Hass und Gewalt gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transmenschen (LGBT) sind in der Schweiz Realität. Der Bericht «Hate Crime» zeigt, dass im vergangenen Jahr zwei Angriffe gegen LGBTs pro Woche stattgefunden haben. Die Dunkelziffer dürfte sehr viel höher liegen.
«Als ich über einen anderen Weg nach draussen wollte, knallte es plötzlich und dann weiss ich bloss noch, dass ich heftige Schmerzen im Gesicht hatte und die 112 gewählt habe. Durch die Notrufstelle wurde auch die Ambulanz aufgeboten, welche mich ins Spital zur Kontrolle fuhren.» Dies meldete eine anonyme Person der LGBT+-Helpline, als sie zum Opfer eines Hassdelikts wurde.Die Schweiz erfasst bislang keine Daten zu homo-, bi- oder transphob motivierten Straftaten. Entsprechend sind Ausmass und Umstände von diesen Hassdelikten in der Schweiz unbekannt. Das Ziel des Projekts «Hate Crime» mit ihrer LGBT+-Helpline ist, aus einer Dunkelziffer eine Faktenlage zu machen. Das Projekt wurde als Zusammenarbeit verschiedener LGBT-Organisationen der Schweiz lanciert, darunter Pink Cross, LOS und TGNS.
Alle Hassdelikte untergraben die Würde und den Wert eines Menschen, der bestimmten diskriminierten Gruppen angehört, und verursachen direkt Leiden und Schäden. Sie führen nicht nur zu psychischen und physischen Schäden der Opfer, sondern fördern auch gesellschaftlichen Hass und Gewalt und bedrohen das Zusammenleben. Hassreden aufgrund von «Rasse, Ethnie oder Religion» werden im Schweizerischen Strafgesetzbuch geahndet. Sexuelle Orientierung, Geschlechtsidentität und Geschlechtsausdruck fehlen bislang als Kategorien, wodurch eine Strafverfolgung nicht möglich ist.
Es besteht Handlungsbedarf
Verlässliche Zahlen zu homo-, bi- und transphob motivierten Delikten, inklusive Diskriminierungen, wären eine Grundlage, um darlegen zu können, ob der Schutz von LGBT-Personen weiter verbessert werden muss. Denn die offizielle Schweiz befindet sich in der trügerischen Annahme, solche Angriffe auf LGBT-Personen fänden nicht statt. Die Erfahrungen der am Projekt beteiligten Organisationen zeigten bereits vor Projektstart, dass homo-, bi- und transphob motivierte Straftaten, inklusive psychische, physische und sexuelle Gewalt, auch in der Schweiz vorkommen. Werden die Vorfälle der Polizei angezeigt, erfasst sie diese nicht explizit als Hassdelikte, die aufgrund der sexuellen Orientierung, der Geschlechtsidentität oder des Geschlechtsausdrucks des Opfers verübt wurden. Zahlen zu homo-, bi- und transphoben Straftaten waren daher keine bekannt.
Der Bericht zeigt, dass definitiv ein Problem vorliegt. Die Daten des Projekts «Hate Crime» verdeutlichen, dass das Problem der homo-, bi- und transphob motivierten Straftaten, inklusive Diskriminierungen, in nicht vernachlässigbarem Ausmass vorhanden ist und entsprechend Handlungsbedarf, auch auf politischer Ebene, besteht.
Der Bericht stützt sich auf die Meldungen im Zeitraum eines Jahres. Insgesamt wandten sich dabei etwa 100 Personen an die Helpline. Während der Laufzeit der Plakatkampagne, mit der von November 2016 bis Januar 2017 auf das Angebot aufmerksam gemacht wurde, wurden allerdings deutlich mehr Fälle registriert. Dies legt nahe, dass ein explizites Ansprechen von LGBT-Personen und ein Ermuntern, Hassdelikte, inklusive Diskriminierungen, zu melden, die Anzahl der bekannten Vorfälle erhöht. Entsprechend kann davon ausgegangen werden, dass die Dunkelziffer hoch ist.
Oftmals physische Gewalt
«Ein junger Autofahrer beschimpfte meine Freundin und mich durch das offene Autofenster als Scheisslesben. Wir hielten uns an der Hand und überquerten den Zebrastreifen, er musste warten und stand auf den Tramgleisen.» Es sind vorwiegend die Strasse und der öffentliche Raum, wo die Hassdelikte stattfinden. Doch auch Gewalt, Hass und Diskriminierungen in Schulen, am Arbeitsplatz, Institutionen des Gesundheitsbereichs, Behörden, aber auch Zuhause sind häufig gemeldet worden. Das alltägliche Lebensumfeld von LGBT+-Menschen ist immer noch kein sicherer Ort für diese. Meist sind solche Angriffe auf die Person subtiler als jene auf der Strasse, jedoch nicht weniger verletzend.
Die grösste Zahl der Meldungen betraf Beleidigungen und Beschimpfungen. Doch auch das Ausmass an physischer Gewalt und der Androhung von Gewalt war mit je einem Drittel der Meldungen sehr hoch. In dem gemessenen Zeitraum wurde sogar ein Fall von Verwundung durch eine Waffe gemeldet.
Nutzlose Polizei
Von den erfassten Vorfällen wurden nur 19 Prozent der Polizei gemeldet. Das erstaunt insofern, als es sich teilweise um sehr schwere Verletzungen und Angriffe handelt. Die Betroffenen nannten dabei immer wieder fehlendes Vertrauen in die Polizei oder Unwissen darüber, dass die Tat überhaupt strafrechtlich relevant ist: «Wir waren erstmal froh, körperlich unbeschädigt in Sicherheit zu sein. Danach haben wir bemerkt, dass wir überhaupt keine handfesten Beweise haben, die uns bei den Behörden irgendwie weiterhelfen könnten», berichtete ein Opfer. Wurde der Vorfall gemeldet, wurde in weit weniger als der Hälfte die Polizei als hilfreich wahrgenommen. Bei mehreren Vorfällen reagierten die PolizistInnen mit Ablehnung oder Herablassung und in einem Fall hat das Opfer die Reaktion der Polizei als Beleidigung wahrgenommen.
Bei den Opfern fiel auf, dass eine Überzahl an Meldungen von Männern gemacht wurden, dass aber auch ein Fünftel der Meldungen Transmenschen betreffen. Unter Beachtung der Überzahl von Meldungen von Männern, deutet dies darauf hin, dass grundsätzlich Transmenschen stärker gefährdet sein könnten als homo- und bisexuelle Cis-Menschen.