Ein Gespräch mit Seyhan Karakuyu von der Kommunistischen Jugend der Schweiz
Am vorvergangenen Wochenende fand in der Schweiz eine vielbeachtete Volksabstimmung statt. Die 8,5 Millionen Einwohner der Alpenrepublik waren aufgerufen, zu gleich drei Fragestellungen ihre Stimme abzugeben. UZ sprach mit Seyhan Karakuyu, wohnhaft in Basel und Internationale Sekretärin der im November 2017 neugegründeten Kommunistischen Jugend der Schweiz (KJS). Aktuell liegt der Schwerpunkt der KJS auf den Kämpfen an den Lebensschwerpunkten junger Arbeiterinnen und Arbeiter. Mit ihrer neuen Kampagne „Gesundheit statt Profite“ will sie das katastrophale Corona-Management und die kursierenden Missstände eines privatisierten Gesundheitssystems aufgreifen.
UZ: In der medialen Debatte stach die Diskussion um ein Verhüllungsverbot von Frauen heraus – kannst du die wesentlichen Positionen der Debatte darlegen?
Seyhan Karakuyu: Zunächst, in einigen Kantonen war es schon zuvor verboten, bei Demonstrationen und Sportanlässen Burka oder Nikab zu tragen. Seit Jahrzehnten versuchen die Rechtskonservativen ein Verbot durchzusetzen. Die Sozialdemokratie kritisierte die Initiative nicht grundlegend, sondern fabulierte von einem „Feminismus“, der die freie Kleidungswahl zu verteidigen habe. Unter Kommunistinnen und Kommunisten entbrannten Diskussionen – letztlich setzte sich aber die Linie durch, dass ein „Ja“ die rechtskonservative SVP politisch legitimiere und der kapitalistisch-patriarchale Staat den Frauen nicht ihre Entscheidung nehmen dürfe. Im Zusatz: Unter dem Deckmantel des „Burka-Verbots“ soll jegliche Verschleierung bei legalen Demonstrationen justiziabel gemacht werden – die bürgerliche Scheindemokratie der Schweiz greift somit die Rechte der arbeitenden Klasse diametral an.
UZ: Mit 51 Prozent wurde für ein Verhüllungsverbot gestimmt. Welche gesellschaftlichen Kräfte standen hinter der Kampagne für ein „Ja“? Nehmt ihr eine faschistische Tendenz wahr?
Seyhan Karakuyu: Hinter den Bestrebungen stehen die rechtskonservativen Kräfte, diese profitierten zudem vom Aufschwung der Corona-Leugner-Szene. Aber: die eigentliche Triebfeder ist das Egerkinger Komitee, das schon 2016 beim „Minarett-Verbot“ maßgebend war. Dieses Komitee repräsentiert die bürgerlich-rechten Monopolisten, die in Krisenzeiten ihren Kampf gegen Minderheiten, Frauen und die organisierte Arbeiterklasse vorantreiben. Diese Verbindung zwischen Staat und Kapital ist, fernab dessen, dass die faschistischen Tendenzen (noch) klein gehalten werden, nicht zu unterschätzen. Trotzdem muss konstatiert werden, dass sich in der Schweiz faschistische Splittergruppen aus Frankreich und Deutschland regelmäßig zusammenfinden. Realität ist, dass 30 Burkaträgerinnen instrumentalisiert wurden, blanken Rassismus in der Verfassung festzuschreiben.
UZ: Es wurde auch über einen Freihandelsvertrag mit dem muslimischen Indonesien an die Wahlurnen gerufen. Was hat es damit auf sich?
Seyhan Karakuyu: Hier existiert in der herrschenden Ideologie ein logischer Widerspruch: während fanatisch gegen die „Islamisierung“ der Schweiz getrommelt wird, ist man sich nicht zu schade, aufgrund ökonomischer Vorteile mit dem muslimischen Indonesien zu paktieren. Die Front „pro Freihandelsabkommen“ war ungleich größer als bei der Causa „Verhüllung“. In den herrschenden Chor stimmten – trotz eines zögerlichen „Nein“ der SP Schweiz – nahezu alle Parteien ein. Unter dem Vorwand eines Paradigmenwechsels zu nachhaltiger Produktion versuchte der Imperialismus die Massen zu bewegen. Kommunistische Jugend Schweiz wie Partei der Arbeit waren entschieden gegen das Abkommen. Es fehlte an klaren Zusagen hinsichtlich der ArbeiterInnenrechte sowie der ökologischen Nachhaltigkeit.
UZ: Die Corona-Pandemie beherrscht die Welt. Das Krisenmanagement der kapitalistischen Klassenstaaten fordert zehntausende Todesopfer, Korruption und staatsmonopolistische Geschäfte kommen ans Licht. Wie stellt sich die Sachlage in der Schweiz dar? Konnte die Pandemie zu einem Angriff auf den Staat und seine Machenschaften genutzt werden?
Seyhan Karakuyu: Die „neutrale“ Schweiz fungiert wie jeder Klassenstaat – die wirtschaftlichen Interessen regieren. Die Pandemie hat jedoch die Widersprüche sichtbar gemacht und die Proteste, insbesondere in der Gesundheitsbranche, angeheizt. Es entstehen somit diverse Chancen, das Bewusstsein der Klasse zu formen, gleichzeitig reagiert die herrschende Klasse mit Repression. Unter Verwendung progressiver Rhetorik und der Integration der Sozialdemokratie gelingt es, der Bevölkerung arbeiterfeindliche Gesetze schmackhaft zu machen – nichtsdestotrotz bieten die aktuellen Kämpfe sowie der entstandene Druck auf die Gewerkschaften Anlass zu revolutionärem Mut.
UZ: Als letzte Abstimmung stand noch die „Elektronische Identität“ zur Debatte – links herrscht eine verbreitete Skepsis gegenüber „Big Data“. Wie hat sich die KJS in dieser Sachfrage positioniert?
Seyhan Karakuyu: Vorab: Das Misstrauen ist berechtigt, denn auch wenn der technische Fortschritt begrüßt werden sollte, liegen die Produktionsmittel in den Händen der anderen Klasse. Diese verfolgt damit nicht das Ziel, das Leben zu vereinfachen, sondern zielt darauf ab, ihre Gewinnstrategien zu optimieren. Das Gesetz, welches abgelehnt wurde, hätte die Ausstellung der ID Privatkonzernen überlassen –Missbrauch programmiert. Die Gegnerinnen und Gegner haben es geschafft, ein klares „Nein“ zu erzielen.
UZ: Die Corona-Pandemie verstärkt eine zyklische Krise der herrschenden Produktionsweise. Wie stellt sich die Situation in der Schweiz dar? Wie sind die Bedingungen der arbeitenden Klasse und ihrer Jugend?
Seyhan Karakuyu: Die notwendigen Maßnahmen gegen die Pandemie erlauben es dem Staat, die Rechte der Bevölkerung einzuschränken – die Polizei ist enthemmt, kann in Wohnungen eindringen oder bei Versammlungen intervenieren. Viele Demonstrationen fanden auch ohne Genehmigung statt, da diese Politik sowie die Dringlichkeit der Pandemie es erforderte. Unter dem Vorwand der Pandemie wurde Hunderttausenden gekündigt, staatliche Sparmaßnahmen vollzogen. Der Jugend geht es sehr schlecht, psychische Schäden nehmen zu, die Psychiatrien und Praxen sind ausgelastet. Während Geld an allen Enden fehlt, erzielte der militärisch-industrielle Komplex 2020 einen Rekordgewinn von 901 Millionen Franken. Seine Exporte befeuerten die Kriege im Nahen Osten oder rüsteten Brasilien auf. Wir sagen daher: „Gesundheit statt Profite!“ und ein Ende der schweizerischen Unterstützung jedweder militärischer Abenteuer. Der Kampf geht weiter!
UZ vom 26. März 2021 | Luca Härtel Categories: Internationales |Interview, UZ-PLUS