Die Entstehung und Entwicklung des Völkerrechts wäre ohne den Roten Oktober undenkbar gewesen. Das Völkerrecht ist eine Waffe der Völker gegen imperialistische Kriegspolitik und geht auf das leninsche «Dekret über den Frieden» zurück.
Der Nährboden, aus dem die demokratischen Grundsätze des Völkerrechts hervorgegangen sind, war die Grosse Sozialistische Oktoberrevolution. Die Aussaat begann 1917, die Ernte – in universeller Breite – um 1945. Gleich zu Beginn der Oktoberrevolution entstand als Programm des modernen Völkerrechts das leninsche «Dekret über den Frieden». Es beruht auf der Anerkennung der Gleichheit und Souveränität aller Völker der Welt und ihrem Recht auf Leben, auf ein von ihnen selbst bestimmtes menschenwürdiges Dasein. Wenige Tage später, Mitte November 1917, wurde vom Rat der Volkskommissare die «Deklaration der Rechte der Völker Russlands» erlassen. Durch diese Deklaration wurde die Sowjetrepublik Russland als Föderation von Sowjetrepubliken konstituiert und das zukünftige Völkerrecht programmatisch fixiert: Friede ohne Annexionen und Kontributionen auf der Grundlage der freien Selbstbestimmung der Nationen.
An die Völker und Regierungen
In diesem historischen Augenblick errichtete zum ersten Mal ein Volk – geführt von der ArbeiterInnenklasse und ihrer kommunistischen Partei – seine Herrschaft; das Proletariat konstituierte einen Staat. Dadurch war es in der Lage, sich hinsichtlich der Lösung entscheidender Grundfragen des zwischenstaatlichen Lebens an die unterdrückten Völker selbst zu wenden. Gleichzeitig konnte nicht ignoriert werden, dass es der Sowjetstaat in den internationalen Beziehungen real mit den KapitalistInnen zu tun hatte, die jene Völker beherrschten. Lenin erklärte entsprechend auf dem Sowjetkongress im November 1917: «Unser Aufruf muss sowohl an die Regierungen als auch an die Völker gerichtet werden. Wir können die Regierungen nicht ignorieren, denn das würde die Möglichkeit des Friedensschlusses hinauszögern (…). Wir haben jedoch nicht das geringste Recht, uns nicht auch zugleich an die Völker zu wenden. Überall bestehen Gegensätze zwischen Regierungen und Völkern, und deshalb müssen wir den Völkern helfen, in die Fragen des Krieges und des Friedens einzugreifen.»
Gescheiterte Isolierungspolitik
Der Sowjetstaat begann unmittelbar nach seiner Konstituierung mit der Verwirklichung der aussenpolitischen Grundsätze. In der ersten Woche nach dem Sieg der Oktoberrevolution kündigte die Sowjetregierung die Veröffentlichung der zaristischen Geheimverträge an, annullierte die von den imperialistischen Mächten mit dem Zaren geschlossenen Verträge zur Ausraubung und Unterdrückung Persiens, der Türkei und Chinas und anerkannte die Unabhängigkeit Finnlands. Nach der Zerschlagung der ausländischen Intervention und der inneren Konterrevolution erlitt die westliche Isolierungspolitik eine schwere Niederlage. Die Entente – Grossbritannien, Frankreich, Italien, Belgien und Japan – sah sich gezwungen, den Sowjetstaat zur Teilnahme an einer gesamteuropäischen Wirtschafts- und Finanzkonferenz nach Genua einzuladen. So erschien der erste proletarische Staat im April 1922 erstmalig als gleichberechtigter Teilnehmer einer internationalen Konferenz. Ziel für die damals acht Sowjetrepubliken war die gleichberechtigte Zusammenarbeit vor allem auf dem Gebiet des Handels sowie die Normalisierung der Beziehungen zwischen den kapitalistischen Staaten und der Sowjetmacht. Die führenden Entente-Länder reagierten auf der Konferenz zwiespältig. Einerseits bekannten sie sich zu völkerrechtlichen Gleichstellung beider, sowohl des kapitalistischen wie des sozialistischen Eigentumssystems. Andererseits unternahmen sie massive Erpressungsversuche: Sie forderten praktisch die Wiederherstellung der Herrschaft des ausländischen Kapitals. Schon in diesem Fall versuchten die ImperialistInnen durch kollektiven Druck, die staatliche Anerkennung der Sowjetrepubliken als Werkzeug für die interventionistische Erpressung zu behandeln.
Gleichberechtigung und Anerkennung
Das Lippenbekenntnis der ImperialistInnen zur Gleichberechtigung der beiden Eigentumssysteme war ideologisch allerdings eine Niederlage der Interventionspolitik. Da die Konferenzerklärung eine gewisse Verbindlichkeit besass, wurde es ein nutzbares Element im Kampf um die Durchsetzung des Völkerrechts. Die imperialistischen Kreise mussten von der gescheiterten militärischen zur politisch-ökonomischen Intervention umschalten. Es «sind die allgemeinen Verhältnisse der Weltwirtschaft, die sie zwingen, mit uns Beziehungen aufzunehmen», kommentierte Lenin damals. Wir «haben durchaus keinen Hehl daraus gemacht, dass wir als Kaufleute dorthin gehen, weil wir den Handel mit den kapitalistischen Ländern (…) unbedingt brauchen, und dass wir zu dem Zwecke dorthin gehen, um möglichst richtig und vorteilhaft die politisch angemessenen Bedingungen dieses Handels zu erörtern, und weiter nichts». In diesem Sinne erklärte der sowjetische Delegationsleiter Tschitscherin in Genua, man sei nicht anwesend, um Propaganda zu betreiben, «sondern um in geschäftliche Beziehungen mit den Regierungen und den Handels- und Industriekreisen aller Ländern auf der Grundlage der Gegenseitigkeit, der Gleichberechtigung und der vollen und bedingungslosen Anerkennung einzutreten».
Geburtsurkunde des Völkerrechts
Die sowjetische Deklaration an der Genua-Konferenz enthielt bereits die wichtigsten Prinzipien für ein Völkerrecht, wie es zur Regelung der internationalen Beziehungen von Staaten mit unterschiedlichen sozioökonomischen Strukturen in der Übergangsperiode historisch notwendig war und sein wird. Hier wurde auch zum ersten Mal die Kardinalfrage des neuen Völkerrechts aufgeworfen und die Pflicht aller Staaten zum Abbau der Rüstungen proklamiert: Die «Bürde des Militarismus» sollte erleichtert werden, indem die «Armeen aller Staaten eingeschränkt und die Regeln der Kriegsführung durch das vollständige Verbot der barbarischsten Formen des Krieges wie der Giftgase, des Luftkriegs und anderer Mittel, besonders der Anwendung der gegen die zivile Bevölkerung gerichteten Zerstörungsmittel, ergänzt werden». Beim damaligen Stand des Kräfteverhältnisses liessen sich diese Forderungen nicht unmittelbar durchsetzen, doch war an dieser Konferenz in Genua ein konkretes Programm von friedensfördernden internationalen Verhaltensregeln in aller Öffentlichkeit als eine von den Völkern zu bewältigende historische Aufgabe aufgestellt worden. Zusammen mit dem Leninschen Friedensdekret von 1917, auf dem es beruht, wurde das Dokument zur Geburtsurkunde des geltenden Völkerrechts.
Demokratisch statt imperialistisch
Die sowjetische Führung war sich darüber klar, dass die von ihr in Angriff genommene Aufgabe einer prinzipiellen Erneuerung der internationalen Beziehungen nur in dem Mass gelingen konnte, in dem die Zerrüttung der Imperialismus weiter voranschritt, das heisst, das internationale Kräfteverhältnis sich weiter zugunsten der antiimperialistischen Kräfte veränderte. Es ging um nichts Geringeres als um die Beseitigung des «Rechts» auf Aggression, Annexion, Kolonialismus, nationale Unterdrückung und Krieg; es ging um die Ersetzung des imperialistischen Völkerrechts durch ein allgemein demokratisches. Diese Umgestaltung war nur erreichbar durch die Mobilisierung und die Zusammenarbeit aller objektiv antiimperialistischen Kräfte mittels eines ihre gemeinsamen Interessen erfassenden Programms. Das konnte nur ein Programm realer Friedenssicherung auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts aller Völker und der Souveränität und Gleichberechtigung aller Staaten sein. In Tschitscherins Dokument wurde auch der Antikolonialismus, die volle Gleichberechtigung der bisherigen Kolonialvölker, als Prinzip eines neuen Völkerrechts proklamiert.
Völkerrecht der Übergangsperiode
Lenin wies VertreterInnen der sektiererischen Auffassung, eine von imperialistischen Mächten umgebene sozialistische Republik dürfte überhaupt keine Verträge schliessen, mit der Bemerkung zurück, eine solche könne «nicht existieren, es sei denn auf dem Mond». Er machte aber klar, dass die Prinzipien eines demokratischen Völkerrechts der Übergangsperiode nicht mit den Verhaltensregeln einer nach dem Sieg der sozialistischen Revolution in allen Ländern heranreifende kommunistische Weltgesellschaft verwechselt werden dürfe. Es handle sich vielmehr um das Programm mit dem Ziel einer möglichst friedlichen Übergangsperiode von konkurrenzierenden, antagonistischen Gesellschaftsordnungen, zu dessen Durchsetzung die KommunistInnen verpflichtet seien, selbst wenn nur «ein Zehntausendstel Chance» dabei besteht. Der Geschichtsprozess würde in der historisch konkreten Situation begründete Kompromisse verlangen, dass aber opportunistische, verräterische Kompromisse zu brandmarken seien. Bei der vollen Souveränität der Sowjetrepubliken hörte in Genua zum Beispiel Lenins Bereitschaft zu «kaufmännischen» Kompromissen bedingungslos auf.
Lebensfrage des Proletariats
Nach Lenins Analyse geht die Entwicklung des Kapitalismus höchst ungleichmässig in den verschiedenen Ländern vor sich. «Daraus die unvermeidliche Schlussfolgerung: Der Sozialismus kann nicht gleichzeitig in allen Ländern siegen.» Der Sowjetstaat ging von vornherein von einem langfristigen Nebeneinander von Staaten verschiedener Eigentumsordnung aus. Ein «Revolutionsexport», eine Intervention des sozialistischen Staates zur künstlichen Beschleunigung der Revolution, steht ausser Frage. Lenin schrieb gegen die «linken» KommunistInnen: «Eine solche ‹Theorie› wäre ein völliger Bruch mit dem Marxismus, denn dieser hat stets das ‹Anpeitschen› von Revolutionen abgelehnt, die sich in dem Masse entwickeln, wie die Klassengegensätze, die Revolutionen hervorrufen, immer grössere Schärfe gewinnen. Eine solche Theorie wäre gleichbedeutend mit der Auffassung, der bewaffnete Aufstand sei eine Kampfform, die stets und unter allen Umständen obligatorisch wäre.»
Schon Engels schrieb 1882: «Das siegreiche Proletariat kann keinem fremden Volk irgendwelche Beglückung aufzwingen, ohne damit seinen eigenen Sieg zu untergraben. Womit natürlich Verteidigungskriege verschiedener Art keineswegs ausgeschlossen sind.» Für das Proletariat ist der Verzicht auf Intervention, Aggression und Annexion eine Selbstverständlichkeit und die Sicherung davor eine Lebensfrage. Die Forderung des völkerrechtlichen Verbots der Androhung und Anwendung von Gewalt und der Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten ergibt sich daraus von selbst. Das schliesst die Verneinung und Verdammung des «Rechts zum Krieg» ein, von dem das imperialistische Völkerrecht ausging. Das schliesst die Verpflichtung aller Staaten zur kollektiven Sicherung des Friedens ein und daher das individuelle und kollektive Recht jedes/r Einzelnen zur Abwehr von Gewalt und zur Selbstverteidigung.
Der junge Sowjetstaat erlebte die Gewalttätigkeit der AusbeuterInnen, die das Proletariat in den Ländern erfährt, auch im internationalen Massstab. Er machte bis 1920 die Erfahrung durch die koordinierte Intervention von 14 Staaten und der einheimischen Konterrevolution. Die KommunistInnen, die im Unterschied zu den PazifistInnen kein metaphysisches Verhältnis zu Gewalt haben, sind selbstverständlich auch auf internationaler Ebene nicht bereit, sich imperialistischer Gewalt zu beugen und auf deren wirksame Abwehr – auch durch Gewalt – zu verzichten, wenn dies zum Schutz sozialistischer Errungenschaften notwendig wird.
Verschmelzung im Sozialismus
Vom Standpunkt der kommunistischen ArbeiterInnenbewegung ist die völkerrechtlich gesicherte Anerkennung der Gleichberechtigung und des Selbstbestimmungsrechts aller Völker und Nationen eine der Erfüllung ihrer internationalen Mission entsprechende, objektive Notwendigkeit. Denn allein ihre Verwirklichung führt zur friedlichen Annäherung und freundschaftlichen Zusammenarbeit der vorerst auf unterschiedlicher Klassengrundlage lebenden Nationen und dereinst weiter zur freiwilligen Verschmelzung dieser Nationen. Das ist eine Aufgabe, deren Lösung viele Stadien durchlaufen, also einen grossen geschichtlichen Zeitraum beanspruchen wird, da sie nur von sozialistischen Nationen vollzogen werden kann. Der Weg zur vollkommenen Selbstbestimmung, zur Selbstverwirklichung aller Menschen in einer ferneren Zukunft führt über die Achtung und Erhaltung des Selbstbestimmungsrechts in der Gegenwart. Nur durch die Übergangsperiode der völligen Befreiung, das heisst der Abtrennungsfreiheit aller unterdrückten Nationen kann es zur letztendlich unvermeidlichen Verschmelzung der Nationen kommen, so wie es in den einzelnen Staaten nur durch die Übergangsperiode der Diktatur des Proletariats zur Abschaffung aller Klassen kommen kann.
Signal zum Befreiungskampf
Zu den charakteristischen Besonderheiten der Oktoberrevolution gehört die Tatsache, dass es sich zugleich um eine soziale und eine nationale Umwälzung handelte. Die Sprengung des zaristischen Regimes, die vorbehaltlose Verwirklichung des Grundsatzes der nationalen Selbstbestimmung durch die ArbeiterInnenklasse des bisher unterdrückerischen Russlands führte zur Entwicklung von gleichberechtigten Beziehungen zwischen Nationen, die nunmehr gemeinsam den Weg der sozialen Befreiung und nationalen Entfaltung beschritten. Immer wieder betonte Lenin die Einteilung der Nationen in unterdrückte und unterdrückende Nationen als das «Grundlegende, Wesentliche» des Imperialismus. So wurde die Oktoberrevolution zum Signal des Befreiungskampfes für viele unterdrückte und kolonial unterjochte Völker der Welt.
Aus der Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts aller Völker und Nationen ergibt sich, dass die Kolonialherrschaft juristisch nichts anderes darstellt als Okkupation und Annexion fremden Territoriums, dass sie das Ergebnis einer chronisch gewordenen Aggression ist. Das unterdrückte Volk hat deshalb das Recht auf Befreiung mit allen erforderlichen Mitteln, ferner ergibt dies die Rechtfertigung jedes Staates, diesem Volk in seinem Kampf Beistand zu leisten. Eine Verletzung des Souveränität der territorialen Integrität des imperialistischen «Mutterlandes» kann darin nicht gesehen werden, weil völkerrechtlich die Aneignung fremden Territoriums bereits rechtswidrig war.
Zweiter Weltkrieg als Katalysator
Dank der realistischen Politik des Sowjetstaates scheiterte die Isolierungsstrategie und die verschiedenen aggressiven Provokationen dieser Mächte. Die Sowjetunion genoss eine 20-jährige Friedensperiode und nutzte sie zur Umwandlung des Landes in eine Industriemacht von Weltrang. Dass die Prinzipien aus den Dokumenten von Genua in der Uno-Charta von 1945 fixiert wurden, hatte allerdings das Massenschlachten und die Zerstörung unvorstellbaren Ausmasses des Zweiten Weltkriegs zum Preis. Das Duell, das 1917 zwischen den imperialistischen Völkerrechtsgrundsätzen mit ihrem Recht auf Krieg, auf Kolonialismus, mit ihrer Auflösung jeglicher internationalen Gesetzlichkeit einerseits und dem demokratischen Völkerrechtsprinzipien entsprechend dem sowjetischen Programm andererseits begann, endete spätestens im Jahre 1945 mit dem Sieg der Kräfte des Friedens, der Demokratie und des Sozialismus.
Ohne die Erfahrungen des antifaschistischen Befreiungskampfes wären die neuen Völkerrechtsprinzipien nicht bereits 1945 zur Grundlage eines allgemein-demokratischen Völkerrechts geworden. Die drei Hauptmächte der Anti-Hitler-Koalition (UdSSR, Grossbritannien und USA) arbeiteten auf den Konferenzen in der Zeit von 1943 bis 1945 jenes koordinierte Nachkriegsprogramm friedlicher internationaler Beziehungen und völkerrechtlicher Verhaltensregeln aus, das in San Francisco am 26. Juni 1945 durch die Annahme der Uno-Charta einen universellen Rahmen erhielt und dessen prinzipielles Fazit das neue demokratische Völkerrecht ist. Natürlich ist auch nach Inkrafttreten der Uno-Charta die Verletzung des Souveränitätsgrundsatzes durch die reaktionärsten und aggressivsten imperialistischen Staaten gang und gäbe. Durch die ständigen imperialistischen Völkerrechtsbrüche erleidet unzweifelhaft die Autorität des Völkerrechts und der internationalen Organisationen erheblichen Schaden. Aber die Leugnung und der Bruch des Rechts können dessen Existenz nicht aufheben.
Selbstbestimmung und Einmischung
Der völkerrechtlichen Anerkennung und Achtung des Selbstbestimmungsrechts kommt innerhalb des Systems der Prinzipien des demokratischen Völkerrechts hervorragende Bedeutung zu. Denn es handelt sich hierbei um das Recht auf eine interventionsfreie Erneuerung der Gesellschaft durch eine soziale Revolution. Es geht zurück auf die Lehre von Lenin von der nationalen und kolonialen Frage, die zwischen unterdrückenden und unterdrückten Nationen unterscheidet. Dadurch waren die Völker Russlands nach der siegreichen Oktoberrevolution in der Lage, die prinzipielle Anerkennung des uneingeschränkten Selbstbestimmungsrechts aller Völker und Nationen der Welt als eine Grundlage des demokratischen Völkerrechts zu fordern und es in der Sphäre des eigenen Einflussbereichs, innerhalb und ausserhalb der Grenzen des Sowjetstaates, auch zu verwirklichen. Die Oktoberrevolution war die Probe auf die Realisierbarkeit und Glaubwürdigkeit der marxistisch-leninistischen Lehre vom Selbstbestimmungsrecht und der Gleichberechtigung aller Völker und Nationen. Das Bestehen dieser Probe wurde zum Signal des Befreiungskrampfes der unterdrückten Völker und führte schliesslich nach dem Scheitern des faschistischen Generalangriffs auf dieses Selbstbestimmungsrecht als solches zu einer demokratischen Neufundierung des universalen Völkerrechts unserer Zeit.
Beim völkerrechtlichen Einmischungsverbot handelt es sich um die Weiterentwicklung eines von vornherein begrenzten Grundsatzes der bürgerlichen Frühzeit: Als politisches Prinzip wurde das zwischenstaatliche Interventionsverbot von den bürgerlich-demokratischen Kräften Frankreichs auf dem Höhepunkt der Französischen Revolution proklamiert, und zwar zum Schutz des bürgerlichen Staates vor ausländischer InterventInnen, die mit konterrevolutionären EmigrantInnen konspirierten. Das mit dem Nichteinmischungsgrundsatz eng verflochtene, aber keineswegs identische Aggressionsverbot ist dagegen ein Völkerrechtsprinzip, das ohne jeden Vorläufer unmittelbar von der Oktoberrevolution proklamiert und systematisch realisiert wurde. Es handelt sich dabei um jenen inhaltsschweren Satz aus dem Dekret über den Frieden, dass es das «grösste Verbrechen an der Menschheit» sei, einen Krieg zu führen, «um die Frage zu entscheiden, wie die starken und reichen Nationen die von ihnen annektierten schwachen Völkerschaften unter sich aufteilen sollen». Die Anerkennung und Verwirklichung dieses Grundsatzes war und ist die elementarste Voraussetzung für die Verwirklichung der Selbstbestimmung der Völker und die elementarste Sicherung der Souveränität und Gleichberechtigung der Staaten.
Völkerrecht als Waffe
Die Tatsache, dass diese demokratischen Völkerrechtsprinzipien den Interessen des ersten proletarischen Staates entsprachen und heute noch nach hundert Jahren, nach dem Untergang dieses Staates, weiterbestehen – wenn sie auch beständig unterminiert werden –, beweist, dass es sich hier um ein für eine ganze historische Periode geeignetes Programm der zwischenstaatlichen Beziehungen der Länder mit unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen oder verschiedenem Entwicklungsstand handelt. Dass diese Grundsätze auch von den aus dem Zusammenbruch des imperialistischen Kolonialsystems, aus dem siegreichen nationalen Befreiungskampf entstandenen jungen Nationalstaaten als bindend betrachtet und von ihnen bis heute am vehementesten verteidigt werden, zeigt, dass es sich um Grundsätze handelt, die allen antiimperialistischen Kräften zugute kommen, die sogar bestimmten Interessen von Teilen der Bourgeoisie und der Politik bestimmter bürgerlicher Staaten – zumindest zeitweilig – entsprechen.
Eine automatische Waffe ist das demokratische Völkerrecht nicht. Die Völker müssen sie in die Hand nehmen. Das Völkerrecht wird nie universell und nie effektiver werden ohne die Kraft und Solidarität der Volksmassen der ganzen Welt mit der ArbeiterInnenklasse und ihrer kommunistischen Partei als dem Motor der Geschichte. Die Entstehung und Entwicklung des Völkerrechts wären ohne den Roten Oktober undenkbar gewesen. Das Völkerrecht ist eine Waffe der Völker gegen imperialistische Kriegspolitik und den interventionistischen Export der Konterrevolution. Die Besonnenheit, Entschlossenheit und Solidarität, mit der die Völker von dieser Waffe entsprechend ihren jeweiligen Bedingungen souveränen Gebrauch machen, ist wesentlich für den Fortgang des Völkerlebens.