Obwohl die Bundesverfassung die Bewegungsfreiheit garantiert, wird dieses Recht immer stärker eingeschränkt für Personen, mit einem unsicheren oder irregulären Aufenthaltsstatus.
«Jeder Mensch hat das Recht auf persönliche Freiheit, insbesondere auf körperliche und geistige Unversehrtheit und auf Bewegungsfreiheit.» So steht es in Artikel 10 der Bundesverfassung. Die Bewegungsfreiheit figuriert dort im Kapitel über die fundamentalen Rechte. Das bedeutet, dass sie – theoretisch – ausnahmslos für alle gelten müsste. Jedoch haben die Behörden auf eidgenössischer, kantonaler und kommunaler Ebene seit Jahrzehnten ständig neue Massnahmen und Verfahren geschaffen, die diese Freiheit oft drastisch für einen Teil der Bevölkerung einschränken: Für Personen mit einem unsicheren oder irregulären Aufenthaltsstatus.
Halbgefangenschaft
Es ist heutzutage augenscheinlich, dass Europa kein gastfreundliches Terrain ist. Die Zeitungen, die regelmässig über neue Tote im Mittelmeer berichten, erinnern uns daran, dass nur tödliche Wege offen stehen für Personen, die in der Festung Europa Zuflucht suchen wollen. Man vergisst hingegen leicht, dass diese gefährlichen Routen nur eine Etappe und nicht das Ende der Probleme für die MigrantInnen sind. Ist die Überfahrt einmal geschafft, bricht die tägliche Gewalt einer Asylpolitik über sie hinein, die auf Misstrauen, Kriminalisierung, Zurückweisung und Isolierung beruht. Eine erste Hürde in der Schweiz für Personen, die einen Asylantrag stellen wollen, ist das Empfangs- und Verfahrenszentrum (EVZ). Neben der Isolierung, die bereits durch den Standort von gewissen EVZs erfolgt, ist die restriktive Reglementierung der Ausgangszeiten (die BewohnerInnen der Zentren müssen um 17 Uhr zurück sein) eine unverhältnismässige Massnahme, die die Bewegungsfreiheit der AsylbewerberInnen einschränkt. Das jedenfalls geht aus einem Rechtsgutachten hervor, das letzten Februar vom Kompetenzzentrum für Menschenrechte der Universität Zürich ausgestellt wurde. Auftraggeberin war die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus. Zahlreiche Beispiele bezeugen die Absurdität dieser Reglementierungen; unter anderem wurde ein Mann mit einem Tag Freiheitsentzug sanktioniert, weil er zu spät in die Kaserne von Les Rochat (VD) zurückgekehrt war. Er war im Spital bei seiner Frau gewesen, die ihr erstes Kind zur Welt brachte.
Mit der Neustrukturierung des Asylbereichs, der Eröffnung von neuen Bundesasylzentren, die geografisch sehr isoliert sind, sowie der Schaffung von Ausreisezentren und Zentren für «renitente AsylbewerberInnen» wird sich dieses Regime der Halbgefangenschaft weiter verstärken.
18 Monate in Haft
Für abgewiesene Asylsuchende bedeutet der weitere Verlauf vor allem Zwangsmassnahmen. Als äusserstes Mittel des Freiheitsentzugs wurde 1986 die Administrativhaft vor der Rückschaffung eingeführt für einen maximalen Zeitraum von dreissig Tagen. Die Haftdauer wurde in der Folge immer weiter auf 24 Monate erhöht, bis mit dem Eintritt der Schweiz in den Schengenraum die Behörden gezwungen waren, sie auf 18 Monate zu beschränken. Seit dem 1. Januar 2011 ist dies der Fall. Wird eine Person ohne gültigen Aufenthaltsstatus von der Polizei kontrolliert, kann sie zur Feststellung der Identität oder der Eröffnung einer Verfügung im Zusammenhang mit ihrem Aufenthaltsstatus bis zu drei Tage festgehalten werden. Während der Vorbereitung des Entscheides über ihre Aufenthaltsberechtigung kann die Person weiter bis zu sechs Monate in Haft genommen werden (Vorbereitungshaft). Gibt es einen Weg- oder Ausweisungsentscheid folgt, die Ausschaffungshaft zur «Sicherstellung des Vollzugs». Ist eine Anordnung der Ausschaffungshaft nicht zulässig, kommt die Durchsetzungshaft zum Zug. Es gibt verschiedene Bedingungen für die Haft. Oft wird deren Erfüllen aber ungenügend überprüft oder Sachverhalte werden so interpretiert, dass sie den Bedingungen gerecht werden. So kommt es willkürlich zu Verhaftungen und Haftstrafen. Ausschaffungshaft wird beispielsweise angeordnet, obwohl eine Ausschaffung nicht möglich ist.
Wenige Leute wissen, dass in der Schweiz gewisse Personen mehrere Monate im Gefängnis bleiben müssen, ohne das geringste Verbrechen begangen zu haben und ohne ein Gerichtsverfahren. 2016 war dies der Fall für 4,6 Prozent der Personen, die sich in der Schweiz in Haft befanden. Und in den nächsten Jahren wird man verstärkt auf dieses Mittel zurückgreifen, weil die letzte Revision des Asylrechts die Verdoppelung der Zahl der Administrativhaftplätze vorsieht; besonders Genf soll zu «Ausschaffungsdrehscheibe» der Westschweiz werden.
Ein- und Ausgrenzungen
Von 1994 bis 1995 sind andere Zwangsmassnahmen zur Administrativhaft hinzugefügt worden: Die Behörden können einer Person verbieten, ein Gebiet zu betreten (Ausgrenzung) oder ein Gebiet zu verlassen (Eingrenzung). Seit der Einführung von finanziellen Sanktionen (Leistungseinstellung) durch den Bund in den Kantonen, die nicht eifrig genug waren, das Dublin-Abkommen umzusetzen, haben mehrere Kantone massiv auf diese Massnahmen zurückgegriffen. Im Kanton Zürich grenzen die Behörden die Asylsuchenden fast systematisch auf das Gebiet einer Gemeinde ein und verhindern damit, dass sich diese in die Stadt Zürich begeben können, wo sich der Grossteil der Solidaritätsstrukturen befinden. Die Gefängnisstrafe, mit der man rechnen muss, wenn man die Zuweisung nicht einhält, beläuft sich auf bis zu drei Jahren. Auch im Kanton Waadt wenden die Behörden die Eingrenzung an, auch um den Widerstand der lokalen Hilfsorganisation Collectif R gegen die Dublin-Rückschaffungen zu brechen. Wenn sich die Menschen in der Waadt, die von der Rückschaffung bedroht sind, nicht mehr in der Kirche Mon-Gré Zuflucht finden können, kann das Collectif R nicht mehr ihren Schutz gewährleisten.
Laut und deutlich anprangern
In der aktuellen Zeit lässt die politische Instrumentalisierung von Menschen, die in die Schweiz flüchten, bestimmte Leute vergessen, dass die fundamentalen Rechte, die die Verfassung garantiert, für alle gleichermassen gelten. Die Tatsache, dass eine Kategorie von Menschen systematisch weggesperrt und unterdrückt werden, ist inakzeptabel und muss laut und deutlich angeprangert werden. Genau dies wollen Organisationen wie Solidarité sans frontières anlässlich des nationalen Tages gegen die Zwangsmassnahmen am 2. September machen (mehr Infos). Wie bereits Bertolt Brecht sagte: «Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht.»