In Frankreich sind Aufstände gegen die neoliberale Steuer- und Finanzpolitik des Staatschefs Emmanuel Macron entstanden. Sind es Rechte, sind es Linke? Wer steht hinter der Bewegung der «Gilets jaunes» in Frankreich?
Als Jean-Luc Mélenchon, Wortführer der parlamentarischen Linken Frankreichs, in der vergangenen Woche ankündigte, selbst im Protestzug gegen die Regierung über die Champs-Élysées marschieren zu wollen, stellten sich seine GegnerInnen und AnhängerInnen dieselbe Frage: Mit wem wird der Mann unterwegs sein? Der Widerstand der «Gelbwesten», der «Gilets jaunes», gegen die neoliberale Steuer- und Finanzpolitik des Staatschefs Emmanuel Macron, so geht das Gerücht, werde von Rechten organisiert. Im Hintergrund ziehe niemand anderes die Fäden als die Führerin des ultrarechten Rassemblement National, Marine Le Pen. Mélenchon hatte eine Antwort parat: «Faschos gibt es überall, das kann uns nicht davon abhalten, auf die Strasse zu gehen.»
Die RichterInnen, die seit zwei Wochen im Schnellverfahren gewalttätige DemonstrantInnen aburteilen und ihnen empfindliche Geldstrafen oder gar Freiheitsentzug von bis zu sechs Monaten aufbrummen, haben zumindest einen Eindruck davon geliefert, wer Steine werfen will und gefährliche Feuerwerkskörper im Rucksack hat, wenn er/sie sich samstags zur «Demo» aufmacht. Nach Angaben des Pariser Polizeipräfekten Michel Delpuech und des Staatsanwalts Rémy Heitz sind mehrere Gruppen zu unterscheiden.
Aus der Provinz kommende junge Menschen zum Beispiel, zwischen 25 und 40 Jahre, «unbescholten», in Polizeiakten nicht registriert, aber enttäuscht und frustriert über die Politik eines Präsidenten in ihrem Alter, der versprach, «alles anders zu machen». Der habe aber unter dem Slogan «weder rechts noch links» nicht etwa die «Reformpolitik» eines «netten Familienvaters» gemacht, sondern sich mehr und mehr zum Autokraten, ja «Tyrannen» entwickelt. In der Menge habe der wilde Protest diese Leute «enthemmt» – nichts sei organisiert, alles sei viel eher «spontan».
Vergessene der Republik
Marine Le Pen selbst weist es weit von sich, irgend etwas gedeichselt zu haben, was den Aufmarsch tatsächlich existierender, faschistischer Gewalttäter-Innen in den Protestzügen betrifft. Sie scheint in diesem Fall die Wahrheit zu sagen. Denn weder Innenministerium noch die eingesetzten Ordnungskräfte gaben bisher einen Hinweis in diese Richtung. Richtig ist aber auch, dass einige der – meist selbsternannten – lokalen SprecherInnen der Gelbwesten rechtslastig sind. Der inzwischen europaweit fernseh- und zeitungsbekannte Benjamin Cauchy aus dem südlichen Département Haute-Garonne etwa wurde von der Pariser Tageszeitung «Libération» eindeutig als Anhänger Le Pens identifiziert. Er selbst sagt, er wolle «Leute aus allen Lagern zusammenbringen, unabhängig von deren Parteisympathien». Gelbe Westen trägt inzwischen auch die starke Gruppe der AntikapitalistInnen und AnarchistInnen, die dem linken politischen Lager zugerechnet wird.
Die Pariser Historikerin und Revolutionsexpertin Sophie Wahnich stellte in dieser Woche klar: «Es ist banal, aber man muss es wiederholen: Es gibt erhebliche Ungleichheit bei den Steuern. Die Schriften der revolutionären Epoche zeigen eine Bevölkerung, die vom Adel und dem Klerus zermalmt wurde. Heute ist es die gleiche Geschichte mit den Bankiers und den AktionärInnen sowie den Regierenden, die sie beschützen. Die Leute, die protestieren, sind sich ausreichend darüber im Klaren, dass die für den Umweltschutz zu bezahlende Rechnung nicht für alle gleich ist. Sie verweigern nicht die Energiewende, sondern die Tatsache, dass die Last ungleich auf die Schultern der BürgerInnen verteilt werden soll.»