Der folgende Text wird im «Vorwärts» erscheinen. Die KJ Bern bedankt sich beim Autor für die Genehmigung diesen Artikel zu publizieren.
Über drei Tage, vom 28. bis zum 30. Oktober, fand der Rote Oktober in Kandersteg statt. Die Kommunistische Jugend der Schweiz lud dazu ein, junge GenossInnen zu treffen, sich zu besprechen und gemeinsam weiterzubilden. Abriss eines bedeutsamen Wochenendes.
Kandersteg ist ein kleiner Ort des Berner Oberlands. Hier leben nur wenige Menschen, 1 200 sind es an der Zahl, und unüblich ist es nicht, vereinsamte Holzhäuser umgeben von riesigen Felswänden zu sehen. Kandersteg ist abgeschieden, und doch war Kandersteg am Wochenende des 28. bis 30. Oktobers ein Ort grösserer Bedeutung. Die Kommunistische Jugend der Schweiz rief den mittlerweile fünften Roten Oktober aus – über 30 junge Genossen und Genossinnen erschienen. Und was da besprochen wurde, über den EU-Imperialismus, über die Situation in Griechenland und die Riots von England, hatte nun wirklich nichts gemein, mit der piefigen Idylle eines Touristendorfs.Von geradezu ironisch-spiessigen braun-geblümten Gardinen umgeben, konnte man an diesem Oktoberwochenende drei Dinge besonders gut. Lernen, diskutieren und trinken. Das letztere bleibt unter Verschluss, dem Rest widmen wir die nötige Aufmerksamkeit. Nötig, weil da nicht nur wichtige Dinge zur Sprache kamen, sondern man auch einen entschiedenen Standpunkt vertrat und vertreten wissen wollte. Den des Marxismus-Leninismus. Deutlich etwa beim Vortrag über den EU-Imperialismus (im Vorwärts vom 4. November nachlesbar).
Griechenland
Auch das Referat zur Lage in Griechenland war hervorragend. Ein Genosse des griechisch-kommunistischen Jugendverbands KNE stellte die Lage in Griechenland deutlich dar, stellte auch dar, dass es für die KKE nur den «Klassenkampf zum Sturz des Kapitalismus» gäbe, einen Kampf, den sie besonders effektiv führen können, weil sie «eine starke Waffe» haben, nämlich «den Marxismus-Leninismus». Soweit ist das bekannt und trifft sich auch mit der Ausrichtung der KJ. Aber dabei blieb es nicht. Natürlich war der Tod des Gewerkschaftsfunktionärs Dimitris Kotzaridis (53), der bei Zusammenstössen einer Demonstration der PAME mit AnarchistInnen starb, ein Thema. Und hier wurden deutliche Worte gesprochen: Kotzaridis ist das Opfer «anarcho-faschistoider» Angriffe, die «von der Bourgeoisie instrumentalisiert» werden. Das zeigt sich auch daran, dass die Anarchisten «mit Waffen angriffen, die sonst nur die Polizei benutzt», und dass damit das Ziel verfolgt wurde, «die Massenkundgebung der PAME aufzulösen und die Armee der Arbeiter aufzuheben». Überhaupt ist eine klare Abgrenzung zu den anarchistischen Strömungen Griechenlands notwendig. Denn: «Es gibt sicher Leute, die sich Illusionen machen und die glauben, der anarchistische Weg führe zur Revolution. Sicher aber ist, dass die Polizei sie benutzt, um die Arbeiterbewegung anzugreifen. Zudem sind sie nicht gross, sie sind wenige im Verhältnis zu den Zehntausend der Klassenbewussten PAME.» Deutliche Worte die gefielen: Der Genosse wurde mit rauschendem Applaus gefeiert. Aber nicht nur Abgrenzungen und Kritik, sondern auch Anregungen zu Organisation und Vorgehen wurden geliefert. So ist es etwa die «wichtigste Voraussetzung für die politische Einheit der Arbeiterklasse», dass die «Einheit der Partei» besteht, das heisst, dass sie ihre Rolle als «Avantgarde der Arbeiterklasse» wahrnimmt. Der Erfolg der KKE und der PAME beruhen vor allem darauf, dass sie als Einheit vorgehen, dass sie «in der Legalität oder der Illegalität keine andere Organisationsform wählen als die des demokratischen Zentralismus». Gerade weil «revolutionäres Bewusstsein nicht aus der Arbeiterklasse selbst kommt», ist es die vordringlichste Aufgabe der KommunistInnen, «starke Institutionen aufzubauen». Und in diesem entscheidenden Punkt wurde ein wahres Wort gesprochen, das gerade heute, gerade auch in der PdA bedacht werden sollte: «Auch die KKE war nicht widerspruchsfrei. Auch sie musste gegen den Opportunismus ankämpfen. (…) Aber aus diesem Kampf ist sie stärker hervorgegangen. Jetzt haben wir eine Partei nur aus Kommunisten, die eng bei der Arbeiterklasse steht.» Es wurde noch über vieles mehr gesprochen, zu viel, um es hier ausführlich aufzuarbeiten: Internationalismus, die (noch) nicht revolutionäre Situation Griechenlands, die Organisation der KNE. Über zwei Stunden hörte man zu, fragte, bekam antworten, fragte erneut, vertiefte man das Verständnis. Hier muss ein Abriss Genüge tun.
Englische Aufstände
London ist kürzer, London brachte weniger Aufregung. Über die Londoner Riots sprach Peter Stäuber, der in London lebt und für die WOZ schreibt. In einer pointierten, knappen Darstellung, stellte er die surreale Medienhetze der englischen Zeitungen («Im Grunde genommen sind [die Aufständischen] wilde Tiere.» «Sie sind eine Last auf den Schultern der Gesellschaft.») den wirklichen Ursachen der Riots gegenüber. Diese Ursachen liegen, so Sträuber, in der Verelendung der Jugend und im latenten Rassismus gegenüber farbigen Minderheiten. Mit Daten, Prozenten abgestützt, sogar auf der Stadtkarte von London aufzeigbar – nämlich die Übereinstimmung besonders armer Viertel mit den Orten des Aufstands – entspann sich nur eine kurze Diskussion. Gut möglich, dass diese Dinge zu offensichtlich sind. Zumindest für die, die sehen wollen.
Das Bild des Roten Oktober
Man kann den Roten Oktobers emotional betrachten. Dann war er das gelungene Zusammentreffen von drei Dutzend GenossInnen, dann war er Feier und Fröhlichkeit in, wortwörtlich, beschaulichen Rahmen, dann war er der sehr fruchtbare Austausch einer Jugend, die sich für ihre Interessen engagiert. Dann könnte man sagen: «Ja, es war wunderbar! Ich gehe natürlich nächstes Jahr wieder hin.» Und all das würde stimmen. Und wäre zuwenig. Man wird den Roten Oktober in seiner politischen Bedeutung sehen müssen. Am Samstagabend, beim Ende des politischen Programms, wurde gesagt, was für den Roten Oktober vom ersten Tag an von entscheidender Bedeutung war: «Seit drei Jahren hat der Rote Oktober einen nationalen Massstab angenommen.» Praktisch konnte man das daran erkennen, dass GenossInnen aus Genf, Neuchâtel, Bern, Zürich, aus dem Tessin und weiteren – wer fragt schon immer nach dem Ort? – Kantonen kamen. Insofern dürfte der Rote Oktober schon durch seine blosse Existenz einem Zweck gedient haben: Der Konsolidierung der Kommunistischen Jugend, die sich auf dem Weg befindet, eine ganzheitliche Organisation in der Schweiz zu werden. Das wäre durchaus zu begrüssen und, soweit möglich, zu unterstützen, denn der KJ darf man das Potential zutrauen, auch die PdA wieder stärker in eine dezidiert marxistische-revolutionäre Richtung zu drängen. Dann stünde wieder Klassenkampf, statt «Besinnung auf die ganze Gesellschaft» auf dem Programm; dann würde man in revolutionärer Perspektive handeln, statt «die Gesellschaft schrittweise [zu] verändern»; dann gäbe es marxistische Analyse, statt idealistischem Wunschbild. Die KJ ist eine Kraft, die das will. Der Rote Oktober hat die ersten Ansätze dazu gezeigt.