu übernehmen. Sie wurden zum Politikum. Dass Frauen* sich da verbündeten, dieses private Erleben mitteilten und als Ort der Emanzipation zu nutzen begannen, macht Sinn. Die Fragen «Was will ich eigentlich?», «Was tut mir gut?», «Was will ich nicht?», «Wie wünsche ich mir mein Leben?» etc. haben bis heute politische Relevanz. Gleichzeitig sind sie und ihre Antworten heute hochgradig ökonomisiert: Für jede Frage gibt es das passende Produkt und für jedes Produkt die passende Frage. Aus dieser Logik lässt es sich kaum «ausbrechen», scheint mir. Dazu kommt, dass das Individuum, so kritisch es auch sein mag, sich nicht ausserhalb von Machtstrukturen befindet: Regieren und regiert werden, spielt sich wesentlich im Bereich des individuellen Verhaltens ab.
Wichtig ist mir da, vom individuellen Lustempfinden weg, immer wieder die Fragen zu stellen: Was nutzt uns? Welches auch noch so diffuse und abstrahierte Kollektiv profitiert von meinem Handeln und meinen Forderungen und welches nicht? Welche Strukturen für die Gesellschaft wünsche ich mir? Was ist die Vision, die mein Handeln trägt?
Vorwärts Link: https://www.vorwaerts.ch/theorie-debatte/pornos-die-zum-denken-anregen/