Warum braucht es eine Rote Pride? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir erst eine marxistische Analyse der Situation der queeren Community in der Schweiz erarbeiten.
Zuerst müssen wir klarstellen, in welchem Kontext unsere Analyse entsteht. Wir sind Marxist:innen und als solches baut unsere Arbeit auf einem materialistischen und dialektischen Weltverständnis. Der Kampf für die Emanzipation von queeren Menschen ist eine natürliche Kontinuität der Emanzipationskämpfe, die wir als Kommunist:innen geführt haben und weiterhin führen werden.
Das erste Element ist die wirtschaftliche Position, die queere Menschen innerhalb der patriarchalen und kapitalistischen Ordnung einnehmen.
Patriarchale Ausbeutung ist nicht von der kapitalistischen Ausbeutung zu trennen, was bereits in den neueren Arbeiten von Fortunati und Federici, aber auch in den älteren Arbeiten von Engels sehr genau theoretisiert und dokumentiert wurde. Wir verstehen die Familie (die im imperialistischen Kern am häufigsten in Form der “nuclear family” auftritt) als den Ort der patriarchalen Ausbeutung der Reproduktionsarbeit. Die Existenz eines Mechanismus, der die Reproduktion der Arbeitskraft sicherstellt, ist erforderlich, um die lohnabhängige Ausbeutung der produktiven Arbeit zu ermöglichen. Da die Produktion und damit die Gewinnung von Mehrwert grundsätzlich von der Reproduktion der Arbeitskraft abhängt, ist die Erhaltung der Familienstruktur, somit also die Garantie der kontinuierlichen Reproduktion von Arbeitskraft, für das reibungslose Funktionieren der kapitalistischen Maschinerie von entscheidender Bedeutung.
Queere Menschen befinden sich im Dissens mit der von der Kleinfamilie auferlegten genderspezifischen und patriarchalen Ordnung, da sie die Formel «ein Cis-Papa und eine Cis-Mama» in Frage stellen. Es ist also – in erster Linie – durch diese Einordnung, durch das man die Gesamtheit der Diskriminierungen verstehen kann, die queere Menschen erleiden. Sie dienen in erster Linie der Disziplinierung von Queers und der Aufrechterhaltung der mehrheitlichen Zustimmung zum Modell der Organisation (und Ausbeutung) der Reproduktionsarbeit: der Familie.
Das zweite Element ist die Frage nach der Emanzipation von queeren Menschen von den Sexualitäts- und Geschlechternormen, die von der eben beschriebenen Wirtschaftsordnung auferlegt werden.
Was wir fordern, ist das höchste Recht, über den eigenen Körper zu verfügen, ein Recht auf Selbstbestimmung, das natürlich auch das Recht umfasst, das eigene Geschlecht und die eigene sexuelle Orientierung selbst zu bestimmen. Das kommunistische Projekt bedeutet, mit der kapitalistischen Aneignung des eigenen Körpers zu brechen und sich so von der Ausbeutung in der Lohnarbeit zu befreien. Wir sind lediglich der Ansicht, dass dieser Bruch natürlich auch die reproduktive Arbeit – und damit auch queere Fragen – betreffen muss.
Die Befreiung der queeren Person ist ein integraler Bestandteil des Gesellschaftsprojekts, für das wir eintreten. Nicht als ein «sektoraler» Kampf, sondern als eine der Fragen, die das kommunistische Projekt und die marxistische Kritik auf natürliche Weise mit sich bringen. Da das kommunistische Projekt revolutionär ist und die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit betrifft, muss es alle Emanzipationen, einschliesslich der von queeren Menschen, in Betracht ziehen.
Zu dem Thema existieren gesellschaftliche Schwankungen und Bewegungen auf die wir gezwungen sind einzugehen. Wir sehen eine doppelte Instrumentalisierung von queeren Themen: Einerseits durch die sozialliberale “Linke”, die eine zaghafte Verteidigung von queeren Personen dazu nutzt, ihre Position als “progressive Kraft” zu legitimieren. Andererseits aber auch durch die extreme Rechte, die Wellen von reaktionärer Moralpanik schürt und ihren Opportunismus verwendet, um die Sorgen der Arbeiter:innen weg von ihrem wahren Kampf gegen die Ausbeutung im Kapitalismus hin zu vagen Feindbildern zu lenken.
Die «linke» Instrumentalisierung nährt den Gegensatz zwischen «sozialer Linker» und «gesellschaftlicher Linker», den wir strikt ablehnen. Sie wird oft durch feministische Auswüchse ergänzt: Verteidigung des Kolonialstaates Israel im Namen seiner angeblichen Gay-Friendliness, Islamophobie unter dem Deckmantel der Verteidigung der Rechte von Queers etc.
Wir befinden uns seit über einem Jahrzehnt in einer Wachstumskrise, deren Folgen unter anderem eine Verschlechterung der Lebensqualität ist. Es ist davon auszugehen, dass die Bourgeoisie versuchen wird, die durch die Verschlechterung der Lebensbedingungen verursachte Unzufriedenheit auf etwas anderes als sich selbst zu lenken. Man kann daher vernünftigerweise davon ausgehen, dass die «reaktionäre Ablenkung» einen immer größeren Teil der Rechten (und vielleicht sogar der sozialliberalen «Linken») hinter sich scharen wird. In diesem Zusammenhang kann man nach Frankreich blicken, um eine Situation zu sehen, in der die Verschlechterung der materiellen Bedingungen weiter fortgeschritten ist, und mit ihr die Häufigkeit reaktionärer (insbesondere transphober) Angriffe zugenommen hat.
In einem solchen Moment ist eine revolutionäre Pride dringend notwendig. Das erschaffen von politischem Druck gegen reaktionäre Kräfte, aber auch das Bilden und Erweitern eines revolutionären und marxistischen Selbstverständnis und einer Analyse der eigenen Unterdrückung sind dringende nächste Schritte, um den Abbau der Rechte von queeren Menschen zu verhindern.
Es ist Zeit, uns zu organisieren. Denn der Kampf für unsere Rechte hat gerade erst begonnen.