Ralf Streck. Die spanische Botschaft in Bern hat die Unterstützung des Geheimdiensts angefordert, um gegen Katalan*in-nen vorzugehen. Ausspioniert wurden dabei aber auch Schweizer Parlamentarier*innen, wie die brisanten Dokumente beweisen, die dem vorwärts vorliegen.
«Spanien überwacht Schweizer Abgeordnete», empört sich der SP-Nationalrat Mathias Reynard. Er spricht wegen der Spitzelei von «nicht hinnehmbaren Massnahmen», die nur erneut «die Ablehnung jeder demokratischen Debatte über Katalonien (politische Gefangene, Repression gegen das Referendum…) zeigen». Das war Reynards Twitter-Reaktion auf die brisanten Enthüllungen im SonntagsBlick und in der deutschen Onlineplattform Telepolis.
Der Geheimagent in Genf
Veröffentlicht hat Telepolis viele Auszüge aus Dokumentenstapeln, die auch dem vorwärts vorliegen. Sie zeigen, dass Spanien in ganz Europa alles versucht, um Schlagzeilen, Stellungnahmen, Parlamentsdebatten zu Katalonien oder Treffen mit katalanischen Politiker*innen zu verhindern. Reynard geriet als Vorsitzender der parlamentarischen Freundschaftsgruppe Schweiz-Katalonien ins Visier spanischer Überwachung. Deren Gründung sei «eine der auffälligsten Aktionen zur Förderung der separatistischen Agenda in der Schweiz», heisst es in einem Dokument der Botschaft in Bern an das spanische Aussenministerium. Reynard sei ein «Aktivist», der «am extremen linken Rand des Schweizer Sozialismus» verortet wird. Man kommt in der Analyse zum Ergebnis, ihn «nicht anzusprechen», denn das würde ihn nur weiter «anspornen». Er habe sich zuletzt ohnehin verstärkt anderen Themen zugewandt, ist weiter im Dokument zu lesen.
Wer vermutlich hinter der Spitzelei steht, wird in einem Schreiben benannt. Am 25.September 2018 wird es für nötig erachtet, dauerhaft mindestens einen Agenten des Geheimdienstes CNI in Genf anzusiedeln. Der «steigenden Bedeutung» des internationalen Standorts für die katalanische Unabhängigkeitsbewegung müsse begegnet werden. In Genf befindet sich der zweite Hauptsitz der Vereinten Nationen (UN) und die UN werden mit der katalanischen Vertretung ausdrücklich benannt. Diese wurde im vergangenen Sommer erneut in Genf eröffnet. Sie und ihr Leiter Manuel Manonelles waren zentrale Ziele der Spitzelei. Das ist erstaunlich. Im gleichen Schreiben, in dem die CNI-Hilfe gefordert wird, resümiert die Berner Botschaft, dass «keinerlei Aktivitäten» der Vertretung bekannt sind, welche die «Grenzen ihrer Kompetenzen überschreiten» würden.
Gleich nach Madrid gekabelt
Die uns vorliegenden Dokumente weisen auf eine noch viel umfassendere Überwachung hin. So wird im Fall einer in Deutschland lebenden spanischen Journalistin auf einen «Überwachungsbericht 31/01/19» verwiesen, der sich aber nicht im Dossier befindet. Es wurde stark gefiltert, denn diese Dokumente sollten vor dem Obersten Gerichtshof Kataloniens nur den Antrag von Aussenminister Josep Borrell untermauern. Der will die katalanischen Vertretungen in der Schweiz, Deutschland, Frankreich, Italien, Grossbritannien, Irland und den USA schliessen. Dieser Versuch blieb bisher erfolglos. Das Gericht lehnte den Antrag kürzlich ab.
Vor allem wird ohnehin nur seitenlang über harmlose und legale Vorgänge berichtet. Auf vier Seiten wird zum Beispiel eine Podiumsdiskussion vom 13. März 2019 dokumentiert, die anlässlich einer Sitzung des UN-Menschenrechtsrates in Genf über Repression in Spanien stattfand. Die Aussagen der Teilnehmer*innen, wie etwa die des Schweizer Anwalts Olivier Peters, der den inhaftierten katalanischen Aktivisten Jordi Cuixart vertritt, wurden gleich am folgenden Tag mit Fotos nach Madrid gekabelt.
Der «treue Landsmann»
Manuel Manonelles, der katalanische Vertreter in der Schweiz, wurde besonders überwacht. Die spanische Botschafterin Aurora Díaz-Rato beschwerte sich zum Beispiel auch darüber, dass Manonelles von der SP-Ständerätin Liliane Maury-Pasquier offiziell im Schweizer Parlament empfangen wurde. Die Botschafterin nennt es einen «Fauxpas» und spricht von einer «falsch verstandenen Äquidistanz (die uns so viele Probleme bereitet)». Pikant: Informiert vom Besuch von Manonelles wurde sie von einem «treuen Landsmann», der im Parlaments-Sicherheitsdienst arbeitet. In den Dokumenten finden sich auch Ankündigungen, dass Manonelles nach Strassburg fahren werde, um sich mit Mitgliedern des Europarats zu treffen. So wusste die Botschaft in Bern mindestens in zwei Fällen im Voraus, dass er sich unter anderem mit dem deutschen Bundestagsabgeordneten der Linkspartei Andrej Hunko treffen werde. In den Dokumenten der Berliner Botschaft wird er als «Extremist» bezeichnet. Hunko war schon 2011 das Ziel spanischer Spionage. 2011 musste sich dafür der frühere spanische Botschafter in Berlin bei ihm entschuldigen, da der Email-Verkehr zu baskischen Parlamentarier*innen mitgelesen worden war.
Strafanzeige eingereicht
Dem vorwärts erklärte Hunko, er beobachte seit Jahren ein «aggressives Vorgehen» Spaniens auf internationaler Ebene. «Der besondere Skandal bei den veröffentlichen Dokumenten zur Schweiz liegt darin, dass offensichtlich auch auf geheimdienstliche Instrumente zurückgegriffen wurde, die dann auch Abgeordnete anderer Länder betreffen.» Er geht davon aus, dass «meine Kommunikation mit einem katalanischen Vertreter überwacht wurde, da ein geplantes Treffen im Vorfeld an das spanische Aussenministerium übermittelt wurde.» Das sei «zweifellos rechtswidrig». Hunko weist darauf hin, dass der politisch verantwortliche hinter den Vorgängen der spanische Aussenminister Borrell ist, der nun EU-Aussenbeauftragter werden soll. «Man kann nur hoffen, dass das EU-Parlament diese Personalie ablehnt.»
Besonders stark ausgespäht wurde die in Deutschland Marie Kapretz, die seit einem Jahr die katalanische Auslandsvertretung in Berlin leitet. Sie hat nun Strafanzeige wegen «mutmasslicher geheimdienstlicher Agententätigkeit gegen unbekannte Mitarbeiter spanischer Sicherheitsbehörden gestellt» eingereicht. Kapretz wurde noch umfassender als Manonelles ausspioniert. Ihr wurde auch bei privaten Angelegenheiten nachgestiegen. Das geschah zudem mindestens ein halbes Jahr bevor sie die Berliner Vertretung geleitet hat. Und der lange spanische Arm reichte auch bis nach Schottland, wo sogar die Regierungschefin Nicola Sturgeon ein Ziel war. Sogar der Parteitag der Scottish National Party (SNP) wurde überwacht, wie der schottische The National berichtet hat.
Langjährige Haftstrafen drohen
In Katalonien geht man davon aus, dass auch katalanische Exilpolitiker*innen überwacht werden, die wie Anna Gabriel vor der «politischen Verfolgung» nach Genf geflüchtet sind, wie es die frühere Sprecherin der linken CUP dem vorwärts erklärt. In Genf lebt auch die Generalsekretärin der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) Marta Rovira. Ihr wird «Rebellion, Aufruhr und Veruntreuung» vorgeworfen. Ihr und elf weiteren früheren Mitgliedern der katalanischen Regierung und Aktivist*innen wurde dafür bis zum Sommer der Prozess gemacht. Das Urteil steht noch aus.
Die Höchststrafe von 25 Jahren Haft droht hingegen dem inhaftierten ERC-Chef Oriol Junqueras. Von Beweisen für die Gewalt im Rahmen des Unabhängigkeitsreferendums fehlte im Verfahren aber jede Spur, weshalb auch die UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Verhaftung, die sofortige Freilassung der Gefangenen fordert. Die Schweiz, Deutschland, Belgien oder Grossbritannien lehnen ohnehin die Auslieferung katalanischer PolitikerInnen ab.