Der türkische Präsident Erdogan zieht die Wahlen, die ursprünglich im November 2019 vorgesehen waren, auf den 24. Juni 2018 vor. Anstoss dafür war der Vorschlag von Devlet Bahcelis, Parteipräsident der nationalistischen Partei MHP, sowie die Lage in Syrien, Irak und Iran. Die Oppositionsparteien werden an den Wahlen teilnehmen.
Zusammen mit der Präsidentschaftswahl wird auch das Parlament in der Türkei erneuert. Die Parteien stellen ihre Kandidierenden für das Abgeordnetenamt sowie für die Präsidentschaft zur Wahl. Die Präsidentschaftswahlen werden allerdings durch Koalitionen durchgeführt, was dazu geführt hat, dass nun drei Fronten stehen: Die Regierungskoalition von AKP und MHP mit Erdogan als Kandidat, die nationalistische Koalition um die sozialdemokratische CHP, die kemalistisch-nationalistische IP und andere rechte Parteien mit je eigenen KandidatInnen. Die Iyi Parti (IP), die sich erst neu gegründet hat, stellt als Spitzenkandidatin Meral Aksener auf, die Verbindungen zum türkischen Geheimdienst hat. Die in kurzer Zeit sehr populär und gross gewordene Iyi Parti und Aksener messen dem Teil des Volkes, das sich unter dem Kemalismus vereinen lässt, den Puls und sind erfolgreich damit. Meral Aksener ist eine Frau, die das Kapital und den Nationalismus vertritt und somit das gleiche Potenzial zur Diktatorin hat wie Erdogan. Die Demokratische Partei der Völker (HDP), welche als Dachpartei die linken, progressiven Organisationen vereint, tritt alleine an. Die HDP hat Selahattin Demirtas, der im Zuge der Repression gegen die prokurdische HDP inhaftiert wurde und noch immer im Gefängnis sitzt, als Präsidentschaftskandidaten nominiert. Der Kommunistischen Partei der Türkei (TKP) wurde die Teilnahme an den Wahlen verwehrt, was dazu führte, dass die TKP nun offenkundig zu Protest und zum notwendigen Systemwechsel aufruft. Für die Präsidentschaftswahl rufen sie zum ungültigen Stimmen auf und zu den Parlamentswahlen stellen sie «parteilose» Kandidierende zur Wahl.
Die Opposition ist bereit
Der im Juli 2016 ausgerufene und siebenmal verlängerter Ausnahmezustand gilt noch immer. Seither wurden Repressionsmassnahmen verschärft und viele Rechte der BürgerInnen und Parteien beschränkt. Viele PolitikerInnen sitzen im Gefängnis, die Meinungsfreiheit ist entzogen worden, man kann sehr schnell als «Terrorist» verurteilt werden und den Sicherheitsbehörden ist es erlaubt, verdächtige Personen einfach festzunehmen. Trotz dieser Ausgangslage ist die Opposition in Wahlstimmung und bereit. Schon im Juni 2015 zeigte sich, dass die Ausgangssperren in den kurdischen Gebieten zwar die Bedingungen für die Wahlbeteiligung erschwerten und einige Stimmen verloren gingen, aber die HDP schaffte es trotzdem über die Hürde und ins Parlament, was Erdogan Sorgen bereitete. Die HDP hat inzwischen ihre Bündnisse gestärkt und ausgeweitet.
Macht sichern
Der Einmarsch in Syrien liess die nationalistischen Herzen höherschlagen, wobei Recep Tayyip Erdogan seine Popularität unter den NationalistInnen verstärken konnte. Auf der anderen Seite verschlechtert sich die Wirtschaftslage konstant, sodass der Euro mittlerweile bei fünf Türkischen Lira liegt (2015: 2,5 TL). Der beliebte Präsident, der immerzu Brennstoff und Lebensmittel verteilen liess, neue Autostrassen baute und in der Welt mitzuwirken schien, zieht die nationale Währung nun plötzlich in den Abgrund. Diese schlechte Nachricht ist allen BürgerInnen bekannt und wäre ein guter Grund für die Bevölkerung, Erdogan das Vertrauen zu entziehen. Die Vorziehung der Wahlen sollte Erdogan helfen, sich an der Macht zu halten, bevor seine AnhängerInnen ihm den Rücken zudrehen. Eine Koalition mit der ultranationalistischen Partei MHP wird ihm noch dazu einen grossen Vorsprung gewähren.
Faschistische Zustände
Im April 2017 stimmte die Türkei über ein Referendum ab, welches die Macht des Parlaments durch ein Präsidialsystem ersetzen wird. Der Präsident ist damit ab 2019 befugt, die MinisterInnen zu bestimmen und zu bewilligen. Die totale Entscheidungskraft liegt dann in den Händen des Präsidenten. Erdogan steht mit seiner Kandidatur kurz vor seinem Ziel einer autokratischen Herrschaft, da er sich durch seine Wiederwahl die Macht sichern wird.
Bisher konnte er aufgrund des Ausnahmezustands seine Entscheidungen autokratisch fällen. Es herrscht eine illegitime Diktatur. Jedoch wird sich genau diese diktatorischen, faschistischen Zustände institutionalisieren, wenn Erdogan die Wahlen gewinnt. Für die unterdrückten Völker und vor allem für die ArbeiterInnen muss diese Situation Widerstand hervorrufen und letztlich zu einem Systemwechsel führen. Vielleicht wird sich endlich die Klasse der Unterdrückten ihrer Zusammengehörigkeit bewusst und ein Wunder bewirken.
Seyhan, KJ Basel