Die Akademikerin Nuriye Gülmen und der Lehrer Semih Özakca befinden sich seit etwa hundert Tagen im Hungerstreik. Sie kämpfen für ihre Arbeit und Würde und gegen die mittels Notstandsgesetzen durchgesetzten Massenentlassungen von fortschrittlichen Staatsangestellten.
Nuriye Gülmen und Semih Özakça sind seit etwa hundert Tagen im Hungerstreik. Bis zu dem Tag, an dem sie aus dem Staatsdienst entfernt wurden, hatten beide ein einwandfreies Führungszeugnis. Sie Akademikerin, Dozentin für Literatur, er Grundschullehrer. Nicht gerade Berufszweige, denen der Ruf anhängt, staatsgefährdend zu sein.
Im Rahmen der Säuberungswelle, mit der Erdogan die Türkei überzieht, wurden Nuriye Gülmen und Semih Özakça wie hunderttausend andere mittels Notstandsverordnung aus dem Staatsdienst entfernt. Das Dekret, durch das Semih Özakça seine Arbeit als Grundschullehrer verlor, wurde am 29. Oktober 2016 verkündet. Die Literaturdozentin Nuriye Gülmen hatte gleich nach Ausrufung des Ausnahmezustands per Dekret ihre Stelle verloren. Wer seine Arbeit per Dekret verliert, steht von einem Tag auf den anderen vor dem Nichts. Eine neue Arbeit zu finden, ist so gut wie unmöglich. Wer einmal seine Stellung verliert, wer einmal in Ungnade gefallen ist, der bekommt auch keine andere Chance. Es heisst, man könne dann nicht einmal mehr Tankwart werden.
Bedrohte Gesundheit
Die Literaturdozentin Nuriye Gülmen hat am 9. November 2016 in Ankara vor dem Menschenrechtsdenkmal einen Sitzstreik begonnen und lauthals die Rückgabe ihrer Arbeit gefordert. Tagtäglich sass sie dort und rief ihre Forderung den Vorbeigehenden zu. Während ihrer Aktion wurde sie unzählige Male festgenommen. Zuletzt begann sie mit Semih Özakça zusammen einen Hungerstreik. Am 23. Mai, dem 76. Tag des Hungerstreiks, wurden beide verhaftet. Jetzt sind sie im Gefängnis. Sie im Frauengefängnis, er im Gefängnis Nummer 1 in Sincan. Und doch sind sie immer noch im Hungerstreik. Gegen beide wurde ein Verfahren eröffnet, in dem bis zu zwanzig Jahre Haft gegen sie gefordert wird. Man beschuldigt sie der «Verletzung des Versammlungsrechts, der Verletzung des Demonstrationsrechts», beide während des Ausnahmezustands aufgehoben, «der Mitgliedschaft in einer Terrororganisation und der Propaganda für diese».
So schnell geht das in der Türkei. Vor ein paar Monaten noch Grundschullehrer und Dozentin für Literatur werden sie jetzt per Strafverfahren zu «TerroristInnen» erklärt. Es gibt Zeiten in denen ein Land zu einem Willkürregime mutiert, in denen werden dann auch Grundschullehrer und Literaturdozentinnen zu «TerroristInnen». Die Gesundheit der beiden Hungerstreikenden ist mittlerweile ernsthaft gefährdet. Ihre Forderungen müssen sofort erfüllt werden, denn ihr Leben ist in höchster Gefahr! Ihnen gehört unsere Solidarität.